Vom Hassposting zum Strafantrag: Wann und wie wird die Polizei aktiv?
Im Gegensatz zu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck oder Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) verzichtet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lieber auf Strafanträge, wenn er im Netz beleidigt wird.
Eine entsprechende Kurzstellungnahme, nebst Spitze gegen den Wirtschaftsminister („So kann man darauf auch reagieren, @roberthabeck“), brachte dem FDP-Parteivize auf seinem X-Kanal innerhalb von 40 Stunden mehr als 17.000 Likes ein.
Da Kubicki in seinem einleitenden Satz erklärte, persönlich „immer mal wieder“ schriftlich von der Polizei gefragt zu werden, ob er „wegen einzelner Beleidigungen Strafantrag stellen“ wolle, fragen sich viele Kommentatoren seines Postings, wie das genau hinter den Kulissen der Strafverfolgungsbehörden abläuft.
Verbringen manche Polizeibeamte ihren Arbeitsalltag etwa damit, das Netz nach mutmaßlichen Beleidigungen von Politikern zu durchforsten?
Fünf Kooperationspartner als Hinweisgeber
Die kurze Antwort lautet Nein. „Eigeninitiierte“ oder „anlassunabhängige Recherchen“ finden nach Informationen des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden nicht statt. Diese Aufgabe überlässt das BKA seinen sogenannten „Kooperationspartnern“.
Erst wenn diese Partner verdächtige „Hasspostings“ an die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ (ZMI BKA) senden, beginnt die Arbeit der ZMI-Kriminalbeamten in der hessischen Landeshauptstadt.
Als ZMI BKA-Kooperationspartner führt die BKA-Website mit Stand November 2024 folgende fünf Organisationen auf:
- HessenGegenHetze – die Meldestelle des hessischen Innenministeriums
- REspect! – die Meldestelle der Jugendstiftung Baden-Württemberg im Demokratiezentrum
- die medienanstalten – die Dachmarke der 14 Landesmedienanstalten in Deutschland
- Justiz und Medien – konsequent gegen Hass, eine Initiative der Bayerischen Staatsregierung, angesiedelt bei der Generalstaatsanwaltschaft München
- #Keine Macht dem Hass – eine Initiative der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität in Hessen, angesiedelt bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main
Sobald das ZMI BKA Hinweispost von diesen Partnern erhält, prüfen seine Beamten zunächst erneut den Sachverhalt „hinsichtlich einer strafrechtlichen Relevanz sowie möglicher Gefährdungsaspekte“, wie es auf der BKA-Website heißt.
Falls ein möglicher Gesetzesverstoß festgestellt wird und es den ZMI-Mitarbeitern gelingt, den „mutmaßlichen Verfasser“ zu identifizieren, wird die Angelegenheit an die „örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern“ weitergeleitet.
Zusätzlich kommen die Landesmedienanstalten ins Spiel: Sie sind dafür zuständig, die sozialen Netzwerke zu veranlassen, das beanstandete „Hassposting“ zu löschen, falls die Netzwerkzentralen dies nicht bereits eigenständig erledigt haben.
18.000 Meldungen beim BKA zwischen Januar und September 2024
In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres musste die zentrale BKA-Meldestelle nach eigenen Angaben mehr als 18.000 Fälle bearbeiten – Tendenz steigend.
Von Juni 2021 bis September 2024 gab es insgesamt 35.800 Meldungseingänge. Davon wurden 84 Prozent als „strafrechtlich relevant“ eingestuft. In 88 Prozent der Fälle wurde die örtlich zuständige Strafverfolgungsbehörde ermittelt.
Schriftliche Nachfragen der Epoch Times zur Zahl der BKA-Mitarbeiter, die sich mit diesen Fällen befassen, blieben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die ZKI-Mitarbeiter ziehen bei der juristischen Prüfung eines vermeintlichen Delikts auch die Unterstützung von Spezialisten hinzu:
Zur Bewertung der Strafbarkeit der einzelnen Meldungen steht das BKA im engen Austausch mit der Justiz, im Einzelnen mit der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW bei der Staatsanwaltschaft Köln (ZAC NRW) und der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität (ZIT Hessen).
Bearbeitungsprozess seit Februar 2022 etabliert
Der hier beschriebene „Bearbeitungsprozess“ wurde offenbar erst am 1. Februar 2022 zur Routine, als die ZMI BKA „in den Wirkbetrieb gestartet“ ist, wie das BKA formuliert.
