Versammlung, Demo oder doch nur ein Spaziergang?
Alle Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, heißt es im Grundgesetz Artikel 8. In Deutschland kommt es jedoch immer wieder zu gewaltsamen Auflösungen von Versammlungen und „Spaziergängen“ durch die Polizei. Die Epoch Times sprach mit dem Rechtsgelehrten Prof. Dr. Martin Schwab, der an der Bielefelder Universität tätig ist, über rechtliche Aspekte der „Montagsspaziergänge“.
Herr Schwab, können Sie darstellen, wie die „Spaziergänge“ rechtlich einzuordnen sind und ob es rechtlich Möglichkeiten gibt, solche Proteste zu unterbinden?
Die Eingangsnorm für die Antwort auf diese Frage ist Grundgesetzartikel 8: „Alle Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Und dann haben wir einen Absatz 2, der sagt: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Grundrecht durch Gesetz eingeschränkt werden.“ Es ist eingeschränkt worden durch das Versammlungsgesetz des Bundes und durch die Versammlungsgesetze der Länder. Dort wird dann auch teilweise definiert, was eine Versammlung ist.
Sie ist ja eine Form kollektiver Meinungsäußerung. Wenn man so will, ist das die Fortsetzung von Grundgesetzartikel 5, dass jeder Mensch das Recht zur freien Meinungsäußerung hat. Und diese Versammlung ist dann eben eine Versammlung mit dem Ziel, an diesem Meinungsaustausch teilzunehmen.
Die Versammlungsgesetze sagen aus, dass Versammlungen nur, wenn sie nicht friedlich sind oder wenn sie mit Waffen stattfinden oder wenn sie staatsfeindliche Zwecke verfolgen, verboten werden können. Dies trifft auch zu, wenn sich verbotene Vereinigungen oder verfassungswidrige, verbotene Parteien versammeln. Und darüber hinaus gibt es einen einfachen Auffangtatbestand, der sagt, Versammlungen können verboten werden, wenn von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und dieser Gefahr nicht anders begegnet werden kann.
Jetzt konkret zur Anmeldepflicht, die in der verfassungsrechtlichen Literatur hochgradig umstritten ist. Viele Stimmen in der Staatsrechtslehre sagen, diese Meldepflicht ist verfassungswidrig. Karlsruhe selbst hat ein paar Einschränkungen eingezogen: „Spontanversammlungen dürfen nicht unter Anmeldevorbehalt gestellt werden, wenn man sich, ohne es vorher abgesprochen zu haben, mal zusammenfindet und Eilversammlungen auch nicht.“
Jetzt kann man sich die Frage stellen: „Ist der Spaziergang eine Versammlung?“ Wenn da Parolen skandiert werden, dann ganz bestimmt. Auch, wenn da Schilder und Banner hochgehalten werden. Wenn da aber nur Kerzen getragen werden, dann würde mir das persönlich nicht reichen. Wenn Menschen einfach nur daher laufen, ohne irgendetwas zu sagen, dann sind sie von normalen Passanten nicht zu unterscheiden. Dann muss man schon einigen Argumentationsaufwand betreiben, um darin eine Versammlung mit einer politischen Botschaft zu erblicken.
Wie schätzen Sie rechtlich das Einkesseln, das Auffahren von Wasserwerfern, das Besprühen mit Reizgas, aber auch das Festnehmen von Menschen ein, weil sie keine Maske tragen oder nicht den Platz verlassen?
Wenn diese Anmeldepflicht irgendeinen legitimen Sinn hat, dann geht es einfach nur darum, dass die Polizei wissen muss: „Wie viele Polizeikräfte muss ich einsetzen, um die Versammlung zu schützen und die Friedlichkeit sicherzustellen?“ Das heißt, die Polizei darf nicht eingesetzt werden, um die Demonstranten einzuschüchtern. Und schon gar nicht darf die Polizei eine Versammlung behindern. Das Einkesseln ist unter gar keinen Umständen zulässig. Denn das wäre ja dann schon eine Maßnahme unmittelbaren Polizeizwangs.
