Um Kinderschändern auf die Spur zu kommen, ließ O2 Kunden überwachen

Im Zuge der Fahndung nach Betreibern einer kinderpornografischen Plattform im Darknet überwachte der Konzern Telefónica auf richterliche Anweisung eine ungenannte Zahl an Kunden. Nach dem schnellen Fahndungserfolg wurde die Daten Unbeteiligter umgehend gelöscht.
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Telefónica, zu dessen Kernmarke O2 gehört, ließ auf richterliche Anweisung eine ungenannte Zahl an Kunden überwachen, um den Betreibern einer Kinderpornoplattform auf die Schliche zu kommen.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 20. September 2024

Hinweis: Der folgende Text enthält Beschreibungen verstörender Umstände und kann auf sensible Gemüter bedrückend wirken.

Um ein kinderpornografisches Forum namens „Boystown“ auszuheben, hat der Telefónica-Konzern, dessen Kernmarke O2 ist, im Jahre 2020 Kunden überwachen lassen. Grundlage dafür war eine vom Amtsgericht Frankfurt am Main angeordnete Überwachung, berichtet die „Tagesschau“ auf ihrer Internetseite. Das ARD-Magazin „Panorama“ hatte zu dem Thema recherchiert.

Telefónica: Im Rahmen datenschutzrechtlicher Bestimmungen gehandelt

Die „außergewöhnlich“ und rechtlich umstrittene Maßnahme führte letztlich zur Enttarnung der Darknet-Plattform durch das Bundeskriminalamt (BKA). Die Ermittler hatten von Telefónica die Daten von Kunden erhalten, die sich mit einem zuvor von der Behörde mitgeteilten Server verbunden hatten. Insgesamt hatte Telefónica zu jenem Zeitpunkt 43 Millionen Kunden.

Die Aktion war bereits nach wenigen Tagen beendet, nachdem das BKA dem Verdächtigen auf die Schliche gekommen war. Dem Bericht zufolge löschte Telefónica die Daten von unbeteiligten Kunden umgehend und leitete sie auch nicht an die Ermittler weiter.

Auf Anfrage von Epoch Times teilte ein Unternehmenssprecher mit: „Zu den konkreten Inhalten solcher Maßnahmen sind wir zur Vertraulichkeit verpflichtet. Diese rechtlichen Bestimmungen gelten für alle Mobilfunknetzbetreiber in Deutschland.“ Telefónica habe mit den Strafverfolgungsbehörden „im Rahmen der geltenden rechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen“ kooperiert.

Für das sogenannte IP-Catching (Verkehrsdatenbeauskunftung) sei ein richterlicher Beschluss notwendig, um die für die Ermittlungsbehörden relevanten Verkehrsdaten weitergeben zu können. „Zur Umsetzung dieses richterlichen Beschlusses sind wir verpflichtet“, betonte der Sprecher. Entsprechend den Vorgaben des Richters seien die Maßnahmen räumlich und zeitlich begrenzt. Ob es seither weitere Aktionen dieser Art gab, ließ der Sprecher offen.

Es fehlt die rechtliche Grundlage

Allerdings: Für die großflächige Überwachung, das IP-Catching, fehlt die rechtliche Grundlage, heißt es bei der „Tagesschau“ weiter. Dass möglicherweise Millionen Menschen auf diese Weise von Telefon- und Internetanbietern überwacht werden können, ist aus Sicht von Dominik Brodowski „sehr ungewöhnlich“. Es stellten sich viele ungeklärte Rechtsfragen, sagte der Professor für Digitalisierung des Strafrechts an der Universität des Saarlandes in einem Interview für „Panorama“ und dem „ARD“-Portal „Strg_F“

„Wohlwollend gesprochen handelt es sich um ein hochgradig kreatives Vorgehen der Ermittlungsbehörden, bei dem verschiedene Eingriffsgrundlagen der Strafprozessordnung munter zusammengewürfelt wurden, was auch in der konkreten Ausgestaltung die Grenzen des rechtlich Zulässigen zumindest ausgereizt, wenn nicht sogar überschritten hat“, so Brodowski.

