Viel Bürokratie, wenig Nutzen – Krankschreibung auf Papier hat ausgedient
Früher ging man zum Arzt, ließ sich erforderlichenfalls krankschreiben und reichte die jeweiligen Bescheinigungen bei Krankenkasse und Arbeitgeber ein. Ab Januar ist das anders. Zwar besteht nach wie vor die Notwendigkeit, dass der Arbeitnehmer seinen Chef über die Krankschreibung informiert, eine ärztliche Bescheinigung muss er aber nur in Ausnahmefällen einreichen.
Stattdessen ist der Arbeitgeber angehalten, selbst proaktiv zu werden, um eine ärztliche Arbeitsunfähigkeit für seinen Mitarbeiter zu bekommen.
Wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf ihrer Website informiert, erhält ein krankgeschriebener Arbeitnehmer von der Arztpraxis einen Ausdruck über seine Arbeitsunfähigkeit. Auf Wunsch kann auch eine entsprechende Bescheinigung für den Arbeitgeber ausgedruckt werden. Dies soll jedoch nur in einer Übergangsphase gelten, teilt die Bundesärztekammer mit. In der nächsten Stufe soll die Papierform an den Arbeitgeber gänzlich entfallen.
Noch am Tag des Arztbesuches, bis spätestens 24 Uhr, übermittelt die Arztpraxis die Krankschreibung elektronisch an die Krankenkasse. Bei einem Krankenhausaufenthalt ist dafür die Klinik zuständig, die entsprechenden Daten an die Krankenversicherung weiterleitet.
Probleme vorprogrammiert
Damit der Arbeitnehmer auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) zugreifen kann, muss er nach telefonischer Mitteilung seines krankgeschriebenen Mitarbeiters eine entsprechende Anfrage über den Kommunikationsserver der Krankenkasse stellen. Erst dann wird die Bescheinigung bereitgestellt – soweit die Theorie.
Probleme können dann auftreten, wenn die Krankschreibung bei der Krankenkasse noch nicht bekannt ist – beispielsweise, wenn die Arztpraxis bedingt durch Schwierigkeiten mit der Software oder wegen einer fehlenden Internetverbindung die Daten nicht versenden konnte. Dann erhält der Arbeitgeber auf seine Anfrage von der Krankenversicherung lediglich eine Fehlermeldung. „In diesem Fall kann es beim Abruf der eAU zu einer zeitlichen Verzögerung (Postweg) kommen“, heißt es von der DBA.
In jedem Fall soll auch bei der eAU gewährleistet werden, dass der Arbeitgeber wie bisher nichts von einer Diagnose oder einem genauen Befund erfährt. Ihm wird lediglich die Zeit der Krankschreibung mitgeteilt und ob es sich um eine Neu- oder Folgeerkrankung handelt.
Welcher Arzt den Arbeitnehmer krankgeschrieben hat, bleibt dem Arbeitgeber im Gegensatz zu früher verborgen. Der Datenschutz wird nach Aussage des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der elektronischen Verfahrensweise gewährleistet.
1,25 Millionen Stunden Mehrarbeit
Der Mehrwert der eAU ist umstritten. Laut dem Deutschen Ärztetag ist lediglich die GKV Nutznießer, „da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dann von dieser nicht mehr eingescannt werden müssen“. Auch für die Arztpraxen stelle die eAU keinen Fortschritt dar, weil zusätzlich zur Online-Weiterleitung an die Krankenkassen ein Papierausdruck erfolgen müsse.
Bereits im letzten Jahr startete eine Testphase für die Umsetzung der eAU. „Hinterher ist man immer schlauer“, meldete die KBV im Nachgang. Nicht überall gelang die Durchführung problemlos. Nur in einigen Fällen konnten die Ärzte die eAU an die Krankenkassen übermitteln. Bei einzelnen Krankenkassen wie der Techniker Krankenkasse war dies in mehr als der Hälfte der Fälle gelungen. Andere Kassen hingegen, wie AOK oder BKK, waren nicht oder nur teilweise erreichbar. Auch seitens der Arbeitgeber gab es Probleme, die Krankschreibung abzurufen.
Laut KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel hat die Testphase gezeigt, wie es nicht laufen sollte. Schon im Vorfeld hatte die KBV mehrfach davor gewarnt, „diese Massenanwendung ohne Marktreife einzuführen“. Bemängelt wurde insbesondere der Zeitverzug für die Übertragung, die bis zu 30 Minuten betrug. „Die Patienten waren dann längst weg, sodass die Praxis im Fall von Übermittlungsproblemen die AU-Bescheinigung selbst per Post an die Kassen senden musste“, schildert die KBV.
„Pro Fall verursacht das digitale Verfahren der eAU aktuell 50 Sekunden mehr bürokratischen Aufwand als die papiergebundene Bescheinigung. Bei jährlich etwa 90 Millionen ausgestellten eAUs summiert sich dies auf 1,25 Millionen Stunden mehr Bürokratie in den Praxen“, rechnet Professor Volker Wittberg von der FHM, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau.
Während der Frust bei den Heilberufen über den Mehraufwand der Digitalisierung wachse, würde die Arbeit bei den Krankenkassen erleichtert, kritisierte auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. Eine echte Abhilfe würden hingegen ein elektronisches Bonusheft oder elektronische Heil- und Kostenpläne darstellen.
Was Arbeitnehmer wissen sollten
Ob die neue eAU nun Anlass gibt, Millionen Arbeitsverträge zu überarbeiten, ist nicht klar. Üblicherweise ist vertraglich geregelt, dass ein Arbeitnehmer seinen Chef im Krankheitsfall innerhalb einer bestimmten Frist informieren und binnen etwa dreier Tagen eine ärztliche Bescheinigung vorlegen muss. Aufgrund der elektronischen Anpassung ist diese Klausel – bis auf Ausnahmen – ab Januar nicht mehr zeitgemäß.
In jedem Fall tut der Arbeitnehmer gut daran, die ihm erteilte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in seinen Unterlagen abzuheften, um möglichen Streitigkeiten vorzubeugen. „Nur so sichert der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung und vermeidet eine Abmahnung oder Kündigung wegen Untätigkeit“, erklärte Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, gegenüber „Focus“.
Um Schwierigkeiten vorzubeugen, kann der Arbeitnehmer sich auch bei dem Arbeitgeber rückversichern, ob die eAU abgerufen werden konnte.
In Arztpraxen, die nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen, soll den Patienten auch in Zukunft eine dreifache Krankschreibung (für Versicherten, Krankenkasse und Arbeitgeber) erteilt werden. Ein digitaler Versand ist in diesen Fällen entbehrlich, teilt die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit. In solchen Fällen reicht der Arbeitnehmer wie üblich den Krankenschein in seinem Betrieb und bei der Krankenkasse ein.
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