Verfassungsschutz-Keule: Was die AfD tatsächlich zu befürchten hat

Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat ein weiteres Gutachten im Auftrag der AfD verfasst. Darin geht es um die möglichen beamtenrechtlichen Risiken, die für Mitglieder der Partei im Staatsdienst im Fall einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz verbunden wären. Die Partei wäre gegen eine solche allerdings nicht völlig wehrlos.
Von 19. November 2018

Für Langzeit-Parteichef Rolf Schlierer und dessen späteren Nachfolger Johann Gärtner war Ende Mai 2007 ein großer Moment gekommen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte den Verfassungsschutzbericht des Bundes über das Jahr 2006 vorgestellt, und erstmals nach fast anderthalb Jahrzehnten waren „Die Republikaner“ nicht mehr unter der Rubrik „Rechtsextremistische Bestrebungen“ aufgeführt. Dieser Schritt erfolgte nicht ganz freiwillig: Bereits ein Jahr zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem richtungsweisenden Urteil die nachrichtendienstliche Beobachtung des Berliner Landesverbandes ab dem Jahr 1997 für unzulässig erklärt.

Allerdings hatte die in den späten 1980er und teilweise noch in den 1990er Jahren erfolgreiche rechtskonservative Partei keinen erkennbaren Nutzen mehr aus ihrem Sieg: Die Republikaner waren längst aus allen Landtagen verschwunden. Bei der Bundestagswahl 2005 kamen sie wie schon drei Jahre zuvor nur noch auf 0,6 Prozent der Zweitstimmen. Als sie offiziell als verfassungstreue Partei rehabilitiert waren, kämpften sie nicht mehr um Parlamentssitze, sondern nur noch um das Erreichen der Hürde für die Wahlkampfkostenrückerstattung.

Die Geschichte der 1983 von Mitgliedern des Wehrpolitischen Arbeitskreises der CSU und dem ehemaligen Fernsehjournalisten Franz Schönhuber gegründeten Partei – Anlass war der Milliardenkredit der bayerischen Staatsregierung unter Franz-Josef Strauß an die DDR – beschäftigt zurzeit vor allem die AfD.

Nicht wenige ihrer Mitglieder und Funktionsträger argwöhnen, dass die unter fadenscheinigen Gründen vollzogene Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen den Weg frei machen soll, um die Verfassungsschutzkeule auch gegen ihre Partei einzusetzen.

Strukturelle Ähnlichkeiten – aber auch Unterschiede zu 1992/93

In mancherlei Hinsicht gibt es strukturelle Ähnlichkeiten zu 1992/93, als die Innenminister von NRW und Bayern mit der nachrichtendienstlichen Beobachtung der REP den Anfang machten. Die Republikaner lagen in Umfragen bundesweit knapp über der Fünf-Prozent-Hürde, in Bayern gar bei 20 Prozent. Asylbewerberzahlen in sechsstelliger Höhe sorgten für Unmut in der Bevölkerung, die etablierten Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Medien warnten hingegen vor einer „Gefahr von rechts“ und rückten die Republikaner in die Nähe einer Serie von Brandanschlägen und anderen Ausschreitungen gegen Einwanderer und Asylanten. Heute ist der Landes-Verfassungsschutz in Thüringen der erste, der erklärt hat, eine Beobachtung des dortigen AfD-Landesverbandes unter Leitung des nationalkonservativen Partei-Exponenten Björn Höcke zu prüfen.

Vieles hat sich seit damals auch verändert. Die etablierten Parteien sind noch weiter nach links gerückt, an ein Einlenken von Union und SPD wie 1993 beim „Asylkompromiss“ ist nicht zu denken. Die Mittelschicht hat im Unterschied zu damals Angst vor der Zukunft und ihr Vertrauen in den Euro und andere große Projekte verloren. Die sozialen Medien haben eine Gegenöffentlichkeit zum etablierten Informationsmonopol geschaffen. Der Leidensdruck in der Bevölkerung ist insgesamt größer geworden. Deshalb steht die AfD jetzt auch, anders als damals die Republikaner, deutlich über zehn Prozent.

Dennoch würden eine nachrichtendienstliche Beobachtung und die damit verbundene Einstufung als „rechtsextremistisch“ der AfD auf Dauer erheblichen Schaden zufügen können. Zwar ist es juristisch gesehen noch ein weiter Weg von einer Einordnung dieser Art bis hin zur tatsächlichen Gefahr eines Parteiverbotes. Dennoch hat auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seiner oben erwähnten Entscheidung Az. 3 B 3.99 vom 6. April 2006 deutlich gemacht, dass eine solche Einstufung auf Grund seiner faktischen Wirkung die Chancengleichheit berührt.