Das Bundeskriminalamt wollte sich zu dem Fall nicht äußern und verwies Fragen von Epoch Times an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Weil das Verfahren bisher nicht rechtskräftig abgeschlossen sei und derzeit beim Bundesgerichtshof anhängig ist, könne man keine Fragen beantworten, teilte ein Sprecher mit.

400.000 Mitglieder nutzten „Boystown“-Plattform

Über die Sprengung der Kinderpornoplattform „Boystown“ im Frühjahr 2021 hatte Epoch Times berichtet. Es war eine der bisher größten Darknet-Plattformen dieser Art weltweit, hieß es seinerzeit. Sie existierte seit 2019, war ausschließlich über das Darknet zu erreichen und zählte zuletzt rund 400.000 Mitglieder. Sie diente hauptsächlich dem Austausch von zum Teil schwersten Missbrauchsaufnahmen von Jungen. Drei mutmaßliche Verantwortliche nahm die Polizei in Deutschland fest, einen verhaftete die Polizei in Paraguay.

Das Forum der Plattform war dabei in verschiedene Bereiche unterteilt, um eine strukturierte Ablage und ein einfaches Auffinden der kinderpornografischen Inhalte zu ermöglichen. Unter den geteilten Bild- und Videoaufnahmen befanden sich auch Aufnahmen von schwerstem sexuellen Missbrauch von Kleinkindern.

Neben dem Forenbereich existierten zwei angegliederte Chatbereiche, die der Kommunikation der Mitglieder untereinander und dem Austausch kinderpornografischer Missbrauchsaufnahmen von Jungen und Mädchen dienten. Für diesen Zweck waren verschiedene Sprachkanäle eingerichtet, um den Mitgliedern die Kommunikation zu erleichtern.

Die operativen Maßnahmen richteten sich gegen vier deutsche Staatsangehörige im Alter von 40 bis 64 Jahren. Bei den drei Hauptbeschuldigten handelt es sich um einen 40 Jahre alten Mann aus dem Kreis Paderborn, einen 49 Jahre alten Mann aus dem Landkreis München und einen 58 Jahre alten, aus Norddeutschland stammenden Mann, der damals bereits mehrere Jahre in Südamerika lebte.

Bundesgerichtshof: IP-Tracking zulässig

Beim IP-Tracking wird die IP-Adresse, unter der ein Betroffener auf bestimmte Angebote oder Dokumente über das Internet zugreift, festgestellt. Diese Methode ist umstritten, da sie in die „informationelle Selbstbestimmung“ eingreift, heißt es erläuternd auf der Internetseite der hessischen Datenschützer. Daher sei eine „analoge Anwendung“ von § 100g Strafprozessordnung (StPO) geboten. Der Paragraf regelt die Erhebung von Verkehrsdaten.

Der Bundesgerichtshof (1 BG 210/14) hatte trotz der erwähnten fehlenden rechtlichen Grundlagen bereits 2014 entschieden, dass das IP-Tracking durch Ermittler zulässig ist. Es setzt eine richterliche Anordnung voraus, die im Falle der Ermittlungen zu „Boystown“ auch vorlag.

Die Betreiber der Kinderpornoplattform verurteilte das Landgericht Frankfurt im Dezember 2022 zu hohen Haftstrafen. Wie die „Frankfurter Rundschau“ seinerzeit berichtete, müssen die beiden Gründer (damals 49 und 42 Jahre alt) für zwölf bzw. zehneinhalb Jahre hinter Gitter. Im Anschluss an die Haft kommen sie in Sicherungsverwahrung. Acht Jahre gab es für einen damals 60-jährigen „Boystown“-Administrator. Er lebte damals in Paraguay und war festgenommen worden, als er gerade am PC saß. Einen besonders aktiven Nutzer der Plattform, ein damals 66-Jähriger aus Hamburg, verurteilte die Kammer zu sieben Jahren.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main erklärte auf Anfrage von Epoch Times, dass das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen und derzeit beim Bundesgerichtshof anhängig sei. Daher könne man Fragen auch nicht beantworten, teilte ein Sprecher mit.



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