Unternehmensberater rät Bürgern und Betrieben, Deutschland zu verlassen
„Die Zukunft für deutsche Bürger und Unternehmen liegt im Ausland“ – so lautet die These von Unternehmensberater und Autor Daniel Stelter, die er am Dienstag, 7. Mai, in einem Gastkommentar für das „Handelsblatt“ aufstellt.
Stelter attestiert Deutschland eine düstere Prognose: Alterung der Gesellschaft, ein viel zu geringer Zuwachs an Produktivität, eine gänzlich überalterte Infrastruktur, hohe Energiepreise und überbordende Bürokratie – das alles sind für Stelter Anzeichen dafür, dass Deutschland „über Jahre hinweg eine Volkswirtschaft mit geringem Wachstum“ bleiben wird.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Internationale Währungsfonds (IWF). In seinem aktuellen „Word Economic Outlook“ (WEO) vom April 2024 schätzt er die Lage sogar noch negativer ein als im letzten Gutachten vom Januar 2024.
Prognose im April schlechter als im Januar
Demnach prognostiziert der IWF, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr nur um 0,2 Prozent wachsen könnte. Im Januar hatte der IWF für 2024 ein Wachstum der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent vorhergesagt und diese Prognose nun um 0,3 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Deutschland bleibt auch nach dieser neuen Prognose weiterhin das Schlusslicht unter den weltweit stärksten Volkswirtschaften.
Laut dem IWF leidet Deutschland als Exportnation stärker unter dem insgesamt schwachen Welthandel als andere Länder. Zudem kämpft die Industrie mit den hohen Energiepreisen. Beide Faktoren führen laut dem IWF zu einem schwachen Wachstum der Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr.
Im Gegensatz bewertet der IWF die weltweite Wirtschaftsleistung nahezu gleich – die aktuelle Prognose liegt um 0,1 Prozentpunkte höher als im April 2024. Laut dem IWF übersteigt die Widerstandsfähigkeit der Vereinigten Staaten und mehrerer großer Schwellen- und Entwicklungsländer weiterhin die Erwartungen der Experten. Auch haben sich die öffentlichen Finanzen vieler Länder als stabiler erwiesen als angenommen.
Besser im Ausland zu investieren
Unternehmensberater Daniel Stelter weist darauf hin, dass schon 2018 die IfW-Experten Cecília Hornok, Stefan Kooths und Nils Jannsen in den „Kieler Beiträgen zur Wirtschaftspolitik“ vorgerechnet haben, dass es für Unternehmer attraktiver ist, im Ausland zu investieren. Als Grund dafür nennen die Autoren primär den Umstand, dass im Ausland bessere Renditen zu erzielen sind. „Die Verschlechterung der Standortbedingungen hierzulande in den vergangenen Jahren dürfte den Renditevorsprung von Auslandsinvestitionen noch erhöht haben“, vermutet der „Handelsblatt“-Gastautor Stelter.
Im April 2023 veröffentlichte die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) eine Umfrage, die die These Stelters stützt. Die DIHK hatte damals nach eigenen Angaben 2.200 Betriebe verschiedener Industriebranchen und Unternehmensgrößen befragt. Die Standortbedingungen verschlechtern sich aus Sicht der Unternehmen in Deutschland zusehends, so das Ergebnis. 32 Prozent der Investitionen außerhalb Deutschlands hätten das Ziel, Kosten zu sparen. Das bedeute, so die DIHK, dass so viele deutsche Unternehmen aus Kostengründen ihren Heimatmarkt verlassen wie seit 15 Jahren nicht mehr. Vor zehn Jahren seien nur 20 Prozent der Auslandsinvestitionen aus Gründen der Kostenersparnis getätigt worden.
Als Grund nannten die befragten Unternehmen die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise und Bürokratiekosten sowie die Steuerbelastung. Erschwerend, so das Umfrageergebnis, käme dazu, dass besonders die USA und China Unternehmen mit attraktiven Subventionen locken. Der Hauptgeschäftsführer der DIHK, Martin Wansleben, sprach im Hinblick auf das Ergebnis der Umfrage damals von einem „Warnsignal“.
Doch nicht nur Unternehmen orientieren sich in Richtung Ausland. In den vergangenen zehn Jahren haben netto 635.000 Deutsche das Land verlassen, wie eine Statistik des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden belegt. „Alle Daten sprechen dafür, dass es sich um überdurchschnittlich junge und gebildete Menschen handelt“, schreibt Daniel Stelter im „Handelsblatt“.
