Uni Göttingen: V-Mann in linksextremer Szene aufgeflogen – Student arbeitete für Verfassungsschutz – Panne oder Sabotage?

Ein Student, der für den Verfassungsschutz in linksextremen Kreisen die Augen offen hielt, wurde enttarnt. Die Extremisten veröffentlichten daraufhin sämtliche persönliche Daten des 24-Jährigen auf "Indymedia". Der Fall löste eine Debatte im Landtag von Niedersachsen aus.
Titelbild
Symbolbild.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Von 15. November 2018

Die Frage stellte sich: Handelte es sich um eine Behördenpanne oder gar um eine Sabotage?

„Das gehört zu den schwersten Fehlern, die einer Sicherheitsbehörde passieren können“, sagte ein Mann des Nachrichtendienstes eines norddeutschen Bundeslandes gegenüber dem „NDR“ und meinte damit die Enttarnung eines V-Mannes des Verfassungsschutzes durch die Behörde selbst.

Im Rahmen eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Hannover waren die Informationen zu dem Mann bekannt geworden, weil der Verfassungsschutz Niedersachsen es versäumt hatte, in einem Auskunftsersuchen die entsprechenden Stellen zu schwärzen. Die nun offen gelegten Details ließen Rückschlüsse auf den V-Mann zu. Dies blieb auch der linksextremen Szene nicht verborgen.

Linken-Sprecherin fordert Auflösung des Verfassungsschutz

Auf Facebook beschwerte sich nun Lena Rademacher, Sprecherin der Gruppe „Basisdemokratische Linke Göttingen“, dass man zwei Jahre lang in „unseren privatesten und persönlichsten Bereichen herumgeschnüffelt“ habe und forderte die Auflösung des Verfassungsschutzes. Doch man lasse sich nicht entmutigen, so Rademacher:

Wir setzen uns weiterhin für unser Ziel einer offenen Gesellschaft, einer Gesellschaft der Vielen ein!“

(Lena Rademacher)

Dem Statement der Linken-Sprecherin auf Facebook folgte der Hinweis auf eine linksextremistische Webseite – „Auf Indymedia wurde ein anonymer Outingtext gepostet: https://de.indymedia.org/node/25896“ -, auf der auf die Identität des 24-jährigen Gerrit Greimann als Vertrauensperson des Verfassungsschutzes hingewiesen wurde.

Analyse à la SED und Stasi

Der 24-jährige Vertrauensmann des Verfassungsschutzes, ein Student, wurde in dem Papier mit anonymem Verfasser nicht nur mit Lebenslauf und aktueller Wohnanschrift, mehreren privaten E-Mail-Adressen, seinem Facebook-Account und seinen Bankdaten dargestellt, sondern auch nach Art der DDR-Stasi analysiert:

Greimann war schon während seiner Schulzeit politisch interessiert. (…) Über einen öffentlichen Einstiegsabend kam er schließlich im November 2016 zur Basisdemokratischen Linken. Hier beschäftigte er sich zunächst mit dem Thema Antifaschismus, ab Anfang 2018 dann mit Politik an der Hochschule. Aus der Gruppe heraus nahm er an antifaschistischen Gegenprotesten und auch überregionalen Treffen teil. Außerdem äußerte er Interesse an Strukturaufgaben. Allerdings war er auffällig wenig engagiert, in der Gruppe relativ schlecht vernetzt und pflegte keine tiefergehenden sozialen Beziehungen. (…) Er ist aktiver League of Legends Spieler (Gamer) und spielt Schach.“

Dann verwies man noch auf den Grund der Geheimhaltung durch den Verfassungsschutz und beendete den Info-Text mit einer Drohung:

In den Akten begründet der Verfassungsschutz die Geheimhaltung der vertraulichen Informationen mit folgendem Satz: ‚Autonome Szenen sind in der Lage akribisch zu recherchieren und versuchen auch nach längerer Zeit zu rekonstruieren, in welchem personellen Umfeld sie sich bei einer Demonstration oder Veranstaltung befunden haben. Ein Rückschluss auf die VP ist somit nicht auszuschließen. Eine Offenlegung der Erkenntnisse ist daher aufgrund der Gefährdung für die VP nicht möglich.‘

Kein Spitzel oder V-Person kann sich auf die amtliche Geheimhaltung verlassen. Wir kriegen sie alle!“

Ein Kommentar unter dem „Outingtext“ lautete daraufhin:

