Umstrittene Großreform soll Krankenhausversorgung neu ordnen – und kalkuliert Klinikschließungen ein

Die große Reform der deutschen Kliniklandschaft stand lange auf der Kippe, passierte aber heute den Bundesrat und kann nun umgesetzt werden. In Brandenburg entließ Ministerpräsident Woidke Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher, weil sie seinem Vorschlag, das Thema zunächst in den Vermittlungsausschuss zu verweisen, nicht zustimmen wollte.
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Sitzung des Bundesrates am 22. November 2024Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 22. November 2024

Nach dem Bundestag hat die umstrittene Krankenhausreform am heutigen Freitag (22. November) auch den Bundesrat passiert. Nun ist der Weg frei für das noch von der Ampel-Koalition beschlossene Gesetz für eine Neuordnung der Kliniken.

Eindringlich hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für seine große Krankenhausreform geworben, die bis zuletzt auf der Kippe stand. Wiederholt warnte er Agenturen zufolge vor einem unkontrollierten Krankenhaussterben, wenn das Vorhaben scheitert. Die Vorbehalte aus den Ländern waren massiv. In Brandenburg kam es gar zu einem Eklat, als Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kurz vor der Abstimmung seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) entließ. Sie wollte gegen eine Überweisung in den Vermittlungsausschuss stimmen, Woidke sprach sich jedoch dafür aus.

Weniger Kosten, mehr Qualität

Lauterbach will mit seinem Großprojekt die Krankenhauslandschaft vollständig neu ordnen. So sollen die hohen Kosten für die Krankenhaus-Versorgung sinken, bei gleichzeitig steigender Qualität der Behandlung. Kernstück der Reform ist eine stärkere medizinische Spezialisierung. Vor allem die kleineren Krankenhäuser sollen künftig weniger Leistungen anbieten und sich auf jene Eingriffe beschränken, die sie gut beherrschen. Patientinnen und Patienten müssten künftig also teilweise längere Wege bis zum nächsten zuständigen Krankenhaus in Kauf nehmen. Dafür sollen sie aber besser behandelt werden können.

Die einzelnen Behandlungsarten werden durch das Gesetz in 65 Leistungsgruppen eingeteilt – wie Herzchirurgie, Leukämie oder Darmtransplantation. Welches Krankenhaus künftig welche Leistungsgruppen anbieten darf, entscheiden die Behörden der Länder. Die Kliniken müssen dafür ein bestimmtes Qualitätsniveau sowie ausreichend Personal nachweisen können. Nur wenn sie diese Kriterien erfüllen, sollen sie für die Behandlung bezahlt werden können.

Anstoß für die Reform ist die schlechte Finanzlage der Kliniken. Etwa 30 Prozent schreiben rote Zahlen. Die Reform solle eine „Ent-Ökonomisierung“ des Krankenhauswesens bringen, sagt Lauterbach. Wichtigste Änderung: Die bisherige Vergütung über Fallpauschalen soll eingeschränkt werden, weil sie erhebliche Fehlanreize setzt. Sie kann dazu führen, dass Kliniken Behandlungen ausführen, die medizinisch gar nicht erforderlich sind – nur um diese dann finanziell abrechnen zu können.

Lauterbachs Lösung: Künftig sollen die Kliniken hauptsächlich dafür bezahlt werden, dass sie bestimmte Leistungen anbieten. Dafür erhalten sie eine sogenannte Vorhaltepauschale, die 60 Prozent ihrer Kosten decken soll. Die übrigen 40 Prozent sollen wie bislang über die Fallpauschale kommen. Unabhängig von der Vorhaltepauschale sollen die Kliniken für wichtige Kernbereiche zusätzliche Mittel bekommen: für Pädiatrie, Geburtshilfe, Schlaganfallbehandlung, Traumatologie und Intensivmedizin.

Union wollte im Vermittlungsausschuss nachverhandeln

Da Kliniken schließen müssen, ist offenbar klar. Für die aktuell über 1.700 Krankenhäuser gebe es bereits jetzt nicht genug Personal, viele seien von Insolvenz bedroht, argumentiert Lauterbach. Mit seiner Reform will er das erwartete Kliniksterben begrenzen: „Wenn es am Ende 20 Prozent Krankenhäuser weniger gibt, diese aber bessere Versorgung bieten, dann ist das aus meiner Sicht richtig.“

Damit bei der Umstellung auf den neuen Finanzierungsschlüssel nicht unkontrolliert noch mehr Krankenhäuser in Schieflage geraten und von einer Schließung bedroht sind, wurde ein sogenannter Transformationsfonds für den Übergang eingerichtet. Über zehn Jahre stellen Bund und Länder zusammen insgesamt 50 Milliarden Euro dafür bereit.

Eine Reihe von Regelungen soll vor allem kleinen Kliniken in ländlichen Regionen helfen: In solchen Häusern sollen Fachärzte ihre Leistungen künftig auch ambulant für Patientinnen und Patienten anbieten dürfen. Der mancherorts weite Weg in eine Fachpraxis entfällt damit. Zudem dürfen sogenannte „Sicherstellungshäuser“ in ländlichen Regionen, die für die Grundversorgung unverzichtbar sind, geringfügig von den strengen Qualitätsvorgaben der Leistungsgruppen abweichen.

