Untersuchungsausschuss legt Bericht zur Ahrtal-Katastrophe vor: Parteien streiten über Verantwortung

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal ist seit Freitagmorgen öffentlich einsehbar. Auf über 2.100 Seiten werden das Ausmaß des Unglücks und die Rolle der Verantwortlichen detailliert analysiert.
Hochwasser im Ahrtal, Dernau, 4. August 2021
Dernau im Ahrtal, 04. August 2021. Die zerstörten Bahngleise lassen die Wucht des Wassers erahnen, der Flutschatten am Haus links den Wasserstand – auf Höhe der Mitte der Fenster im ersten Obergeschoß.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Von 2. August 2024

Bereits im Juni hatte der Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz zur Flutkatastrophe im Ahrtal seinen Abschlussbericht beschlossen. Seit Freitag, 2. August, ist er in voller Länge für die Öffentlichkeit einsehbar. Auf mehr als 2.100 Seiten finden sich die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu unterschiedlichsten Aspekten des Ereignisses, das im Bundesland Rheinland-Pfalz 136 Menschenleben gefordert hatte.

Tragödie im Ahrtal in Zahlen: 136 Tote – Schäden in dreistelliger Millionenhöhe

Das Dokument, das als „Drucksache 18/10000“ auf dem Server des Landtags zu finden ist, gibt Auskunft über die Erkenntnisse aus knapp 300 Stunden an Sitzungen. In diesen hatte der Untersuchungsausschuss 226 Zeugen befragt, 23 Sachverständige gehört und Akten unterschiedlichster örtlicher, regionaler und überregionaler Stellen ausgewertet.

Die Beweisaufnahme umfasste Fragen wie die geologische und tektonische Prädestination der Umgebung für Naturkatastrophen oder die konkrete Vorhersehbarkeit der Flut von 2021 – sowie ihres konkreten Ausmaßes im Moment ihres tatsächlichen Eintretens.

Ausgewertet wurden auch Videoaufnahmen der Einsatzkräfte im Ahrtal, unter anderem aus dem Polizeihubschrauber, sowie Unterlagen über die konkreten Schäden. In weiterer Folge waren auch das Verhalten der Einsatzleitungen, die Kommunikation der politisch Verantwortlichen oder die Veränderungen der Lagebilder im Verlauf der Katastrophe Themen des Untersuchungsausschusses. Der Bericht gibt darüber eine detaillierte und systematische Zusammenfassung.

Landrat als primärer Verantwortlicher – Überforderung zeichnete sich frühzeitig ab

Am Ende werden die Einschätzungen der Mitglieder des Untersuchungsausschusses dokumentiert – und hier wird im Detail offenbar, was sich im Groben bereits in der Zeit seines Bestandes abgezeichnet hatte. Einig waren sich alle Beteiligten im Wesentlichen in der Einschätzung, dass die Landkreise, obwohl sie nach geltendem Landesrecht von Rheinland-Pfalz die primär Verantwortlichen wären, von der Katastrophensituation heillos überfordert gewesen seien.

Allerdings sind sich Ampelregierung und Opposition uneinig darüber, inwieweit das Land durch eine bessere Vorbereitung und durch eine frühere und konsequentere Initiative im Ahrtal hätte Menschenleben retten und Schäden verringern können.

Die Ampel unterstreicht vor allem die Verantwortung des Landrats von Ahrweiler, Jürgen Pföhler. Der CDU-Politiker habe zu lange mit der Ausrufung des Katastrophenfalls gewartet und die Teilevakuierung angeordnet. In der Flutnacht hatte er zwar zweimal die Leitstelle im Kreishaus besucht, einmal auch mit dem damaligen Innenminister Roger Lewentz. Medienberichten zufolge hat er allerdings an dem Abend auch 13-mal mit seiner Geliebten telefoniert.