Dem Verfassungsschutzbericht kommt demnach eine Warnfunktion zu. Mit der Einstufung einer in ihm aufgeführten Partei als extremistisch verbinde sich zugleich die Aufforderung an die Öffentlichkeit, diese nicht zu wählen, sie nicht zu unterstützen und ihre Publikationen nicht zu lesen. Der Verfassungsschutzbericht, so heißt es im Urteil, ist damit geeignet, potenzielle Wähler einer Partei davon abzuschrecken, diese tatsächlich zu wählen, sie durch aktive Mitarbeit oder in Form von Spenden zu unterstützen und sich mit ihrem Programm näher zu befassen.

Faktisch stigmatisierende Wirkung einer Beobachtung

Die Einordnung einer Partei als „rechtsextremistisch“ durch den Verfassungsschutz beeinträchtige damit zugleich die freie Entscheidung interessierter Bürger, der Partei beizutreten. Dies gelte insbesondere für Angehörige des öffentlichen Dienstes, die „im Falle der Mitgliedschaft, zumindest der Übernahme von Parteiämtern und Kandidaturen, mit beamtenrechtlichen Nachteilen und disziplinarrechtlichen Maßnahmen rechnen“ müssten.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil mehrfach Dietrich Murswiek zitiert, einen Juristen, der, obwohl er Ende der 1960er Jahre selbst kurzzeitig dem Studentenverband der NPD angehört hatte, in weiterer Folge zu einem der renommiertesten Staatsrechtslehrer des Landes aufgestiegen ist.

Auch die AfD hat jüngst mehrfach den Rat Murswieks gesucht. Vor wenigen Wochen war ein Gutachten bekannt geworden, das sich mit den Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz auseinandersetzt. Einige Medien hatten daraufhin berichtet, Murswiek hätte angedeutet, dass die AfD schon bald durch den Verfassungsschutz beobachtet werden könnte. Der Staatsrechtler wies dies zurück und erklärte, er habe generell die Voraussetzungen und die Grenzen der Zulässigkeit einer solchen Entscheidung skizziert – und anhand vieler Beispiele gezeigt, welche Äußerungen oder Verhaltensweisen in der Praxis der Verfassungsschutzbehörden als „tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ angesehen worden sind, die eine Beobachtung rechtfertigen.

Nun berichtet die „Zeit“, dass Murswiek im Auftrag der AfD ein weiteres Gutachten angefertigt habe, das sich mit Fragen zu beamtenrechtlichen Konsequenzen einer AfD-Mitgliedschaft befasst. Darin macht Murswiek deutlich, dass im Falle einer Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz „jedem Beamten, Soldaten oder Angestellten im öffentlichen Dienst dringend geraten“ sei, sich von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei „entschieden abzugrenzen und sich für eine verfassungsmäßige Ordnung der Partei einzusetzen“. Dieser Einsatz solle auch „möglichst dokumentiert“ werden, „sodass gegebenenfalls ein Nachweis gegenüber den Dienstherrn oder Gerichten möglich ist“. So ließe sich das Risiko dienstrechtlicher Konsequenzen minimieren.

Beobachtung der „Jungen Alternative“ als Probegalopp?

In Niedersachsen, Bremen und Baden-Württemberg scheinen die Verfassungsschutzbehörden bereits erste Probeläufe mit Blick auf die dortigen Organisationen der „Jungen Alternative“ (JA) unternommen zu haben. In allen Fällen reagierte die Bundespartei mit sofortiger Auflösung auf die Ankündigung der nachrichtendienstlichen Überwachung oder die Funktionäre des jeweiligen Verbandes traten von sich aus zurück.

Dieser schnelle Ausweg steht der Partei im Fall des Falles selbst nicht zur Verfügung. Erklären Verfassungsschutzbehörden die AfD zum Beobachtungsobjekt, drohen langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen. Zudem zeigt das Beispiel der Republikaner, dass eine solche Beobachtung das Misstrauen innerhalb der Partei und die Solidarität der Mitglieder untereinander untergräbt.

Dass die AfD vor diesem Hintergrund bereits im Vorfeld den Rat von Juristen sucht, erscheint als naheliegend. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch, warum die Partei an Handreichungen für Mitglieder und Funktionäre arbeitet, die diesen helfen sollen, angreifbare Formulierungen zu vermeiden.

