Universität Hamburg beendet Ausbildung für Kriminalistik

Forschung an den Ursachen krimineller Handlungen erscheint in Hamburg langfristig nicht mehr erwünscht. Der Masterstudiengang „Internationale Kriminologie“ soll auslaufen.
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Eine Überwachungskamera in Aktion. Wer und aus welchen Motiven heraus solche Taten begehrt, bleibt Aufgabe der Ermittler.Foto: iStock
Von 28. Februar 2022

„Politik der Geheimhaltung“, „Visualisierung von Unsicherheit“ und „Faszinosum Gewalt“. „Gefährliche Räume“, „Border Criminologies“, „Radikalisierung von Öffentlichkeit“ oder das „Subjekt des Aufstands“ – die Themen, die angehende Kriminalisten in ihrem Masterstudiengang an der Universität Hamburg erforschen können, beleuchten brandaktuelle Aspekte der Gesellschaft.

Die Bedeutung ihrer soziologisch angelegten Forschung kann kaum unterschätzt werden. Sie untersuchen aus soziologischer – und vereinfacht ausgedrückt nicht pur strafrechtlicher – Sichtweise, wie und warum sich Kriminalität in Städten und an Grenzen entwickelt. Größer gesehen, betreffen ihre Forschungen den internationalen Krieg gegen den Terror oder „Forensic Architecture“, digitale Algorithmen und Überwachungstechnologien. Regelmäßig sind internationale Wissenschaftler eingeladen, zu ihren Forschungen zu sprechen.

Universitätsveranstaltungen mit Titeln wie „Reading the Riots“, „Wahrheitstechniken“ und das „Forschungsseminar Radikalisierung: Quantitative kriminologische Sozialforschung“ sind beliebt.

Studiengang soll auslaufen

Perspektivisch gesagt müsste man schreiben, sie werden beliebt gewesen sein. Es fehlt nicht an Studenten, aber möglicherweise am Willen: Dieser Masterstudiengang „Internationale Kriminologie“ an der Universität Hamburg läuft nach derzeitiger Planung aus. Zum Wintersemester 2022/23 können sich zum voraussichtlich letzten Mal Studenten einschreiben.

Der Abschluss ist deutschlandweit einmalig, weil er nicht in einer rechtswissenschaftlichen Fakultät, sondern an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg angesiedelt ist. Es wird verstärkt aus der Sicht der Soziologie, der Lehre vom Verhalten der Menschen und aus der Kritischen Kriminologie, auf die Probleme der Menschen geschaut – nicht aus der schwerpunktmäßigen juristisch-strafrechtlichen Perspektive.

Geforscht wird unter anderem an drei gesellschaftlich heiklen Fragen: „Wie erfindet sich Demokratie in der Verhandlung von gesellschaftlichen Problemen, Gefährdungen und Schützenswertem, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit immer wieder neu und wie setzt sie sich dabei ins Verhältnis zu Recht und Rechtsstaatlichkeit?

Das zweite ist: „Wie ermöglichen und produzieren Gesellschaften ihre eigene Radikalisierung?“ Und: „Wie identifizieren Wissenspraktiken abweichendes oder verdächtiges Verhalten, Gefahren oder Bedrohungen und modulieren Gesellschaft über die Zukunft?“

Greifswald, Bochum, Regensburg, Hamburg

Gibt es ähnliche Studiengänge in Deutschland?

Kriminologie wird an der Universität Greifswald angeboten, aber ohne eigenständigen Masterstudiengang. An der Ruhr-Universität Bochum existiert ein Lehrstuhl für Kriminologie, der einen Master of Criminology, Criminalistics and Police Science ermöglicht. Beide Lehrstühle gehören zu den Lehrstühlen für Strafrecht und sind an der Rechtswissenschaftlichen bzw. Juristischen Fakultäten angesiedelt.

Ein ähnlicher Masterabschluss in Kriminologie und Gewaltforschung kann an der Universität Regensburg erreicht werden, dieser ist ebenfalls in den Rechtswissenschaften verankert.

Angehende Master-Studenten könnten sich, so die vierte Möglichkeit, auch in einem dreisemestrigen berufsbegleitenden Weiterbildungsmaster an der WiSo der Universität Hamburg versuchen, sofern sie aus „kriminologisch einschlägigen Arbeitsfeldern“ kommen und über einschlägige Berufserfahrung verfügen.

Zu wenig Personal, zu wenig Geld

Als Grund geben die Hamburger an, dass perspektivisch gesehen die Lehrkräfte fehlen. Zwei wichtige Dozenten gehen in den Ruhestand, und diese beiden Stellen sollen nach der jetzigen Planung nicht nachbesetzt werden.

„Das Budget wurde bereits anderweitig verplant aufgrund strategischer Entscheidungen“, berichtet das „Hamburger Abendblatt“ Ende Januar 2022. Was hinter den strategischen Entscheidungen steht, ist offen. Offen bleibt auch die Frage, ob diese Entscheidung mit der Ausrichtung der Universität Hamburg als Exzellenzuniversität mit Schwerpunkten wie Klima- und Infektionsforschung zusammenhängt.

Auf Twitter äußerte Christine Hentschel, Programmdirektorin und Professorin für Kriminologie, dass es seit Langem für den Studiengang zu wenig Personal und Geld gebe. Telefonische Kontaktanfragen blieben unbeantwortet.

Die Wurzeln untersuchen, nicht nur strafen

Die drohende Schwächung der Kritischen Kriminologie löst Bedenken bei namhaften Wissenschaftlern und Kriminologen aus: Fehle dieses Zentrum, dann würde „Kriminologie fast nur noch als ein Nebenfach […] in juristischen Studiengängen oder an Polizeiakademien vertreten sein – und somit auch nur ein eingeschränkter Zugang zu diesen Inhalten bestehen“, heißt es in einer Stellungnahme von mehr als 350 Experten.

Auch die Kriminologische Gesellschaft, vertreten durch Professor em. Dr. iur. Hans-Jürgen Kerner, unterzeichnete das Papier.

Bis 2028 soll es zumindest noch Lehrveranstaltungen „in ausreichendem Umfang“ geben, versichert die Universität Hamburg. Damit sei dafür gesorgt, dass alle Studenten ihren Masterabschluss beenden können.

Kritische Kriminologie abschaffen

Gegen die geplante Schließung protestieren auch die Herausgeber der einzigen deutschsprachigen kritisch-kriminologischen Fachzeitschrift, dem Kriminologischen Journal. Sie sprechen davon, dass seit der Emeritierung von Prof. Dr. Fritz Sack im Jahr 1996 die Lage des Studiengangs als „durchgehend prekär“ bezeichnet werden kann. Die Ausstattung mit Professorenstellen sei seitdem mangelhaft gewesen.

Jedoch bilden zahlreiche Absolventen des Studiengangs später an den Polizeihochschulen den polizeilichen Nachwuchs aus. „Gerade aufgrund der zahlreichen Krisen in den vergangenen Jahren in der hiesigen Polizei erscheint eine rechtsstaatlich begründete Ausbildung von Polizist*innen derzeit wichtiger denn je.“ Eine Schließung des Masterstudiengangs stellt – wenn sie kommt – „nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch einen erheblichen Verlust dar.“



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