Von „extrem riskanter Wette“ bis „für die Sicherheit no limit“: Welche Reaktionen gibt es zum Sondervermögen?

Der alte Bundestag soll bis zum 25. März noch über Gelder von nahezu einer Billion Euro entscheiden. So viel würde das neue Finanzpaket von Union und SPD kosten. Die FDP warnt, es entstehe eine Koalition, „die ihre Gemeinsamkeiten auf unendlichen Schulden aufbaut“. Wie reagieren Politiker und Ökonomen?
Nach drei Sondierungsterminen steht eine Einigung in Finanzfragen.
Nach drei Sondierungsterminen steht eine Einigung in Finanzfragen.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Epoch Times5. März 2025

Vor Bildung einer neuen Regierung haben sich Union und SPD auf ein beispielloses Finanzpaket zur Stärkung von Bundeswehr und Wirtschaft verständigt. Friedrich Merz sagte, Grüne und FDP seien „über die Vorschläge informiert“ worden. Absprachen gab es offensichtlich aber noch nicht.

Sowohl die Sonderregelungen für Verteidigung wie auch das neue Sondervermögen und die Änderungen für die Kreditregeln für die Länder benötigen in Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Der alten Bundestag ist noch bis zum 25. März beschlussfähig. Im neuen Bundestag würde zusätzlich die Linksfraktion benötigt, die eine massive Aufstockung der Mittel für Verteidigung ablehnt.

Welche Reaktionen gibt es auf die Vorschläge?

Söder: Aufrüstung ohne Limit – Merz: „Alles was nötig ist“

Friedrich Merz setzt auf Entscheidungen in der kommenden Woche. Spätestens nach den jüngsten Entscheidungen der US-Regierung duldeten sie „keinen Aufschub“, betonte Merz. Mit Blick auf die Verteidigungsausgaben gelte jetzt das Prinzip „Whatever it takes“ – „Alles, was nötig ist“.

Der CDU-Chef sagte auch, er werde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem an diesem Mittwochvormittag geplanten Gespräch zur Ukraine auffordern, notwendige Soforthilfen von drei bis 3,5 Milliarden Euro freizugeben. „Wir wollen, dass diese Mittel fließen“, sagte er. Scholz hatte bislang Ausnahmen von der Schuldenbremse dafür zur Bedingung gemacht.

CSU-Chef Markus Söder sagte, Deutschland und Europa dürften nun „nicht zaghaft“ reagieren. Alles, was die Bundeswehr brauche, werde angeschafft. Der Beschluss bedeute „für die Sicherheit no limit“, also „keine Grenze“. „Wir rüsten komplett auf.“

Dies gelte sowohl militärisch als auch wirtschaftlich und technologisch. Wenn ihm jemand vor drei Wochen gesagt hätte, was für ein Paket nun beschlossen wurde, dann hätte er ihn „für zumindest gesagt sehr optimistisch, vielleicht sogar verrückt gehalten“, fügte Söder hinzu.

SPD: „Starkes Paket für Sicherheit“

SPD-Chef Lars Klingbeil nannte die Vereinbarungen „ein starkes Paket für Sicherheit“. Angesichts der Vorgänge in den USA sein klar geworden, „dass wir viel mehr Geld für unsere Verteidigung und für die Sicherheit in Europa brauchen“.

Das Ergebnis der Gespräche mit der Union sei „ein guter Auftakt“ gewesen, auch wenn die weiteren Verhandlungen über eine Koalition noch zäh werden könnten.

„Es ist wichtig, dass wir investieren, massiv investieren, dass unser Land wieder besser funktioniert“, begründete er auch das neue Sondervermögen. „Unser Land fährt auf Verschleiß“, warnte Klingbeil. Er betonte auch, es sei „fest verabredet“, die Schuldenbremse nach dem Zusammentritt des neuen Bundestages zu überarbeiten.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, der zum SPD-Sondierungsteam gehört, sagte in den ARD-„Tagesthemen“, man sei zwar noch nicht in Koalitionsverhandlungen. „Aber es zeigt, was geht, wenn beide Seiten (…) den Ernst der Lage erkennen und sich sehr verantwortungsbewusst verhalten.“

„Das ist ein historischer Tag, für die Bundeswehr und für Deutschland“, sagte Pistorius dem „Spiegel“. Sollten die angekündigten Vorhaben beschlossen werden, würde dies Deutschland ermöglichen, „mit anderen eine führende Rolle“ dabei zu übernehmen, die NATO in Europa zu stärken, fügte der Minister hinzu.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) IST „sehr froh“, dass der Zivil- und Bevölkerungsschutz darin eine wichtige Rolle spiele. „Deswegen ist es auch ein entscheidender und sehr guter Schritt für die innere Sicherheit in Deutschland.“

Die SPD habe immer darauf gedrungen, dass sowohl in die innere als auch die äußere Sicherheit investiert werden müsse. „Das gehört beides zusammen“, betonte Faeser.