Pföhler im Ruhestand – Staatsanwaltschaft stellte Verfahren ein

Im Untersuchungsausschuss verweigerte Pföhler die Aussage, eine Entschuldigung bei den Flutopfern blieb aus. Der Landrat lehnte auch unter dem Eindruck der Katastrophe einen Rücktritt ab, ließ sich jedoch im Oktober 2021 in den Ruhestand versetzen.

Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Zu einer Anklage kam es jedoch nicht, weil es ihr zufolge nicht hätte bewiesen werden können, dass ein konkretes anderes Verhalten Pföhlers im Ahrtal Menschenleben gerettet hätte.

Die CDU verwies darauf, dass Pföhler nicht mehr im Amt sei. Demgegenüber habe es vonseiten der Ampelregierung im Land keine nennenswerten Konsequenzen für Fehlverhalten ihrer Regierungsmitglieder oder Verantwortlichen gegeben. Die Fraktion der Union, aber auch jene der AfD und der Freien Wähler, sehen vor allem Umweltstaatssekretär Erwin Manz und ADD-Präsident Thomas Linnertz als Rücktrittskandidaten.

Kritik an der Ampelregierung: Rücktrittsforderungen und politische Konsequenzen

Bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) handelt es sich um eine Behörde des Landes Rheinland-Pfalz, deren Aufgabe die Optimierung der Kooperation zwischen Landesregierung und kommunaler Selbstverwaltung ist. Im Kontext der Flut im Ahrtal hatte die ADD die Leitung des Krisenstabes zur Führung der im Katastrophengebiet eingesetzten Rettungskräfte inne.

Die Ampel attestiert jedoch dem Grünen-Staatssekretär Manz eine frühzeitige Kommunikation in alle Richtungen. Auch Linnertz habe nur mit den Möglichkeiten arbeiten können, die er vor Ort vorgefunden habe. Es wäre Pföhlers Verantwortung gewesen, einen Alarm- und Einsatzplan auszuarbeiten. Zudem habe dieser keinen funktionstüchtigen Verwaltungsstab installiert.

Die Freien Wähler erklären, dass das Wissen um Prognosen und Messdaten eine frühzeitigere Reaktion des Landes zum Zeitpunkt der Flutwarnung ermöglicht hätte. Aus der AfD heißt es, ein „staatliches Organisationsversagen“ habe sich „wie eine Kettenreaktion nach unten“ fortgesetzt und zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen.

Kaum personelle Konsequenzen nach Katastrophe im Ahrtal

Kritik gab es in diesem Zusammenhang auch an der damaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Diese habe ihre Kommunikation in der Flutnacht um 22:00 Uhr beendet. Sie habe sich nicht mit ihren Ministern kurzgeschlossen und keinen Krisenstab gebildet.

Rücktritte gab es im Zusammenhang mit der Ahrtal-Katastrophe nur in wenigen Fällen. So trat die damalige Umweltministerin Anne Spiegel nach ihrem Wechsel in die Bundespolitik im Dezember 2021 als Familienministerin zurück. Sie hatte sich SMS-Nachrichten aus der Flutnacht zufolge um ihr Image mehr Sorgen gemacht als um die Abstimmung weiteren Handelns mit Dreyer oder den Einsatzkräften. Kritik wurde zudem wegen eines vierwöchigen Familienurlaubs wenige Tage nach der Flut laut.

Ein knappes Jahr später trat auch Innenminister Roger Lewentz zurück. Seine Aussage, über das Ausmaß der Katastrophe nicht rechtzeitig informiert gewesen zu sein, passte nicht mit Aufnahmen aus dem Polizeihubschrauber zusammen. Diese hatten bereits Menschen auf Hausdächern gezeigt und die Einsatzkräfte hätten diese dem Minister auch zeitnah übermittelt.

In Summe zeigt der Bericht des Untersuchungsausschusses eine Vielzahl an Potenzialen auf, um Koordination, Kommunikation und Entscheidungsabläufe zwischen den Verantwortungsträger zu optimieren.



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