Den darf ich aber erst ausüben, wenn ich ein rechtmäßiges oder zumindest sofort vollziehbares Auflösungsgebot habe. Wenn also die Polizei anordnet, die Versammlung ist aufgelöst, weil eben nicht gewährleistet ist, dass sie friedlich und ohne Waffen stattfindet, dann darf die Polizei Zwangsmittel einsetzen. Sie können aber nicht einfach sagen: „Wir kesseln euch jetzt ein!“ Dies ist deshalb schon problematisch, weil den Versammlungsteilnehmern ja häufig Abstandsgebote auferlegt werden. Wenn die öffentliche Polizeigewalt es aber selber verhindert, dass die Abstände eingehalten werden können und so praktisch den Grund, warum jetzt gegen Auflagen verstoßen wird, selber provoziert, dann ist das schlicht und einfach widersprüchliches Verhalten.
Was die Festnahme anbelangt: Sie bedeutet ja, die Polizei nimmt jemanden in Gewahrsam. Das kann sie etwa machen, wenn es gar nicht anders geht, um einen Platzverweis durchzusetzen. Wenn ich jemandem sage: „Du trägst keine Maske! Du gehst jetzt nach Hause!“ Und er geht freiwillig nach Hause, dann besteht keine Rechtfertigung dafür, ihn in Gewahrsam zu nehmen. Nach dem Polizeigesetz in NRW ist eine Gewahrsamnahme beispielsweise auch möglich, um jemanden von einer Ordnungswidrigkeit abzuhalten, die von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit wäre, und dies anders nicht möglich ist.
Dabei stellt sich die Frage, wie wichtig ist das Maskengebot auf Demonstrationen? Für einen Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg habe ich einen Schriftsatz erstellt. Dabei ging es um eine Verfügung, in der sowohl Masken als auch Abstand angeordnet wurden. Dann habe ich mir mal die WHO-Empfehlung vom 1. Dezember 2020 angeguckt. Diese empfiehlt Masken unter freiem Himmel nur, wenn Abstände von einem Meter nicht eingehalten werden können. Das heißt, sowohl Abstand als auch Masken dürfen nicht generell angeordnet werden, schon gar nicht ein Abstand von 1,50 Meter. Die gehen über die Empfehlungen der WHO hinaus, ohne dafür wissenschaftliche Beweise liefern zu können. Eine solche Verfügung ist in meinen Augen schlicht und ergreifend rechtswidrig.
Sehen Sie in den Begründungen der Landesregierungen bzw. der Bundesregierung eine ausreichende Faktenlage gegeben, die es rechtfertigt, die Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen einzuschränken?
Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie ohne ausreichende Faktenlage das wirklich für die Demokratie lebenswichtige Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht einschränkt. Wenn die WHO selber erklärt, dass man unter freiem Himmel keine Maske braucht, es sei denn, man kann den Abstand von einem Meter nicht einhalten, dann sehe ich keine Grundlage, warum man „Spaziergänge“ unter freiem Himmel verbieten soll. Die Leute sind bei einer mobilen Versammlung ja automatisch weiter voneinander weg, da sie sich nicht gegenseitig auf die Füße treten wollen.
Ansonsten brauche ich natürlich eine belastbare Darstellung des Infektionsgeschehens und nicht nur irgendwelche PCR-Testergebnisse, die ich als Infektion verkaufe. Es ist weithin bekannt, dass ein PCR-Test nicht feststellen kann, ob ein Virus sich vermehrt oder nicht. Auch das Robert Koch-Institut weiß dies. Man kann dies im Epidemiologischen Bulletin Nr. 39 aus 2020, Seite 5 rechte Spalte unten, herausgegeben vom RKI, nachlesen. An diesem wirkte RKI-Chef Lothar Wieler selbst mit.
Ist mit Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes die Vorgabe durch Bundes- und Landesgesetze vereinbar, dass für eine öffentliche Versammlung immer ein Leiter vorhanden sein muss?
Das mit dem Versammlungsleiter ist doch nur vorstellbar mit Blick auf die Anmeldepflicht. Man will irgendeinen Ansprechpartner haben, den man verantwortlich machen kann, wenn irgendwas schiefläuft. Verfassungsrechtlich ist das in keiner Weise zwingend geboten. Die Gerichte versuchen sich manchmal damit zu behelfen, dass sie dann Menschen, die mit der Polizei sprachen, als sogenannte „faktische Versammlungsleiter“ ansieht und ihnen fortan die Verantwortung für den Ablauf der Versammlung überträgt. Ich halte die Pflicht zu einem Leiter, – genauso, wie die Anmeldepflicht selber – für verfassungsrechtlich problematisch.
Sind generelle Versammlungsverbote für Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel aus Infektionsschutzgründen, die nicht konkret durch verifizierbare, valide Daten belegt werden, aus Ihrer Sicht staatsrechtlich haltbar?
