Urteil vom höchsten Steuergericht: Wann kann gegen die Grundsteuer geklagt werden?
Schon 2023 waren Deutschlands Finanzämter einer Flut von Millionen Einsprüchen gegen die Neuberechnung der Grundsteuer ausgesetzt, die ab 2025 für Immobilien und Grundstücke gelten soll. Die Behörden hatten zu der Zeit bereits rund 3 Millionen Einsprüche auf dem Schreibtisch. Die Dunkelziffer dürfte laut Steuergewerkschaft sogar noch höher liegen.
Neue, höhere Grundsteuern für 36 Millionen Eigentümer
Die neue Grundsteuerregelung betrifft 36 Millionen Eigentümer, die eine Wohnung oder ein Haus besitzen. Viele Menschen haben die Grundsteuer angefochten, weil sie befürchten, dass die Neuberechnung zu einer Erhöhung führt, die sie sich nicht mehr leisten können und ihr Eigentum verlieren. Zumal zu diesem Zeitpunkt unklar war, was die neue Grundsteuer letztlich in Euro bei Inkrafttreten 2025 ausmachen wird, wenn dann der Bescheid von der Gemeinde kommt.
Wer wie viel genau zahlen muss, kann aktuell bisher nicht gesagt werden. Voraussichtlich wird für Grundstücke und Immobilien auf dem Land oder in strukturschwachen Gebieten weniger Grundsteuer anfallen. Dagegen kann es für Städter, Besitzer unbebauter Grundstücke und Eigentümer von Einfamilienhäusern teurer werden.
Florian Köbler, Vorsitzender der Steuergewerkschaft, hatte die Bürger in einem Interview mit dem MDR gebeten, von diesem „Einspruchstsunami“ abzulassen: „Hört auf, diese Einsprüche einzulegen. Sie sind vollkommen sinnlos.“ Fakt sei nämlich, so Köbler gegenüber dem Sender, dass kein Verfassungsgericht die Grundsteuer für von Anfang an nichtig erklären würde. „Ansonsten wären die Städte und Kommunen pleite.“
Rechtmäßigkeit der Grundsteuer im Mittelpunkt
Die Finanzjuristin Patricia Lederer von der Steuerrechtskanzlei TaxPro in Frankfurt am Main war zu dem Schluss gekommen, dass ein Protest durchaus angebracht ist. Nicht nur, weil die Regierung eine Reform ohne Mehrkosten versprochen hatte – die neue Grundsteuer sollte aufkommensneutral sein.
Inzwischen ist klar: Spätestens 2025 wird es für viele teurer. „Es sei denn, es gibt ein Urteil von den Gerichten und von ganz oben“, so Juristin Lederer vor einem halben Jahr in einem YouTube-Video mit Tausenden Klicks.
Steuerrechtlich gehe es allerdings gar nicht um die Höhe der Abgabe. In sämtlichen Musterklagen, wie etwa von Haus und Grund oder dem Bund der Steuerzahler, stehe die Frage im Mittelpunkt, ob die Grundsteuer rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Epoch Times berichtete.
Oberstes Finanzgericht: Zwei aktuelle Grundsteuerentscheidungen
Am 13. Juni 2024 hat der Bundesfinanzhof zwei aktuelle Entscheidungen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass in bestimmten Fällen die Feststellung der Grundsteuer ausgesetzt werden muss. Und zwar dann, wenn Verdacht besteht, dass die pauschal ermittelten Werte für die neue Grundsteuer deutlich zu hoch sind. Damit soll den Eigentümern die Möglichkeit gegeben werden, einen niedrigeren Wert nachzuweisen.
Konkret ging es um Fälle, in denen die der Steuer zugrundeliegenden Werte der Immobilien nach dem sogenannten Bundesmodell ermittelt worden waren. Dieses wird in etwa der Hälfte der Bundesländern angewandt (Brandenburg, Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen). Bei diesem Modell werden die Werte pauschal ermittelt. Die Eigentümer hatten eingewandt, dass ihre Immobilien sehr viel weniger wert seien. Argumentiert hatten sie unter anderem mit schlechter Zugänglichkeit des Grundstücks oder einem sehr schlechten Zustand des Hauses.
Der Bundesfinanzhof erklärte, dass die Eigentümer in diesen Fällen die Gelegenheit bekommen müssten, mit Gutachtern nachzuweisen, dass die Werte so stark abweichen, dass das Übermaßverbot verletzt ist. Dafür sei nach der bisherigen Rechtsprechung eine Differenz von 40 Prozent nötig. Ist die Abweichung kleiner, ändert sich nichts an der pauschal festgesetzten Steuer.
„Einspruch lohnt sich doch!“
„Der Einspruch gegen die Grundsteuer lohnt sich also doch!“, ordnet die Frankfurter Rechtsanwältin Patricia Lederer die zwei Urteile des Bundesfinanzhofs in einem neuen Video auf YouTube ein. Der Bundesfinanzhof habe in seinen Urteilen die große Keule mit der Verfassung geschwungen, so Lederer. Dieser habe zwar nicht direkt gesagt, die Grundsteuer sei verfassungswidrig, doch die Richter beim höchsten deutschen Steuergericht hätten die Paragrafen verfassungskonform ausgelegt.