Foto: Screenshot/Indymedia

NDR mutmaßt vom harmlosen „linken Lager“

Während die „Junge Freiheit“ darauf verweist: Die „linksextreme Szene in der niedersächsischen Universitätsstadt gilt als besonders gewalttätig. In der Vergangenheit war es dort immer wieder zu Angriffen auf  Polizisten und Verbindungsstudenten gekommen„, stellt der öffentlich-rechtliche „NDR“ der Szene eher eine Art Unbedenklichkeits-Bescheinigung aus, obgleich man davon ausgeht, dass die Polizei aktiv werden wird: „Anders als die gewaltbereite rechtsextreme Szene gilt das linke Lager in Göttingen in Fällen von ‚Verrat‘ zwar nicht als rachsüchtig. Dennoch dürfte man seit Dienstag in der Polizeidirektion Göttingen eine präzise Gefahrenanalyse erstellt haben.“

Laut „NDR“ würden die möglichen Konsequenzen einer solchen Analyse von „zeitweiliger Intensivierung der Polizeistreifen im Wohngebiet bis hin zur Aufnahme in ein polizeiliches Zeugenschutzprogramm“ reichen, was für den 24-jährigen enttarnten Studenten im schlimmsten Fall eine neue Identität bedeuten würde, inklusive Wohnsitzwechsel und Abbruch seiner bisherigen Kontakte.

Mitglieder der linken Szene hätten dem öffentlich-rechtlichen Sender berichtet, dass sich der 24-Jährige vor allem auf den politischen Feldern des Antifaschismus und der Hochschulpolitik betätigt, sich aber mit eigenen politischen Aussagen zurückgehalten habe. Er war eher bei der Vorbereitung von Konferenzen und der Organisation von Kundgebungen tätig.

Im Video: Ist die linke Ideologie harmlos oder gefährlich?

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Wird der Fall zum Skandal?

Der „NDR“ verwies in seinem Bericht noch darauf, dass in der Landeshauptstadt bereits das Wort „Mitarbeiterversagen“ die Runde mache. Gegenüber dem „NDR“ wollte sich der Verfassungsschutz jedoch nicht zu „operativen Angelegenheiten“  äußern.

Unter dem „Indymedia“-Outing äußerte ein Kommentator noch einen schlimmen Verdacht:

Foto: Screenshot/Indymedia

Ob es sich tatsächlich um ein dummes Versehen handelte oder ob die Identität des Studenten absichtlich nicht ausreichend geschützt wurde, sind beides bisher rein spekulative Annahmen. Gleichwohl könnte sich der V-Mann-Fall für die Behörde unter Oberherrschaft von Innenminister Pistorius (SPD) noch zu einem Skandal ausweiten.

Im Landtag von Niedersachsen forderten die Grünen in einer Debatte Aufklärung vom Innenminister, der jedoch in der öffentlichen Sitzung „weder dementieren noch kommentieren“ wollte und auf den „regulären Weg“ verwies.

Den sah Stefan Birkner, Landes- und Fraktionsvorsitzender der FDP jedoch gerade im Parlament: „Einen reguläreren Weg kann ich mir beinahe nicht vorstellen“, entgegnete er auf die Aussage des SPD-Politikers. Es gehe schließlich um ein Versagen des Verfassungsschutzes beim Schutz von V-Leuten: „Wie kann das Landesamt jetzt noch garantieren, dass die Quellen sicher agieren können? Wenn andere deutsche und auch ausländische Nachrichtendienste davon erfahren, werden sie womöglich nicht mehr bereit sein, ihre Informationen nach Hannover zu übermitteln“, so der Fraktionschef laut „Rundblick Niedersachsen“.

Sowohl der FDP-Fraktionsvorsitzende Birkner als auch der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Rechtsanwalt und Kabarettist Klaus Wichmann, forderten die Entlassung von Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Wichmann sah am Mittwoch im Landtag nicht nur ein „Aufsichtsversagen der Behörde“, sondern auch einen „erheblichen Ansehensverlust“.

Brandenburger wurde nach dem rot-grünen Sieg bei den Landtagswahlen 2013 vom neuen Innenminister Boris Pistorius auf den „Thron“ des damaligen, unter dem CDU-Innenminister Uwe Schünemann arbeitenden, Verfassungsschutzpräsidenten Hans Werner Wargel gesetzt. Erstmals saß damit eine Politologin auf dem zuvor ausnahmslos von Männern, frühere Polizisten und Juristen, besetzten Posten, wie die „HAZ“ berichtete.

Die „HAZ“ schrieb damals dem Landesamt für Verfassungsschutz in Hannover einen bundesweit guten Ruf zu, was „vor allem am konsequenten Vorgehen gegen rechtsextremistische Kräfte“ liege.

[Video der Debatte, Quelle: „NDR“]

 



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