Grundrechtseinschränkungen dürfen nie auf der Basis von Willkür erfolgen, sondern bedürfen belastbarer Fakten. Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht die Versammlungsverbote, die „Spaziergangsverbote“ in Freiburg für verfassungskonform erklärt. Es hielt die Annahmen der Verwaltungsgerichte, dass die „Spaziergänger“ keine Masken tragen und keine Abstände halten wollen, offensichtlich für nicht fehlsam. Es sind jedoch schlicht und einfach Spekulationen.
Ich stelle dem jetzt mal eine Entscheidung aus Lüneburg entgegen. Im April 2021, kurz vor Einführung der Bundesnotbremse, hat das OVG Lüneburg in zweiter Instanz eine Allgemeinverfügung der Region Hannover gekippt. Darin wurde eine Ausgangssperre mit der Begründung angeordnet: „Ja, sonst feiern die ja alle Partys.“ Daraufhin erklärte das OVG : „Passt mal auf, Freunde! Erstens: Nach einem Jahr Pandemie kann ich vielleicht doch ein bisschen mehr an wissenschaftlicher Durchdringung erwarten. Und zweitens: Liebe Behörden, ihr müsst schon belastbare Anhaltspunkte dafür haben, dass die Leute sich dann alle zu Partys versammeln. Und warum habt ihr es nicht mal mit milderen Mitteln, wie etwa der Sperrung besonders beliebter Plätze versucht, bevor ihr die Leute zu Hause einsperrt?“ So geht ein Verwaltungsgericht vor, das seine Aufgaben ernst nimmt. In Freiburg geschah das Gegenteil. Zudem stellte Karlsruhe in dieser Entscheidung nicht die Frage: „Ja, gibt es vielleicht Gründe, einen Spaziergang nicht anzumelden?“
In Karlsruhe hat man offensichtlich nicht begriffen, dass diese „Spaziergänge“ nicht nur die Unzufriedenheit der Menschen mit der Politik zum Ausdruck bringen, sondern auch Misstrauen in die Staatsgewalt. Und Karlsruhe hat es zur Gänze versäumt, der Frage nachzugehen: „Wo kommt denn dieses Misstrauen her?“
Ein Bundesverfassungsgericht, das allen Ernstes in mündlichen Verhandlungen im Gerichtssaal 2G mit PCR-Test anordnet und damit Menschen ohne Impfung ein wichtiges Element rechtlichen Gehörs verwehrt, hat schon längst aufgehört, unsere Verfassung zu schützen. Das ist nur ein weiterer leidvoller Baustein in einer Episode der Karlsruher Rechtsprechung, auf deren Bewertung durch Historiker ich sehr gespannt sein werde.
Aber es gibt ja die Erfahrung, dass die Polizei an manchen Orten über die Stränge schlägt. Dies geschieht nicht überall. Wenn ich die Befürchtung haben muss, dass die Polizei mich einkesseln wird, dass sie schon mit Wasserwerfern dastehen, bevor es überhaupt losgeht. Wenn ich mich also nicht darauf verlassen kann, dass die Polizei meine Versammlung schützt, sondern selber torpediert, dann habe ich vielleicht einen Grund, sie nicht anzumelden. Das wäre, wenn es sich durch nachprüfbare Fakten belegen lässt, ein verfassungsrechtlich relevanter Grund, eine Versammlung nicht anzumelden.
Deswegen ist auch die Gesamtsituation ein Aspekt, den wir in die verfassungsrechtliche Würdigung einbeziehen müssen: „Wie vertrauenswürdig ist die Staatsgewalt?“ Diese Frage hätte ich mir vor zwei Jahren niemals stellen wollen. Aber jetzt müssen wir sie uns stellen.
Martin Schwab studierte Rechtswissenschaft in Regensburg und Heidelberg. Nach seinem Referendariat am Landgericht Heidelberg arbeitete Schwab als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg, 1997 promovierte er dort.
Nach einem Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) habilitierte er 2002 ebenfalls in Heidelberg. Es folgten Lehrstuhlvertretungen in Heidelberg und Hamburg. Ab 2003 war er Professor für Zivilrecht an der Freien Universität Berlin. Seit Oktober 2015 ist er Universitätsprofessor an der Universität Bielefeld.
Er ist Mitglied der Basisdemokratischen Partei Deutschland (dieBasis). Für diese kandidierte er bei der Bundestagswahl 2021 auf der Landesliste seiner Partei in Nordrhein-Westfalen.
Das Interview führte Stephan Kröker.
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