Verfassungsschutzbericht: Zuwachs bei Links- und Rechtsextremismus
Der Verfassungsschutz hat die radikale Klimaschutz-Bewegung „Ende Gelände“ als linksextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit kann der Inlandsgeheimdienst zur Beurteilung der Aktivitäten nun auch nachrichtendienstliche Mittel nutzen, wie etwa Observation oder Informanten.
Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023, der heute veröffentlicht wurde, ist von einer „Verschärfung von Aktionsformen bis hin zur Sabotage“ die Rede.
Grundsatzpapiere von „Ende Gelände“ lassen nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zudem „deutlich eine Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen der Gruppierung erkennen“. Im April hatten rund 100 Klimaaktivisten der Gruppe in Gelsenkirchen das Uniper-Steinkohlekraftwerk Scholven blockiert.
Mehr Menschen im extremistischen Spektrum
Insgesamt hat der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr einen Zuwachs sowohl bei Linksextremismus als auch im Rechtsextremismus festgestellt.
Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2023 um 500 auf insgesamt 37.000 Personen gestiegen. Mehr als jeder vierte Linksextremist ist den Behörden zufolge als gewaltorientiert einzuschätzen. Bei den linksextremistisch motivierten Straftaten gab es auch einen Zuwachs an Gewalttaten (um 20,8 Prozent auf 727 Delikte).
Insbesondere nahm Gewalt gegen Polizeibeamte deutlich zu, darunter ein nach derzeitigem Ermittlungsstand versuchter Mord. Der Versuch der Beeinflussung der Klimaprotestbewegung durch Linksextremisten mit dem Ziel einer Radikalisierung der Aktionsformen hin zur Sabotage von Infrastruktur setzte sich fort.
Ähnlich verlief die Entwicklung im rechtsextremistischen Spektrum. Der Verfassungsschutz schätzte hier 14.500 von insgesamt rund 40.600 Rechtsextremisten als gewaltbereit ein. Den Parteien Heimat (vormals NPD) und Die Rechte rechnet der Nachrichtendienst inzwischen weniger Mitglieder zu als noch vor Jahresfrist.
Die Vernetzung von Akteuren im Bereich der „Neuen Rechten“ nimmt weiterhin zu. Zudem ist 2023 auch das Personenpotenzial der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ erneut um 2.000 Personen auf insgesamt 25.000 angewachsen. Das gewaltorientierte Personenpotenzial liegt bei weiterhin rund zehn Prozent, also 2.500 Personen (2022: 2.300).
Das Gefährdungspotenzial durch die Waffenaffinität vieler Szeneangehöriger besteht laut Verfassungsschutzbericht fort. Im Jahr 2023 wurden mindestens 360 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen oder freiwillig zurückgegeben.
AfD heterogen – nicht alle extremistisch
Anders sieht es bei der AfD aus, die der Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Aus den Reihen der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation, Junge Alternative (JA), rechnet das Bundesamt inzwischen 11.300 Mitglieder dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zu, wobei Doppelmitgliedschaften in Partei und JA abgezogen sind.
Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 waren rund 10.200 AfD-Mitglieder und JA-Angehörige aufgeführt worden. Um das extremistische Potenzial innerhalb der AfD einzuschätzen, hatte sich der Verfassungsschutz damals auf die Wahl- und Abstimmungsergebnisse beim Bundesparteitag 2022 in Riesa sowie auf Äußerungen von Parteifunktionären berufen.
Im aktuellen Bericht heißt es: „Es besteht weiterhin eine – wenn auch signifikant abnehmende – Heterogenität innerhalb der Partei, sodass nicht alle Parteimitglieder als Anhänger extremistischer Strömungen betrachtet werden können.“ Die AfD hat seit 2022 nach eigenen Angaben netto Mitglieder dazugewonnen.
Islamismus/islamistischer Terrorismus
Im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus zeigt sich ein annähernd gleichbleibendes Personenpotenzial von 27.200 Personen (2022: 27.480). Europa und damit auch Deutschland stehen laut Verfassungsschutz weiterhin und verstärkt im Fokus terroristisch-jihadistischer Organisationen, vor allem des ISPK.
Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland sowie für deutsche Interessen und Einrichtungen weltweit hat sich seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel weiter erhöht. Sowohl der IS als auch Al-Qaida haben die Ereignisse im Nahen Osten zum Anlass genommen, zum „Jihad“ aufzurufen.
Das Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus ist im Vergleich zum Vorjahr mit 30.650 Personen (2022: 29.750) weiter leicht angestiegen. Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland ist weiterhin die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit 15.000 Anhängern (2022: 14.500).
Zahl der Straftaten gestiegen
Die Zahl der Straftaten mit extremistischem Hintergrund in Deutschland ist 2023 erneut auf einen neuen Höchststand gestiegen. Wie aus dem Verfassungsschutzbericht 2023 hervorgeht, wurden insgesamt 39.433 solcher Straftaten gezählt. Bei 2.761 handelte es sich demnach um Gewalttaten. 2022 waren es 35.452 Straftaten und davon 2.847 Gewalttaten – auch das war bereits ein neuer Höchststand.
Die Bedrohung durch Spionage, illegitime Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe hat sich laut Bericht gegenüber 2022 weiter verschärft. Die Hauptakteure dieser gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten sind Russland, China und der Iran.
Propaganda und Desinformation – vor allem durch das russische Regime – haben noch einmal deutlich an Intensität gewonnen. Auch das strategisch gesteuerte Vorgehen Chinas forderte die Cyber- und Spionageabwehr in besonderem Maße.
Faeser: Angespannte Sicherheitslage
„Die Sicherheitslage bleibt angespannt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Wir haben alle Schutzmaßnahmen massiv hochgefahren, um uns gegen die aktuellen Bedrohungen durch Extremismus, Terrorismus und hybride Bedrohungen zu wappnen.“ Das sei auch notwendig, „denn die Bedrohung unserer Demokratie durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe hat eine neue Dimension erreicht“, so Faeser.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sprach unterdessen von „einem sehr hohen Niveau von Bedrohungen“. Deutschland stehe im Fokus – vor allem von Gruppen wie dem ISPK. „Aber auch radikalisierte Einzeltäter ohne erkennbare Anbindung an Terrororganisationen stellen eine große Gefahr dar.“ Der Nahostkonflikt habe zudem wie ein Brandbeschleuniger für den Antisemitismus in Deutschland gewirkt, „der ein Brückennarrativ für teilweise sehr unterschiedliche Extremismusfelder ist“, so Haldenwang. (dpa/dts/red)
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