Grüne: „Wir machen hier gar nichts auf Zuruf“

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wirft CDU und CSU vor, mit der Finanzeinigung mit den Sozialdemokraten ein zentrales Wahlversprechen „von heute auf morgen“ gebrochen zu haben.

Die Union habe den Bürgern im Land versprochen, und darauf baue ihr Wahlsieg, dass es keine neuen Schulden gebe, sagte Haßelmann den Sendern RTL und ntv. Man habe immer behauptet Deutschland habe kein Einnahmeproblem, Deutschland habe ein Ausgabeproblem.

Die Grünen hätten dagegen sehr deutlich gemacht, dass das Land Investitionen in Klimaschutz, wirtschaftliche Entwicklung, Infrastruktur aber auch in die Verteidigung benötige. Markus Söder und Friedrich Merz hätten das stets verneint. Stattdessen habe man nach der Wahl Wahlversprechen rasant und schamlos gebrochen.

Mit Blick auf die ersten Sondierungsergebnisse von Dienstag sagte Haßelmann: „Ich hätte gestern Abend von Herrn Söder und Herrn Merz ein bisschen mehr Demut erwartet angesichts der Notwendigkeiten und der Wirklichkeit, der sie sich jetzt stellen müssten.“

Da der „alte“ Deutsche Bundestag zur Verabschiedung der Pläne von CDU/CSU und SPD zusammenkommen muss, fordert Haßelmann von den beiden Unionsspitzen eine solche Geste der Demut: „Ein Signal an die vielen Abgeordneten, die vielleicht aufgrund des Wahlsiegs der CDU CSU nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten sind, von denen man aber erwartet, dass sie im Sinne der Vernunft Entscheidungen treffen, wäre angebracht.“

Katharina Dröge, Grünen-Ko-Fraktionschefin im Bundestag, sagte in einer ersten Reaktion „Wir machen hier gar nichts auf Zuruf“. Sie sehe zwar „schon Bewegung“ mit Blick auf Forderungen der Grünen, etwa bei der „dauerhaften Verschuldungsmöglichkeit“ bei Verteidigungsausgaben.

Sie frage sich aber, warum das nicht auch bei den nötigen Investitionen für Infrastruktur passiert sei. Zudem müsse das Paket beim Klimaschutz „besser werden“, der bisher überhaupt nicht vorkomme.

FDP: Alter Bundestag sollte nicht über Summen von einer Billion entscheiden

Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki lehnt eine Zustimmung seiner Partei ab. „Ich kann sagen, wir stimmen nicht zu einem Sondervermögen Investitionen“, sagte Kubicki.

„Es gibt gar keinen Handlungsbedarf“, sagte er. „Das kann man auch im neuen Bundestag machen. Wir müssen ja sehen, der alte Bundestag ist eigentlich abgewählt.“ Die FDP ist im neu gewählten Bundestag nach dem vorläufigen Ergebnis der Bundestagswahl nicht vertreten.

Kubicki dringt darauf, dass der neue Bundestag die Entscheidung trifft. Dieser tritt am 25. März zusammen. „Ich habe parlamentarisch auch ein Störgefühl, dass der alte Bundestag noch über Summen von einer Billion entscheiden muss“, sagte Kubicki.

Während Kubicki mit den Spitzen von Union und SPD darin übereinstimmt, alles zu tun, um die Bundeswehr wieder stark zu machen, sieht er für das Sondervermögen für Infrastruktur auch rechtliche Bedenken.

„Das ist ein sehr komplexer Vorgang. Und vor allen Dingen muss die Frage geklärt werden, wie soll das Parlamentsrecht sichergestellt werden? Denn ist ein solches Sondervermögen erstmal in der Welt, kann die Regierung damit machen, was sie will“, sagte er. Auch Sondervermögen unterliegen der Kontrolle durch das Parlament, durch den Bundesrechnungshof und durch Gerichte.

Die FDP wirft der Union nun vor, zentrale Wahlkampfversprechen zu brechen. Hier entstehe eine Koalition, „die ihre Gemeinsamkeiten auf unendlichen Schulden aufbaut“, sagte Fraktionschef Dürr.