Nach den FAQs des BKA sollten ursprünglich die großen Social-Media-Zentralen gemäß Paragraf 3a des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) zur Meldung mutmaßlich strafbarer Inhalte verpflichtet werden. Nachdem die Telemediendienstanbieter sich aber nicht daran gehalten hätten, sei die Meldepflicht am 14. Mai 2024 durch Artikel 29 des neuen Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG) aufgehoben worden. Das DDG war auf Grundlage von Artikel 51 (3) der EU-Verordnung 2022/2065 (PDF) eingeführt worden.
Seitdem greift die ZMI BKA auf Grundlage von Paragraf 2 Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) nur noch auf die Zulieferungen seiner weiter oben genannten Kooperationspartner zurück.
Beleidigungen als Antragsdelikt
Da es sich nach Angaben der nordrhein-westfälischen Polizei bei Beleidigungsstraftaten gemäß Paragraf 185 des Strafgesetzbuches (StGB) um sogenannte Antragsdelikte handelt, können diese laut Paragraf 77b StGB nur dann verfolgt werden, wenn der Geschädigte oder ein gesetzlicher Vertreter innerhalb von drei Monaten eine Strafanzeige stellt.
Nach Informationen der Bonner Rechtsanwaltskanzlei Dr. Bauer gilt dies grundsätzlich auch für Beleidigung von Politikern. „Gerade bei der Beleidigung von Personen des öffentlichen (zumal des politischen) Lebens kann es jedoch auch Ausnahmefälle geben, in denen an der Verfolgung der Tat ein besonderes öffentliches Interesse besteht, sodass kein Strafantrag nötig ist“, schreibt die Kanzlei.
Unter Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte der Bundestag den Paragrafen 188 im StGB mit einem „Gesetzespaket gegen Hass und Hetze“ mit Wirkung zum 3. April 2021 um den Schutz vor Beleidigungen erweitert. Paragraf 188 gilt seitdem zudem für alle Politiker bis hinunter zur Kommunalebene.
Kubicki: Debatte „aus den Fugen geraten“
Wolfgang Kubicki hatte es übrigens nicht dabei belassen, Habeck für dessen Vergeltungswünsche lediglich einen kurzen Seitenhieb auf X zu verpassen. In einem Gastbeitrag für das Magazin „Cicero“ vom 20. November 2024 kritisierte Kubicki die Grünen ganz allgemein für deren Neigung, bloßen Beleidigungen gleich mit juristischen Mitteln entgegenzutreten.
Nach Kubickis Meinung ist „in der Debatte um ‚Gewalt gegen Politiker‘ etwas aus den Fugen geraten“: Inzwischen würde auf der Grundlage von Beleidigungsdelikten „massiv Politik gemacht“. Er betrachte dies als einen Missbrauch „zur Einengung des politischen Meinungskorridors“, der häufig „Einschüchterung“ zur Folge habe.
Als Beispiel nannte der FDP-Parteivize den Fall jenes 64-jährigen Frührentners aus Unterfranken, bei dem am frühen Morgen des 12. Novembers die Polizei vor der Tür stand, weil er ein despektierliches Internet-Meme über Robert Habeck geteilt hatte. Der Minister persönlich hatte Strafanzeige gegen den Familienvater gestellt.
„Die Botschaft ist: Was dir harmlos vorkommen mag, kann dich in große Probleme bringen. Lass es lieber!“, kommentierte Kubicki die Anzeigevorlieben Habecks, die sogar prominenten Journalisten wie etwa dem „Welt“-Autor Don Alphonso viel Ärger eingebrockt hatten.
Das FDP-Urgestein erwähnte in seinem „Cicero“-Artikel noch einen anderen Aspekt – nämlich den Umstand, dass die Kriminalstatistik durch massenhafte Beleidigungsanzeigen verzerrt werden könnte. Denn wahrscheinlich landeten die Fälle später in der Rubrik „politischer Gewalt“.
„Das wird vor allem dann zum Problem, wenn Journalisten dieses grüne Opfer-Narrativ unkritisch nachplappern und nicht hinterfragen, um welche Vorwürfe es konkret geht“, mahnte Kubicki. Und auch „die Strafverfolgungsbehörden“ müssten „sich fragen lassen, wie sehr sie sich im Rahmen von ‚Aktionstagen‘ und Kampagnen ‚gegen Hass‘ vor den politischen Karren spannen“ ließen. Kubicki fasst zusammen:
Die Grünen haben sich einen eigenen politischen Debattenraum geschaffen, in dem allein sie die Deutungshoheit haben. Und zwar allein mit der Masse an Strafanträgen, die sie stellen. Wer hinterfragt, ist wahlweise ein Feind der Demokratie oder rechtsradikal. Wahrscheinlich schickt die Polizei mir deswegen nur rechte Beleidigungen und keine linken.”
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