Verfassungsschutz warnt vor anhaltender Gefahr durch Terrormiliz IS
Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor einer möglichen Neugruppierung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), die auch für Europa relevant sein könnte. Die Gruppierung, die vor allem in den 2010er-Jahren weltweit Schrecken verbreitete, gilt in ihren Kernländern Syrien und Irak als weitgehend besiegt. Dennoch gehe vom IS nach wie vor ein Gefahrenpotenzial aus – und dieses drohe sogar wieder zu wachsen.
IS in Chorasan hat auch ein Auge auf Europa
Besondere Sorge bereitet Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang das Erstarken des IS-Ablegers in Afghanistan. Dieses verstärke „auch die Gefährdungslage in Deutschland“, äußerte Haldenwang gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa).
Der dort aktive „Islamische Staat Provinz Chorasan“ (engl.: ISPK) steche unter den internationalen Ablegern hervor. In Afghanistan bekämpfe die Miliz die Taliban und sammele Anhänger unter Eliten, die seit deren Machtübernahme im August 2021 an Einfluss verloren hätten.
Um ihren Führungsanspruch innerhalb des Terrornetzwerks zu untermauern, schaue der ISPK jedoch auch „in Richtung Europa“. Es sei davon auszugehen, dass Anschläge gegen „Ungläubige“ in Planung stünden.
Verfassungsschutz: „Alle möglichen Szenarien im Blick“
Spektakuläre Terrorakte im Westen könnten der Miliz wieder die mediale Aufmerksamkeit zurückbringen, die sie in den vergangenen Jahren eingebüßt hat. Diese hatte dem IS in den 2010er-Jahren zu einem hohen Bekanntheitsgrad verholfen. Hergestellt wurde sie durch Terroranschläge und besonders sadistische Morde an Gefangenen und Zivilisten, die gefilmt und über soziale Netzwerke verbreitet wurden.
Zu den folgenschwersten Anschlägen aus jüngster Zeit in Europa, die dem IS zugeordnet werden, gehört unter anderem jener vom November 2020 in Wien. In Hamburg sitzen derzeit zwei Jugendliche im Alter von 16 und 18 Jahren in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt legt ihnen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zur Last. Beide jungen Männer gelten als Sympathisanten des IS.
Die Sicherheitsbehörden in Deutschland seien wachsam, betonte Verfassungsschutzpräsident Haldenwang gegenüber der dpa. Sie hätten angesichts der unverändert hohen Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus „alle möglichen Szenarien im Blick“. Zu diesen Szenarien zählt der Verfassungsschutz sowohl selbst radikalisierte Einzeltäter als auch Menschen, die durch den IS angeleitet worden seien.
Terrormiliz kehrt nach Syrien und in den Irak zurück
Auch im Irak und in Syrien selbst hatte der IS spätestens seit 2019 seine Aktivitäten wieder aufgenommen. In beiden Ländern konnte die Miliz 2014 und 2015 umfangreiche Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Länder wie die USA, Russland und die Türkei riefen daraufhin Koalitionen ins Leben, um den IS und weitere Terrororganisationen in der Region zu zerschlagen.
Mittlerweile steigt jedoch die Zahl der Terroranschläge, zu denen sich der IS bekennt, in beiden Ländern wieder. Im Jahr 2022 verübte der IS erneut bewaffnete Angriffe und Sprengstoffanschläge in Syrien und im Irak. Dies geht aus Berichten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) hervor.
Schwerpunkte waren dabei die Region westlich des Euphrat und die Wüsten bei Deir ez-Zor, Al-Raqqah, Homs, Al-Suwaidaa, Hama und Aleppo. Dazu kamen Angriffe und Sprengstoffanschläge in den Gebieten Nordostsyriens, die unter der Kontrolle der PKK-nahen YPG-Miliz stehen.
Beobachter gehen zudem davon aus, dass das dort gelegene Lager Al-Hol zu einer Rekrutierungsbasis für künftige IS-Kämpfer werden könnte. Mehrere Zehntausend Personen aus den früheren IS-Gebieten sind dort nach wie vor interniert.
IS-Rückkehrer stehen weiter im Visier des Verfassungsschutzes
Darüber hinaus strebte die Terrormiliz in der Vergangenheit eine weltweite Ausdehnung an. Neben Afghanistan gelten auch die Philippinen als mögliches Rekrutierungsgebiet. In Afrika stehen unter anderem Nigeria und der Kongo im Visier der Dschihadisten.
Der Verfassungsschutz beobachtet zudem weiterhin die Aktivitäten von Syrien-Rückkehrern in Deutschland, von denen einige noch Haftstrafen verbüßen. Andere stiegen aus und fanden – begleitet von Deradikalisierungsmaßnahmen – den Weg zurück ins zivile Leben.
Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass etwa ein Drittel der ins Kampfgebiet ausgereisten IS-Anhänger mittlerweile wieder zurück in Deutschland ist. Welche Gefahr von den Rückkehrern ausgehe, müsse jeweils im Einzelfall bewertet werden. Ein besonderes Sicherheitsrisiko stellten ideologisch indoktrinierte oder im Kampfgebiet militärisch geschulte Personen dar, so der Verfassungsschutz.
Der Inlandsgeheimdienst habe zudem weiterhin ein Auge auf salafistische Gruppierungen, die nach seiner Einschätzung als „Durchlauferhitzer“ für Radikalisierungsprozesse fungieren könnten.
(Mit Material von dpa)
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