Türkischer Ministerpräsident in Berlin: „Darum brauchen wir über 3 Mrd. Euro für Flüchtlinge“
Die türkische Regierung will in der Flüchtlingskrise nicht als Bettler dastehen – sie bezweifelt aber, ob die von der EU zugesagten drei Milliarden Euro ausreichen werden.
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagt vor den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen heute in Berlin, niemand könne von seinem Land erwarten, die ganze Last alleine zu schultern.
Ein Interview am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos:
Frage: Was erhoffen Sie sich von den gemeinsamen Konsultationen mit der Bundesregierung, besonders beim Thema Flüchtlinge?
Antwort: Hinsichtlich bilateraler Themen wird es das erste so hochrangige umfassende Treffen seit der Bildung der neuen türkischen Regierung in der Türkei. Natürlich wird das Flüchtlingsthema ein Thema auf der Tagesordnung sein. Zugleich werden wir aber darüber sprechen, wie der Terrorismus bekämpft werden kann, über Zusammenarbeit der Geheimdienste und über regionale Themen in Syrien, im Irak, im Nahen Osten und auf dem Balkan.
Beim gemeinsamen EU-Türkei-Aktionsplan zu Flüchtlingen werden wir darüber sprechen, was wir erreicht haben. In den vergangenen zwei Wochen hat die Türkei damit begonnen, Visabestimmungen für Syrer aus Drittstaaten in Kraft zu setzen. Letzte Woche hatten wir einen Kabinettsbeschluss, der Syrern erlaubt, in der Türkei zu arbeiten. Auf der anderen Seite hatte die EU geplant, Umsiedlungspläne für Flüchtlinge zu vereinbaren und die finanzielle Belastung zu teilen.
Frage: Europa fordert von der Türkei, die illegale Migration in die EU einzudämmen. Im Gegenzug hat die Union der Türkei drei Milliarden Euro zugesagt. Kann die Türkei die Migration wirklich beenden, und wird diese Summe genug sein?
Antwort: Erstens ist das keine türkische Krise. Die eigentliche Ursache dieser Flüchtlingskrise ist nicht die Türkei oder irgendetwas, was mit der Türkei zu tun hätte. Die Türkei ist das Land, das am schwersten betroffen ist. Wir exportieren keine Krise, die Krise ist in die Türkei exportiert worden. Jetzt ist es eine europäische Krise geworden. Wir haben 2,5 Millionen Flüchtlinge in der Türkei aus Syrien, 300 000 weitere aus dem Irak. Die Türkei hat fast zehn Milliarden Dollar für die Flüchtlinge ausgegeben. Es gibt viele Sachen, die gemacht werden müssen, zusammen mit der EU, zusammen mit der Internationalen Gemeinschaft. Aber niemand kann von der Türkei erwarten, die gesamte Last alleine zu tragen.
Drei Milliarden Euro sind nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen. Wir werden das wieder und wieder überprüfen, weil niemand weiß, wie lange sie (die Krise) dauert. Und wir betteln nicht um Geld von der EU. Aber wenn es einen ernsthaften Willen gibt, die Last zu teilen, dann müssen wir uns hinsetzen und über alle Einzelheiten der Krise sprechen.
Frage: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einigen Tagen gesagt, die Türkei habe noch einen sehr langen Weg bis zu einer EU-Mitgliedschaft zu bewältigen. Erwarten Sie, dass die Türkei jemals ein Vollmitglied wird, und ist das noch der Wunsch der Türkei?
Antwort: Ja. Das ist nicht nur ein Wunsch. Das ist ein strategisches Ziel für uns. Natürlich wissen wir über die Schwierigkeiten wie die Zypern-Frage. Es wird eine positive Entwicklung in der Zypern-Frage geben, um eine endgültige Lösung zu finden. Es hat in den EU-Türkei-Beziehungen in den letzten drei Monaten ein sehr positives Momentum gegeben. Es gibt an vielen Fronten positive Entwicklungen. Und ich bin sicher, am Ende dieser ganzen Verbesserungen wird die Türkei eines Tages ein Mitglied der EU sein.
Frage: Können Sie zusätzliche Informationen zu den Ermittlungen zu dem Selbstmordanschlag geben, bei dem vergangene Woche zehn deutsche Touristen in Istanbul getötet wurden und für den Sie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich gemacht haben?
Antwort: Ich möchte unseren deutschen Gästen und ihren Familien noch einmal mein Beileid und das Beileid von 78 Millionen Türken ausdrücken. Das war ein großer Schmerz für uns alle. Unsere Geheimdienste und Sicherheitskräfte arbeiten sehr hart. Bestimmte Netzwerke wurden identifiziert. Die Ermittlungen dauern an. Alle Einzelheiten werden mit dem deutschen Geheimdienst geteilt.
Frage: Sicherheitskräfte haben im vergangenen Monat eine Operation gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK begonnen. Gibt es Chancen, die Verhandlungen mit der PKK wieder aufzunehmen, oder was für ein weiteres Vorgehen plant ihre Regierung?
Antwort: Die PKK ist eine Terrororganisation. 2013 hatten wir einen Lösungsprozess begonnen. Und die Grundlage dieses Prozesses war es, die PKK-Terroristen zu entwaffnen. Sie haben 2013 versprochen, die Türkei zu verlassen und alle Waffen niederzulegen. Aber statt dieses Versprechen zu erfüllen, dachten sie, sie könnten ihre terroristischen Aktivitäten und das Kämpfen wieder beginnen.
In keinem demokratischen Land kann eine Regierung die Anwesenheit von bewaffneten Gruppen und Terroristen in einigen Landesteilen dulden. Das Herstellen der öffentlichen Ordnung ist die Verantwortung der legitim gewählten Regierung. Wir werden diese Operationen fortführen, bis sie ihre Waffen niederlegen, bis sie aufhören, in den Straßen der Gemeinden Minen zu legen. Diese Operationen werden andauern, bis alle Gemeinden und Städte frei von jeglichen illegalen bewaffneten Gruppen sein werden.
Frage: Türkische Journalisten sind weiterhin in Gefängnissen, dennoch sagt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, es gebe volle Meinungsfreiheit – wie passt das zusammen?
Antwort: Wenn es irgendetwas gibt, was die Meinungsfreiheit in der Türkei einschränkt, werde ich der erste sein, der dagegen Widerstand leistet. Alle möglichen Arten von Kritik gegen die Regierung wurden bei den Wahlkämpfen im vergangenen Jahr erhoben. Es gab in keiner Weise eine Einschränkung. Viele der Fälle von inhaftierten Journalisten stammen aus den 1990ern, nicht aus der Zeit unserer Regierung. Alle wurden wegen illegaler Aktivitäten verhaftet, die nichts mit journalistischen Aktivitäten zu tun hatten. Kürzlich gab es einige neue Fälle, und der juristische Prozess dauert an. Die Vorwürfe betreffen nicht journalistische Aktivitäten, sondern die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten. (dk/dpa)
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