Sicherheitslücken und Zensur: Insider prangert Zustände beim Verfassungsschutz an

In einem Interview prangert ein ehemaliger Führer von V-Personen des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen die Zustände in seiner Behörde an. Er attestiert dem Dienst Unprofessionalität, Ineffizienz und eine katastrophale interne Fehlerkultur.
Titelbild
Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen.Foto: Matthias Hiekel/dpa
Von 24. Mai 2024

Ein 36-jähriger Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz in Sachsen steht vor einer Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand. Das Betreten der Liegenschaften der Behörde ist ihm nicht mehr erlaubt; ein Disziplinarverfahren ist eröffnet. Was exakt „Gregor S.“ – so der in Medien verwendete Deckname – vorgeworfen wird, darüber hält sich die Behörde bedeckt. Es spricht allerdings vieles dafür, dass es zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust gekommen ist.

S. erklärt, er gelte als „Nestbeschmutzer“ und der Dienst habe ihn zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt. Der frühere Bundeswehrsoldat beharrt darauf, lediglich „unglaubliche Zustände und Missstände“ in der Behörde angesprochen zu haben. Dazu gehöre auch, dass immer mehr Bürger ins Visier des Verfassungsschutzes gerieten, die in keiner Weise extremistische Neigungen aufwiesen.

„Verfassungsschutz verzichtet auf wichtige Vorsichtsmaßnahmen“

Gregor S. sprach mit Redakteuren der „Schwäbischen Zeitung“ über seine Zeit im Inlandsgeheimdienst. Dabei sprach er unter anderem von unprofessionellen Mängeln, die in ausländischen Nachrichtendiensten kaum denkbar wären – und eigene Mitarbeiter und V-Leute potenziell sogar gefährden könnten.

S. hatte erst in Hessen beim Landesamt für Verfassungsschutz gearbeitet, zudem hat er beim Bundesamt ein Studium abgeschlossen. Dieses beendete er als „Diplom-Verwaltungswirt, Fachbereich Nachrichtendienste“. In Sachsen wurde er VP-Führer und leitete Vertrauenspersonen in extremistischen Szenen an.

Dort seien bereits gravierende Missstände offenbar geworden. Es werde nicht mit unregistrierten SIM-Karten oder auf Tarnnamen angemeldeten Pkws gearbeitet. Solche seien vielmehr auf das Innenministerium des Landes angemeldet – und durch eine auf einen entsprechenden Vorwand gestützte Halterabfrage identifizierbar. Für verdeckt arbeitende Mitarbeiter könne dies potenzielle Lebensgefahr bedeuten.

Whistleblower sieht fehlende Durchschlagskraft gegen echte Gefahren

Selbst in potenziell brenzligen Situationen, die sofortige Schutzmaßnahmen erforderten, scheiterten diese häufig am einzuhaltenden Dienstweg. Mitarbeiter würden auch nicht hinreichend auf brenzlige Situationen vorbereitet. Das „ausufernde Mikromanagement“ sei ein wesentlicher Faktor der Dysfunktionalität, die S. dem Dienst zuschreibt.

Die fehlende Professionalität, die in solchen Situationen zum Ausdruck komme, mache den Dienst wenig durchschlagskräftig, wenn es um ernsthafte Gefahren gehe, resümiert S. – egal, ob es um linken, rechten oder religiösen Extremismus gehe oder ausländische Nachrichtendienste.

Statt die Defizite zu beseitigen und den Dienst besser aufzustellen, so der Insider, ziehe man es im Verfassungsschutz vor, sich leichtere Gegner zu suchen. Man kümmere sich um „Leute, die eigentlich gar kein Fall für den Verfassungsschutz sind“. Die neue Extremismus-Kategorie der „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ werde zur Grundlage für einen potenziellen neuen Überwachungsstaat.

„Staatsdelegitimierung“ als Einfallstor für Überwachungsstaat?