So eine „verfassungskonforme Auslegung“, erklärt die Juristin, wird bei „schlecht gemachten Gesetzen“ angewendet und bedeutet aus Sicht von Steuerjuristen: „Was würde denn im Gesetz drinstehen, wenn diejenigen, die es geschrieben haben, dabei an die Verfassung gedacht hätten?“ Der Gesetzgeber hätte bemerken können, so die Rechtsanwältin, „dass die Grundsteuer viele Menschen extrem benachteiligt. Und das ist unverhältnismäßig.“
Patricia Lederer erklärt, wieso eine verfassungskonforme Auslegung überhaupt notwendig wurde: „Bei der Grundsteuer werden alle Immobilieneigentümer in Deutschland über einen Kamm geschoren, unabhängig von Zustand und Bauweise der Immobilie.“ Weil eine individuelle Handhabung bei 36 Millionen Eigentümern in Deutschland einfach zu viel ist, so das Argument vom Gesetzgeber, wurde standardisiert. Ungleiches müsse aber ungleich behandelt werden, deshalb hat der Bundesfinanzhof jetzt entschieden:
„Bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, bei einer Verletzung des Übermaßverbots, also Verhältnismäßigkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.“
Die Juristin erklärt zusammenfassend: „Und weil das eben bei der neuen Grundsteuer nicht der Fall ist, haben die Immobilieneigentümer diese beiden Musterklagen vor dem Bundesfinanzhof gewonnen.“
Was bedeutet das?
Doch der Bundesfinanzhof habe viele entscheidende Fragen offengelassen, so Anwältin Lederer.
Die erste Frage: Wie weisen eigentlich Eigentümer nach, dass ihr Haus oder ihre Wohnung, ihr Grundstück weniger wert ist, als es das Finanzamt im Steuerbescheid ansetzt? Sachverständigengutachten sind teuer. Zur Frage, welche Nachweise überhaupt vom Finanzamt akzeptiert werden, steht nichts im Gesetz.
Auch die Praxistauglichkeit sei fraglich, so die Frankfurter Rechtsanwältin: Wenn jetzt alle 36 Millionen Eigentümer beim Finanzamt gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen, werden diese kollabieren. „Und wenn das passiert, dass jeder Bürger, jede Bürgerin hingehen kann und nachweisen kann, weil es ihr gutes Recht ist, dass das Haus, die Immobilie weniger wert ist als vom Finanzamt im Steuerbescheid steht, dann passiert bei den Finanzämtern außer der Grundsteuer nicht mehr viel.“
Einspruch, Gutachten: „Das ist nicht praktikabel“
Der weitere Verlauf könnte laut der Anwältin wie folgt sein: Wenn diese Eigentümer vom Finanzamt als Nächstes einen Steuerbescheid für die Grundsteuer bekommen, noch ohne konkreten zu zahlenden Betrag, da dieser erst im nächsten Jahr von der Gemeinde kommt, müssten diese zuerst Einspruch gegen den Steuerbescheid erheben. Dafür haben sie nur einen Monat Zeit, da dieser sonst rechtskräftig wird. Der Einspruch müsse begründet werden, indem ein Gutachten eingereicht werde. „Das ist nicht praktikabel […] an Verfahrensaufwand, an Kostenaufwand“, so Lederer.
Erschwerend komme noch hinzu, dass diese Gerichtsentscheidung vom Bundesfinanzhof nur für das Bundesmodell gilt. In anderen Bundesländern, etwa Baden-Württemberg, die ihre eigenen Brötchen backen, gebe es auch Klagen und Urteile zur neuen Grundsteuer. In Stuttgart hat das Finanzgericht am 12. Juni 2024 beschieden, dass die Grundsteuer ordnungsgemäß sei. Nach dem großen Urteil von München sei jedoch klar, dass die Stuttgarter Kläger mit dem Bundesfinanzhof in die nächste Instanz gehen werden. Wenn nötig, danach auch zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, so Lederer.
Bund der Steuerzahler will Abschaffung der Grundsteuer
Der Chef des Bundes der Steuerzahler NRW, Rik Steinheuer, rechnet sogar damit, dass das Bundesmodell für die Grundsteuer („Scholzmodell“) noch scheitert.
„Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht das Bundesmodell kippen wird“, sagte Steinheuer der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe). „Und dann sollte der Gesetzgeber sich gut überlegen, ob er dann kleinteilig nachbessert und es unnötig noch viel komplizierter würde. Und das alles für eine Steuer, die nur einen ganz kleinen Teil des Kuchens ausmacht.“ Steinheuer verlangte einen radikalen Kurswechsel: „Viel klüger wäre es, die Grundsteuer komplett zu kippen und den Ausfall der Kommunen anderweitig zu kompensieren.“
Die Reform soll ab Beginn des Jahres 2025 in Kraft treten. Eingeleitet wurde sie durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018. Dieses hatte die bis dato zur Berechnung der Grundsteuer herangezogenen Einheitswerte für veraltet erklärt.
Die bis dahin geltenden Werte stützten sich auf Referenzgrößen aus den Jahren 1935 in Ostdeutschland und 1964 in Westdeutschland. Dies hatte am Ende zu erheblichen Abweichungen in der Grundsteuer bei Immobilien von ähnlicher Beschaffenheit geführt.
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