AfD: Pläne missachten Wählerwillen

Die AfD kritisiert die Pläne. „Wir sehen es als sehr kritisch an, dass diese Maßnahmen noch vom alten Bundestag beschlossen werden sollen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla am Dienstag. Dadurch werde der in der Bundestagswahl ausgedrückte Wählerwille „eindeutig missachtet“.

Die AfD-Fraktion werde die von Union und SPD „in Aussicht gestellten Anträge zur Kredit-Finanzierung von Verteidigung und Infrastruktur eingehend prüfen, sobald diese im Detail vorliegen“, hieß es weiter.

Linke: „Blankoscheck für Aufrüstung“

Die Linkspartei warnt vor einem „Blankoscheck für Aufrüstung“. Es sei „völlig übereilt und demokratisch höchst fragwürdig“, für Ausnahmen für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse „eine Grundgesetzänderung in nie dagewesener finanzieller Dimension durch den Bundestag zu peitschen“, erklärten die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken. Sie sprachen von einem „beispiellosen und äußerst bedenklichen Vorgang“.

Die Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann sowie die Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken wiesen darauf hin, dass die geplante Ausnahmeregelung für den Wehretat „weder in der Höhe noch in der Zeit begrenzt“ sei.

Damit könnten „hunderte Milliarden für Aufrüstung“ freigesetzt werden. Hingegen sei „für zentrale Fragen wie Wohnungsbau und Gesundheit“ keine solche Regelung vorgesehen. Sie kündigten eine rechtliche Prüfung an, ob die von Union und SPD geplante Entscheidung noch durch den alten Bundestag überhaupt verfassungskonform sei.

Inhaltlich sprachen sich die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken jedoch im Grundsatz für das geplante Sondervermögen für Infrastruktur und Wirtschaft sowie für gleichfalls vorgesehene Lockerungen der Schuldenbremse für die Länder aus.

Was sagen Ökonomen?

Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm befürchtet, dass die nächste Bundesregierung nun deutlich weniger Reformdruck verspüren wird, weil mehr Geld zur Verfügung steht. Es sei eine „extrem riskante Wette“, den Reformbedarf durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben, sagte sie dpa.

„Das Paket ist ein echter Game changer“, schrieb der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor Jens Südekum auf X. „Es entspricht nicht exakt, aber ziemlich genau dem, was wir vorgeschlagen hatten.“ Wichtig sei jetzt, dass das Geld auch tatsächlich auf die Straße komme. „Im Infrastrukturbereich muss das Sondervermögen durch eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren begleitet werden.“ Auch im Verteidigungsbereich dürfe das Geld nicht für veraltete Ausrüstung ausgegeben werden, stattdessen müsse neueste Technik im Vordergrund stehen.

Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb auf X, die Pläne seien ein „extrem wichtiger Schritt für die Sicherheit in Deutschland und Europa“.

André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, eine Investitionsoffensive sei überfällig. Allein in den Kommunen belaufe sich der Investitionsrückstand auf rund 186 Milliarden Euro.

Auch bei Gewerkschaften und Kommunen kommen die Vorhaben gut an. Aus Sicht der Ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, scheint die Politik verstanden zu haben, dass jetzt schnell und beherzt gehandelt werden müsse.

Die Baubranche lobt die Pläne für das Finanzpaket zur Stärkung von Bundeswehr und Wirtschaft von Union und SPD. „Die geplanten Investitionen sind die jetzt dringend benötigte Modernisierungsoffensive“, erklärte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bezeichnete die Einigung als „wegweisend und unerlässlich zugleich“.

Sebastian Dullien sieht in dem Finanzpaket „eine echte Zeitenwende auch für die Finanzpolitik“. Der neuen Regierung könne so eine „nachhaltige Wirtschaftswende“ gelingen, so der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

Die Stiftung Familienunternehmen und Politik glaubt hingegen nicht, dass die strukturellen Probleme Deutschlands nur mit mehr Geld gelöst werden können. Um den Investitionsstau in Deutschland aufzulösen, brauche es „viel mehr als neue Kreditpakete“, erklärte Rainer Kirchdörfer, Vorstand des Verbands.

Ein Sondervermögen schaffe zwar finanzielle Spielräume, „ist aber nicht darauf ausgerichtet, die Konjunktur in Schwung zu bringen“, erklärte Verena Pausder, die Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbands Deutschland. Für den wirtschaftlichen Aufschwung müsse der Fokus auf Zukunftstechnologien und Digitalisierung gelenkt werden. „Das kombiniert mit strukturellen Reformen bringt uns wieder nach vorn“, erklärte Pausder.

(afp/dpa/dts/red)



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