Der Verfassungsschutz, so S., verschiebe eigenmächtig die Grenzen des Sagbaren – im Sinne der Regierenden. Äußerungen, die bis dato als vollkommen legitime Kritik gegolten hätten, könnten Menschen heute ins Visier des Inlandsgeheimdienstes bringen: „Plötzlich wird versucht, auch Menschen zu diskreditieren, zu dämonisieren und auszugrenzen, bei denen das vor wenigen Jahren noch vollkommen undenkbar gewesen wäre. Bei denen man gesagt hat, das ist doch alles im vollkommen normalen und verfassungsmäßigen Rahmen.“

Die Regeln für den Umgang mit Extremisten seien in jedem Fall gleich, erläuterte S. Da in allen potenziell relevanten Organisationsstrukturen das gesamte Umfeld ausgeleuchtet werde, steige die Wahrscheinlichkeit, ins Visier zu geraten. Dies treffe insbesondere auf das Umfeld sogenannter „Staatsdelegitimierer“ zu. Potenziell reiche es dafür aus, dass jemand „lediglich die Grünen nicht mag und ein nach offizieller Lesart staatsdelegitimierendes Plakat aufhängt, ein entsprechendes Schild bei einer Demo hochhält oder einen entsprechenden Post in sozialen Medien absetzt“.

Radikale Kräfte in etablierten Parteien nicht von Interesse?

S. äußerte, er befürchte eine Instrumentalisierung des Dienstes für politische Zwecke. Aus seiner eigenen Praxis kenne er Muster, die diesen Eindruck verfestigten: „Es gibt Informationen, die sollen aufgenommen werden, die werden dann auch weiterverarbeitet und daraus erfolgen dann auch weitere Maßnahmen. Und es gibt Informationen, die sind nicht erwünscht, die sind unbequem. Und die werden dann ignoriert.“

Vor allem „Informationen mit Bezug auf extremistische Tendenzen oder Entwicklungen, auf radikale Strömungen innerhalb etablierter Parteien“ wären gleichsam tabu. Die Darstellung von S. erinnert in diesem Kontext an Aussagen des früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, kurz vor seiner unfreiwilligen Entfernung aus dem Amt.

Dieser hatte 2018 in Warschau von „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen und die entsprechende Rede vor dem „Berner Club“ auch ins Internet gestellt. Anschließend versetzte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer Maaßen in den einstweiligen Ruhestand. Ein Disziplinarverfahren leitete er jedoch trotz mehrfacher Aufforderungen aus der Politik nicht ein.

Nachfrage wird mit Haldenwang-Zitat beantwortet

Die offizielle politische Neutralität des Verfassungsschutzes werde in der Praxis nicht konsequent durchgehalten, äußert der Whistleblower weiter. Die politische Leitung durch das Innenministerium sowie ein „sehr enges Geflecht an persönlichen Kennverhältnissen“ entfalteten eine eigene Dynamik.

Kritik an der falschen Stelle führe zu dünnhäutigen Reaktionen, so S. Auf einen vorschriftsmäßig dokumentierten Katalog an Kritikpunkten und Verbesserungsvorschlägen sei ein „nicht sehr freundliches“ Gespräch mit Landesamtspräsident und Abteilungsleiter angesetzt worden.

In weiterer Folge gab es schlechte Beurteilungen, Vorwürfe von Fehlern bei der Arbeit – und am Ende standen ein Entzug der Sicherheitsermächtigung und ein Disziplinarverfahren.

Von der „Schwäbischen“ auf die Angelegenheit angesprochen, wollte der Verfassungsschutz keine nähere Auskunft geben. Allerdings verwies der Dienst in einem Antwortschreiben auf jenen FAZ-Gastbeitrag von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, in dem dieser über die „Grenzen der Meinungsfreiheit“ geschrieben hatte. Darin hieß es unter anderem, dass Meinungsäußerungen „auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität“ verfassungsschutzrechtlich von Belang sein könnten.



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