Die Rechtsprechung von Gerichten mit Blick auf die Republikaner oder auch die „Junge Freiheit“, deren langjährige Erwähnung im Verfassungsschutzbericht NRW das Bundesverfassungsgericht am 24. Mai 2005 (Az. 1 BvR 1072/01, BVerfGE 113, 63) als eine „unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit“ wertete, zeigen jedoch, dass die AfD gegen eine Beobachtungsentscheidung nicht wehrlos wäre.

Auch hat die AfD umfassende Vorkehrungen getroffen, um Unterwanderungsversuche zu verhindern. Im Unterschied zu den Republikanern, die auch nach den Ruhstorfer Beschlüssen von 1990 Beitrittsanträge ehemaliger Mitglieder als extremistisch eingestufter Organisationen nur dann einer strengen Prüfung unterzogen, wenn diese dort eine „führende Rolle“ gespielt hatten, gilt bei der AfD ein generelles Aufnahmeverbot für frühere Angehörige solcher Gruppen. Wer sich von diesen und ihrem Gedankengut gelöst hat, kann auch als einfaches Mitglied nur im Wege einer Einzelfallentscheidung in die AfD aufgenommen werden.

Verdachtsberichterstattung im Verfassungsschutzbericht unzulässig

Die Rechtsprechung hat auch deutlich gemacht, dass nur tatsächlich verfassungsfeindliche Organisationen und Personen im Verfassungsschutzbericht als solche Erwähnung finden dürfen. Eine „Verdachtsberichterstattung“ sei unzulässig. Die Voraussetzungen für eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht seien zudem strenger als diejenigen für die Aufnahme und Aufrechterhaltung der Beobachtungen.

Teilweise überspitzte Formulierungen, plakative und populistische Ausdrucksweisen würden darüber hinaus für sich allein nicht den Schluss rechtfertigen, eine Partei stelle die Menschenwürde von Einwanderern, Muslimen oder politischen Gegnern infrage. Vielmehr müssen diese im Wege einer Gesamtschau die Annahme rechtfertigen, es seien tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorhanden.

Auch seien, so das OVG Berlin-Brandenburg, bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung der Kontext, die Begleitumstände und die Zielrichtung der Äußerungen angemessen zu berücksichtigen und es dürfen andere, mäßigende Äußerungen in Verlautbarungen der Partei nicht außer Acht gelassen werden. Dies gelte auch bei sensiblen Themen – wie sie etwa die Einwanderung, der Umgang mit dem Islam oder auch die Einordnung oder Bewertung historischer Ereignisse darstellen.

Im Fall der Republikaner ging es dabei insbesondere um Kritik an der sogenannten Wehrmachtsausstellung oder Behauptungen über Bemühungen zur Umerziehung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Leugnung der deutschen Kriegsschuld oder eine Apologie des NS-Regimes, die tatsächlich die gerichtsfeste Annahme einer feindseligen Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung begründen würden, sei damit nicht automatisch verbunden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbotsantrag gegen die NPD aus dem Jahr 2017 lässt auch erkennen, dass ein rein biologisch-rassisch definierter Volkstumsbegriff, der Personen ohne über Generationen nachgewiesene Abstammung per se ein Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit verwehrt, ein kritischer Punkt aus Sicht des Verfassungsschutzes wäre. Gleiches gilt für eine vollständige Infragestellung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Beides wäre in der AfD auch nicht einmal annähernd mehrheitsfähig. Forderungen nach einer Begrenzung der Einwanderung aus instabilen Gebieten oder nach einem staatlichen Vorgehen gegen gefährliche oder sozialschädliche Erscheinungsformen von Religionsausübung wären hingegen unbedenklich.

Radikalere AfD-Mitglieder wandern vermehrt zu den REP ab

Bei der Würdigung der Verlautbarungen ist, so entschied etwa 2001 das Bundesverwaltungsgericht, dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgten Recht auf freie Meinungsäußerung Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass die Abhandlung von Themen, an denen ein öffentliches Interesse besteht, allgemein die Vermutung für die freie Rede nahelegt.

Die Drohkulisse einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz dürften die etablierten Parteien jedenfalls beibehalten. Ob sie es jedoch tatsächlich wagen werden, die Verfassungsschutzkeule auf eine Weise gegen die AfD ins Spiel zu bringen, die einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist, bleibt abzuwarten. Tatsächlich könnte sich die Lage auch von selbst entspannen, weil in jüngster Zeit Absetzbewegungen von Mitgliedern zu beobachten sind, aus deren Sicht die AfD in bestimmten Bereichen nicht energisch genug oder zu angepasst auftritt. Einige von ihnen haben sich parteipolitisch neu orientiert – die meisten bei den Republikanern, die nach dem Ende der Ära Schlierer/Gärtner wieder auf einen strammeren rechtsnationalen Kurs setzen.

 



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