„Verfolgen statt nur löschen“: Sonderermittler gegen Hatespeech rüsten auf

„Verfolgen statt nur löschen“– das ist die Devise eines neuen Projektes gegen Hatespeech in NRW. Staatsanwalt Christoph Hebbecker ist für das Projekt zuständig und ermittelt gegen die Verbreiter von Hasskommentaren im Internet.
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Ältere Männer seien überrepräsentiert, was aber auch daran liegen könne, dass sie tendenziell weniger gut darüber Bescheid wüssten, wie man im Internet anonym bleiben könne, so Staatsanwalt Christoph Hebbecker.Foto: Cineberg/iStock
Epoch Times21. Juli 2019

Staatsanwalt Christoph Hebbecker ermittelt gegen die Verbreiter von Hasskommentaren im Internet. Zusammen mit einer Kollegin ist der 34-Jährige seit vergangenem Jahr für das gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien NRW initiierte Projekt „Verfolgen statt nur löschen“ zuständig.

Das Sonderdezernat ist bei der 2016 gegründeten „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt. Es verfolgt gravierende Fälle politisch motivierter Hassrede im Internet. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke – nach Todesdrohungen im Internet – hat der Ermittlungsarbeit noch einmal eine zusätzliche Dringlichkeit verliehen.

Redakteure zeigen nach Weiterbildung Hasskommentare an

Das Sonderdezernat kooperiert mit Medienhäusern wie dem WDR, RTL und mehreren Zeitungen. Redakteure dieser Medien zeigen Hasskommentare in einem einfachen digitalen Standardverfahren an.

Sie haben dafür eine spezielle Weiterbildung erhalten, um besser erkennen zu können, was noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist und was eine Straftat sein könnte. Dazu gehören Volksverhetzung und Aufrufe zur Begehung von Straftaten.

Die Abwägung sei schwierig und habe den Redakteuren anfangs Probleme bereitet, erzählt Hebbecker. Inzwischen seien aber viele schon sehr sicher, so dass „in der überwiegenden Mehrzahl der gemeldeten Fälle“ tatsächlich Ermittlungsverfahren eingeleitet würden.

Hebbecker: Löschen von rechtswidrigen Inhalten ist nicht genug

Weitere Fälle meldet das Bundesamt für Justiz, das die Einhaltung des 2017 erlassenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes überwacht.

Dieses Gesetz sieht das Löschen rechtswidriger Inhalte vor. „Allerdings ist nur Löschen für Strafverfolger nie zufriedenstellend“, sagt Hebbecker. „Denn das ist ja so ähnlich wie wenn ein ertappter Ladendieb lediglich aufgefordert würde, die gestohlene Ware nur wieder zurückzulegen.“

Dagegen stellen die Kölner Staatsanwälte den Leitspruch „Verfolgen statt nur löschen“. Die Zahl der Beschuldigten beläuft sich mittlerweile auf etwa 80.

Staatsanwalt Christoph Hebbecker in seinem Büro in Köln. Die Ankläger von der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ verfahren nach der Divise „Verfolgen statt nur löschen“. Die Zahl der Beschuldigten beläuft sich mittlerweile auf etwa 80. Foto: Oliver Berg/dpa

Beschuldigte überrascht von Durchsuchungen

Sie lassen sich nach Hebbeckers Beobachtung in zwei Gruppen einteilen: Den einen ist gar nicht klar, dass man keineswegs alles sagen darf, was man will. Die anderen ahnen es zwar, rechnen aber nicht mit einer Verfolgung.

Ich habe noch keinen einzigen Beschuldigten getroffen, der bei einer Durchsuchungsmaßnahme gesagt hat: ‚Naja, das musste ja so kommen.‘ Sie sind alle extrem verwundert und fragen: ‚Was ist denn jetzt los?’“, so Hebbecker.

Die Beschuldigten stammten aus der ganzen Republik, erläutert Hebbecker. Darunter seien mehr Männer als Frauen, „aber mehr Frauen als ich gedacht hätte“. Ältere Männer seien überrepräsentiert, was aber auch daran liegen könne, dass sie tendenziell weniger gut darüber Bescheid wüssten, wie man im Internet anonym bleiben könne.

So durchsuchte die Staatsanwaltschaft vor einiger Zeit die Wohnung des Inhabers eines kleinen Elektrobetriebs. Er hatte im Internet zu Gewalt gegen illegale Migranten und Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgerufen. „Unrechtsbewusstsein gleich null“, schildert Hebbecker. Der Mann wurde zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt und ist damit jetzt vorbestraft.

„Stasi-Hebbecker“-Kritik – Staatsanwalt verteidigt das Vorgehen

„Stasi-Hebbecker“ muss er sich dafür im Netz schon mal nennen lassen. Der Sonderermittler weist das entschieden zurück. „Kommentare wie „Ich mag keine Flüchtlinge“, „Schiebt sie alle wieder ab“ oder „Merkel muss weg“ sind für uns in keiner Weise relevant“, betont er. Es gehe ausschließlich um radikale Aufrufe zu Hass und Gewalt.

Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist es doch wohl eher, wenn ganze Kommentarspalten abgeschaltet werden müssen, weil die Redakteure die Löschung der Hasskommentare einzeln nicht mehr bewältigen können.“

Woher der Hass kommt? Das ist eine Frage, die auch Hebbecker beschäftigt. Eine Antwort hat er bisher nicht gefunden.

„Erst anzeigen, dann löschen“: Bundesländer rüsten im Kampf gegen Hatespeech auf

Nordrhein-Westfalen ist nicht das einzige Bundesland, das zurzeit gegen das Phänomen Hatespeech aufrüstet: So baut Hessen zusätzliche Stellen dafür bei seiner Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (ZIK) auf.

In Bayern sollen Medienunternehmen spätestens vom Herbst an leichter Strafanzeige wegen Hasspostings erstatten können. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) formulierte dafür als neue Leitlinie: „Erst anzeigen, dann löschen!“ (dpa/as)



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