Eine langjährige Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) mit dem Titel „German Migration and Remigration Panel Study“ belegt die These Stelters. So würden 58 Prozent der Auswanderer vor allem aus beruflichen Gründen ins Ausland ziehen. Bei knapp 30 Prozent spielten die beruflichen Gründe des Partners oder der Partnerin eine Rolle.
Es seien vor allem Hochqualifizierte, die es ins Ausland treibe, stellt die Studie weiter fest. Von einem „Brain Drain“, also dass Deutschland Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft an andere Länder verliert, möchte Jean Décieux, einer der Studienautoren, trotzdem nicht sprechen: Denn der Großteil plane schon vor dem Auswandern, nach einer gewissen Zeit zurückzukehren – und sie bringen neue Erfahrung mit. Das nenne sich „Brain Circulation“. Den Daten des Bundesinstituts zufolge sind es zumeist Menschen zwischen 20 und 39 Jahren, die Deutschland den Rücken kehren. Die über 50-Jährigen machten nur einen geringen Teil aus.
Studenten mit Migrationshintergrund zieht es ins Ausland
Dass es in den vergangenen Jahren mehr Zuwanderung nach Deutschland als Abwanderung gegeben hat, ist allerdings kein Grund, sich zurückzulehnen. So sind beispielsweise laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022 2,7 Millionen Menschen nach Deutschland gezogen. Doch ein großer Teil der qualifizierten Zuwanderer will nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Jobportals „Jobvalley“, über die im März die „Wirtschaftswoche“ berichtete. So würden 24 Prozent der Studenten mit Migrationshintergrund bessere Karrierechancen im Ausland sehen. Als Gründe nennen die Studenten höhere Einkommen, eine geringere Steuer- und Abgabenlast und zunehmend auch ein freieres Umfeld für Forschung und Unternehmensgründung.
Für Stelter bringen Appelle an den „Standortpatriotismus“, wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gerade erst im März gegenüber der deutschen Fußballmannschaft gemacht hat, nichts. Nachdem der Deutsche Fußball-Bund mitgeteilt hatte, dass man vom deutschen langjährigen Ausrüster Adidas zum US-Hersteller Nike wechseln wolle, hatte Habeck gesagt: „Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht.“
Stelter stellt fest: „Die Voraussetzungen, die es Deutschland erlaubt haben, zu einer weltweit führenden Industrienation zu werden, sind nicht mehr gegeben“.
Stelter schreibt in seinem „Handelsblatt“-Beitrag weiter, dass die „politisch erwünschte und betriebene Transformation“ sich im Moment leichter mit dem Abbau „alter Zukunftsindustrien“ wie den Verbrennungsmotor, chemische Industrie und Atomkraftwerke tue als mit dem Aufbau neuer Zukunftsindustrien. „Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die Politik sich hierbei als Gestalter begreift, statt als Garant guter Rahmenbedingungen“, schreibt Stelter.
Wachstum und Fortschritt findet woanders statt
Wirtschaftswachstum und Fortschritt im 21. Jahrhundert finde in anderen Regionen der Welt statt. Alleine schon durch die demografische Entwicklung von Deutschland und Europa wird unsere Region an Bedeutung verlieren, so Stelters Prognose.
Deshalb sei es nachvollziehbar, dass Unternehmen und Auswanderer versuchen würden, an der besseren Entwicklung in anderen Regionen zu partizipieren: durch Auswandern, durch Investitionen im Ausland oder durch die Anlage der Ersparnisse im Ausland, wo laut Stelter höhere Renditen winken.
„Es bedarf eines umfassenden Fitnessprogramms, um das Bleiben und Investieren in Deutschland attraktiver zu machen“, schreibt Stelter im „Handelsblatt“ weiter. Davon seien aber keine Ansätze zu sehen. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass man auf eine weitere Verschärfung der Wegzugsteuer für Unternehmen und private Halter von Unternehmensanteilen setzt. Damit würde man die Abwanderung erschweren wollen. Das sieht Stelter allerdings nicht als einen Erfolg versprechenden Weg. „Vielmehr steigert diese Denkweise den Anreiz zu gehen, solange es noch möglich ist“.
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