Unterschiede von Ost und West: Das Gefühl, abgehängt zu sein …
Bevölkerungsentwicklung, Wohlstand, Einstellung zu Ausländern: Auch 28 Jahre nach der Wiedervereinigung klaffen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Mit den Jahren sind sie aber kleiner geworden, wie mehrere am Montag veröffentlichte Statistikauswertungen ergeben haben. Ein Ergebnis: Der Osten hat wirtschaftlich aufgeholt, könnte aber bald wieder zurückfallen. Ein Überblick nach Themen:
Menschen im Osten sind eher von Armut bedroht
Wer im Osten lebt, ist statistisch stärker von Armut bedroht als Menschen im Westen. Das geht aus Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder hervor, auf die die Linksfraktion im Bundestag aufmerksam gemacht hat.
So waren im vergangenen Jahr in den Ost-Ländern einschließlich Berlins 17,8 Prozent der Menschen armutsgefährdet – in Westdeutschland waren es 15,3 Prozent. Binnen eines Jahres sank der Anteil im Osten um 0,6 Prozentpunkte, im Westen stieg er um 0,3 Punkte. Zehn Jahre vorher waren im Osten noch 19,5 Prozent der Menschen von Armut bedroht – im Westen nur 12,9 Prozent.
Die Sozialexpertin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, warf der Bundesregierung bei der Armutsbekämpfung „Totalversagen“ vor. „Über ein Vierteljahrhundert nach der Deutschen Einheit ist es nicht nachvollziehbar, dass es immer noch ein deutliches Einkommensgefälle zwischen West und Ost gibt“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Prekäre Beschäftigung müsse zurückgedrängt, der Mindestlohn erhöht werden.
Die durchschnittlichen Konsumausgaben der privaten Haushalte betrugen im Osten im Jahr 2016 mit 2078 Euro rund 80 Prozent des Westniveaus in Höhe von 2587 Euro, wie das Statistische Bundesamt berichtete. Dennoch ist das Konsumverhalten nahezu identisch: Für die Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Bekleidung verwendeten die privaten Haushalte durchschnittlich etwa die Hälfte ihrer gesamten Konsumausgaben, nämlich 53,6 Prozent im Westen und 53,3 Prozent im Osten.
Die wirtschaftliche Entwicklung stockt
Der Osten hat wirtschaftlich aufgeholt, wird nach einer Studie der Prognos AG bald aber wieder zurückfallen. „Bis 2045 nimmt das Gefälle nach unseren Prognosen wieder zu“, heißt es in der Studie, die dpa vorliegt. Grund sind Abwanderung und geringe Geburtenzahlen.
Allerdings werde es nicht nur ein West-Ost-Gefälle geben, sondern auch ein Süd-Nord-Gefälle. Liege die Wirtschaftsleistung pro Kopf im Osten einschließlich Berlins heute bei drei Vierteln des Westniveaus, sinke sie bis 2045 auf weniger als zwei Drittel und damit sogar unter den Wert aus dem Jahr 2000. „Bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik werden sich die (materiellen) Lebensverhältnisse zwischen Ost und West nicht angleichen“, warnen die Autoren.
Nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft wuchs die Wirtschaft in den Ost-Ländern und Berlin im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent (ohne Berlin 1,4), während das Bruttoinlandsprodukt in Westdeutschland um 2,3 Prozent zulegte. Schuld daran sei vor allem der demografische Wandel, hieß es: Im Osten gehen mehr Ältere in Rente, als Junge in den Arbeitsmarkt nachrücken. Die Bruttolöhne liegen bei knapp 82 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Immerhin: Das niedrigere Preisniveau im Osten sorgt dafür, dass die Lücke beim Nettorealeinkommen nicht allzu weit auseinanderklafft.
2 Millionen Menschen wanderten nach Westdeutschland aus
Fast jeder Fünfte der rund 82,8 Millionen Menschen in Deutschland lebt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Osten.
Doch während in Westdeutschland im vergangenen Jahr rund 5 Millionen Menschen mehr lebten als zur Zeit der Wende, ging die Bevölkerungszahl in den neuen Bundesländern und Berlin um rund zwei Millionen Menschen zurück. Das ist im Westen ein Zuwachs von 8,2 Prozent und im Osten ein Rückgang um 11 Prozent.
Ost-West-Unterschiede gibt es auch bei den Alleinerziehenden und den Möglichkeiten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Während im Bundesdurchschnitt in jeder fünften Familie Kinder von einem Elternteil aufgezogen werden, liegt der Anteil Alleinerziehender im Osten bei fast einem Viertel aller Familien (24,9 Prozent) und im Westen bei etwa einem Sechstel (17,5 Prozent). Die anteilig wenigsten Alleinerziehenden gab es in Baden-Württemberg (15,3 Prozent) und Bayern (16,2 Prozent), die meisten in Berlin (27,6 Prozent)und Sachsen-Anhalt (25,6 Prozent).
Ob alleinerziehend oder nicht – wer als Mutter eines Kleinkinds schnell wieder in den Beruf zurückkehren will, findet im Osten mehr Betreuungsangebote. Bundesweit wurde 2017 jedes dritte Kind unter drei Jahren (33,1 Prozent) in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege betreut.
Doch während die Betreuungsquote für diese Altersgruppe im früheren Bundesgebiet bei 28,8 Prozent lag, betrug sie in den neuen Ländern und Berlin 51,3 Prozent. Auf Platz eins lag Sachsen-Anhalt mit einer Betreuungsquote von 56,9 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (56,0 Prozent) und Brandenburg (55,8 Prozent). Die niedrigsten Betreuungsquoten hatten Nordrhein-Westfalen mit 26,3 Prozent, Bremen (26,4 Prozent) und Bayern (27,4 Prozent). Bei der Betreuungsquote der Kinder im Kindergartenalter gab es dagegen kaum regionale Unterschiede: Sie lag im Westen bei 93 Prozent, im Osten einschließlich Berlins bei 94,8 Prozent.
Jüngere Menschen in Ost und West sind sich ähnlich – Ältere eher nicht
Ost-West-Unterschiede sind auch eine Generationenfrage – zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des ifo-Instituts. „Vor allem jüngere Menschen in beiden Landesteilen weisen ähnliche Einstellungen und Verhaltensmuster auf“, sagt der Leiter des Forschungsprojekts, Helmut Rainer. „Ältere Menschen in Ostdeutschland, deren Leben noch in der DDR erfolgte, unterscheiden sich demgegenüber stärker von Gleichaltrigen im Westen.“
Vor allem beim Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund gibt es Rainer zufolge größere Ost-West-Unterschiede. So ist den Ostdeutschen ein Aussiedler, Italiener, Türke oder Asylbewerber als Nachbar deutlich weniger lieb als den Westdeutschen.
Das Gefühl, abgehängt zu sein …
„Auch das Vertrauen in demokratische Institutionen ist im Osten geringer ausgeprägt“, sagte der Ko-Autor der Studie, Joachim Ragnitz. Generell sei die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement und zur Beteiligung an Wahlen in den ostdeutschen Ländern niedriger als in Westdeutschland, die Erwartung an den Staat dagegen größer.
In der ostdeutschen Bevölkerung halte sich hartnäckig das Gefühl, abgehängt zu sein und nicht verstanden zu werden, hieß es beim Institut der Deutschen Wirtschaft zum Jahrestag der Wiedervereinigung.
Das liege auch daran, dass es Einschränkungen im öffentlichen Leben gebe: „Im dünner besiedelten Osten fehlen in ländlichen Regionen Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Arztpraxen, Busse fahren oft nur einmal am Tag.“ (dpa)
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