Verfassungsrechtler sieht Corona-Maßnahmen rechtlich problematisch – Bundestag hat nicht zugestimmt
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat die Beschlüsse von Bund und Ländern zur Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen scharf kritisiert. Es sei verfassungsrechtlich problematisch, dass beispielsweise Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern unter Auflagen wieder öffnen dürften, sagte Papier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben). Nach dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes seien „Differenzierungen zwischen Personen der gleichen Vergleichsgruppe nur bei Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ erlaubt.
So sei es nicht ersichtlich, warum eine Unterscheidung anhand der Verkaufsfläche vorgenommen werde, so Papier. Geschäftsinhaber mit einer größeren Verkaufsfläche könnten „die gebotenen Abstandsregelungen vielleicht sogar besser umsetzen“ als Geschäftsinhaber mit kleinerer Verkaufsfläche. Es stelle sich die Frage, ob nicht die Einführung einer Schutzmaskenpflicht in der Öffentlichkeit „deutlich weniger in die Freiheitsrechte eingreift“.
Die zunächst beschlossenen Kontaktbeschränkungen und Betriebsschließungen stellten „sehr einschneidende und schwerwiegende Grundrechtseingriffe dar“, sagte der ehemals höchste Richter Deutschlands. Diese drastischen Freiheitsbeschränkungen könnten nur vorübergehender Natur sein. Lockerungen seien nicht nur politisch, sondern gerade rechtlich geboten, wenn die Einschränkungen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung „nicht mehr zwingend erforderlich“ seien.
Als „weiteres zentrales Problem“ führte Papier an, dass die Freiheitsbeschränkungen ohne Beteiligung des Bundestages beschlossen wurden. Nach den grundgesetzlichen Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit sei es Sache des Parlaments, wesentliche Fragen der Grundrechtsausübung und der Freiheitsbeschränkungen „durch Gesetz selbst zu regeln und dies jedenfalls nicht für eine gewisse Dauer allein Regierung und Verwaltung zu überlassen“.
CDU-Wirtschaftsrat: Verkaufsflächenbeschränkungen „ergeben keinen Sinn“
Der CDU-Wirtschaftsrat will bei teilweisen Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen auf Größenvorgaben bei Verkaufsflächen komplett verzichten und Ladenöffnungen vielmehr von der Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln abhängig machen. Die Lockerungen bei der Ladenöffnung dürften nicht an Betriebsgrößen oder Verkaufsflächen festgemacht werden, „sondern einzig an der Garantie adäquater Hygienemaßnahmen durch die Einzelhändler“, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstagausgabe).
Es ergebe keinen Sinn, dass Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von über 800 Quadratmetern weiterhin geschlossen bleiben müssten, denn je größer die Verkaufsfläche sei, desto leichter seien auch die Abstandsregeln einzuhalten, sagte Steiger. Der CDU-Wirtschaftsrat schlägt dagegen vor, die Besucherzahlen auf einen Kunden pro 25 Quadratmeter zu begrenzen, Warteschlangen zu regeln, getrennte Ein- und Ausgänge sowie Schutzvorrichtungen an den Kassen einzurichten. Verkäufer sollten Schutzausrüstungen erhalten, für Kunden sollten Desinfektionsspender bereitgestellt werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten sich am Mittwoch auf eine schrittweise Öffnung für den Einzelhandel geeinigt. Geschäfte mit einer Fläche von bis zu 800 Quadratmetern sollen wieder aufmachen dürfen, wenn sie über ein Schutzkonzept verfügen. Unabhängig von ihrer Größe dürfen Kfz- und Fahrradhändler sowie Buchhandlungen wieder Kundschaft empfangen. (dts/afp)
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