Ein Scheitern der Reform wäre ein Kollateralschaden des Koalitionsbruchs gewesen. Die Reform wurde zwar noch mit Ampel-Mehrheit im Bundestag beschlossen, aber einige unionsgeführte Länder wollten im Vermittlungsausschuss Nachverhandlungen erreichen. Sie fürchteten Klinikschließungen, hohe Folgekosten und mehr Befugnisse des Bundes auf Kosten der Länder.

Hätte der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, hätte der Bundestag dies mit absoluter Mehrheit überstimmen können. Nach dem Ampel-Aus fehlen der verbliebenen rot-grünen Minderheitsregierung dazu aber die nötigen Stimmen. Eine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses kam aber im Bundesrat nicht zustande. Die Reform kann damit in Kraft treten.

Woidke verteidigt Entlassung von Nonnenmacher

Nach der Entlassung seiner Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher, kurz vor der Abstimmung über die Krankenhausreform im Bundesrat, kritisiert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die Grünen-Politikerin mit deutlichen Worten. „Ich glaube gerade bei so einem wichtigen Thema darf das eine Landesregierung nicht akzeptieren, ein Ministerpräsident sowieso nicht. Ich kann mir da nicht auf der Nase rumtanzen lassen“, sagte Woidke der RTL/ntv-Redaktion am Freitag in Berlin.

Nonnenmacher habe sich „geweigert“, die umstrittene Krankenhausreform in den Vermittlungsausschuss zu überweisen, so Woidke. Damit habe sie angedroht, „die Stimme des Landes Brandenburg ungültig zu machen“, so Woidke. Der SPD-Politiker selbst war dagegen für die Überweisung der Reform in den Vermittlungsausschuss.

Nach einem Gespräch mit Krankenhausträgern, Landkreisen, Städte- und Gemeindebund und der Krankenhausgesellschaft sei die Botschaft an die Politik klar gewesen: „Der Tenor war eindeutig, diese Reform in dieser Art und Weise hilft uns in der Brandenburger Krankenhauslandschaft nicht weiter. Und wir wurden gebeten, Ursula Nonnemacher genauso wie ich, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um Verbesserung zu erreichen. Sie hat sich geweigert, diesem Votum nachzukommen“, erklärte Woidke.

Weil keine Einigung möglich war, entließ Woidke die Ministerin noch während der laufenden Bundesratssitzung. Dennoch sei ihm der Schritt schwergefallen, weil sich die Grünen-Politikerin um das Brandenburger Gesundheitswesen verdient gemacht habe.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios entließ Woidke Nonnemacher kurz vor der entscheidenden Abstimmung, mit welcher der Bundesrat letztlich grünes Licht für die Reform gab. Sie habe noch im Bundesrat ihre Entlassungsurkunde erhalten. Nach Angaben eines AFP-Reporters war Nonnemacher laut Liste für eine Rede zur Krankenhausreform vorgesehen, sie wurde dann aber übersprungen.

Die 67-Jährige war seit November 2019 Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz in Brandenburg. Bei der Landtagswahl im September verpassten die Grünen den Wiedereinzug in das Landesparlament.

Woidke verhandelt für die SPD derzeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) über eine Regierungsbildung. Die beiden Parteien wollen laut Medienberichten die Krankenhausstandorte in dem Bundesland erhalten.

Grüne: Entlassung ein Tiefpunkt der politischen Kultur in Brandenburg

Die Brandenburger Grünen sprachen von einer „Machtdemonstration“ Woidkes und halten die plötzliche Entlassung der Ministerin für offenkundig politisch motiviert. Die Entscheidung sei ein „neuer Tiefpunkt in der politischen Kultur des Landes Brandenburg“.

Nonnemacher hatte sich gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat ausgesprochen, weil dies eine erhebliche Verzögerung der Reform bedeutet hätte. Zugleich verwies sie zuletzt am Mittwoch auf einige wichtige Verbesserungen, die in den Verhandlungen mit dem Bund durchgesetzt werden konnten.

„Woidke hat Ursula Nonnemacher eiskalt auf dem Flur des Bundesrats entlassen um sie an einer Rede zu hindern, weil sie sich schützend vor die Krankenhäuser im Land gestellt hat“, erklärte Brandenburgs Grünen-Vorsitzende Alexandra Pichl in Potsdam. „Es ist beschämend zu sehen, dass der SPD-Ministerpräsident vor nichts zurückschreckt, um seine Macht zu sichern.“

AfD-Landtagsfraktionschef Christoph Berndt erklärte, dass Woidke Nonnemacher entlassen habe, sei richtig gewesen. „Wie er es machte, nicht.“ Der Ministerpräsident hätte die Ministerin schon einen Tag früher entlassen können.

Ein Antrag Bayerns auf Anrufung des Vermittlungsausschusses bekam in der Länderkammer nicht die nötige Mehrheit. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) erklärte, dies sei ein schlechter Tag für die Krankenhäuser in Deutschland. Die nächste Bundesregierung müsse wichtige Nachbesserungen in die Wege leiten.

Lauterbach sagte in Berlin, Nonnenmacher habe als Gesundheitsministerin „großen Anteil“ an der Reform. „Von daher bedaure ich ihre Entlassung heute“, betonte der Bundesgesundheitsminister.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Jan Redmann, sprach angesichts der Art und Weise von Nonnemachers Entlassung von einer „öffentlichen Demütigung“. „So geht man menschlich nicht miteinander um, wenn man jahrelang Verantwortung miteinander getragen hat“, erklärte er.

(Mit Materialien von Agenturen)

 

 



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