Türkin erklärt: Darum scheiterte Integration der Gastarbeiter – „Sie fühlen sich wie zu Hause“

Vor knapp zwei Wochen kam ein neues Buch zum Thema "Integration" heraus: Nuray Çeşme, Tochter eines türkischen Gastarbeiters, schildert darin, wie sie zuerst in einer Parallelgesellschaft lebte, bis sie schließlich vollständig in Deutschland „ankam“.
Titelbild
Symbolfoto aus Berlin-Kreuzberg.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 28. September 2016

Nuray Çeşme, Tochter eines türkischen Gastarbeiters, hat ein neues Buch zum Thema „Integration“ geschrieben, welches das heiß diskutierte politische Thema aus einer persönlichen Perspektive beleuchtet. Die heute 40-jährige gelernte Bilanzbuchhalterin, erzählt darin, wie sie in Norddeutschland in einer „türkischen Parallelgesellschaft“ aufwuchs, die sie auch so benennt. Und wie sie über die Jahre hinweg eine Mauer gegenüber ihren deutschen Mitmenschen aufbaute.

„Das lag daran, dass meine Eltern und ich in einem Viertel wohnten, in dem ausschließlich Türken lebten. Von Anfang an sprach, aß und dachte ich türkisch. Und das auch in der Schule, zu der ich mit vielen Kindern aus der Gastarbeiter-Community ging. Mit ihnen verbrachte ich meine Zeit“, erzählte Çeşme gegenüber dem „Focus“, der die Buchveröffentlichung zum Anlass für ein Interview nahm.

Aus ein „paar Jahren“ Deutschland wird ein ganzes Leben

Çeşme war mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen, als sie gerade mal ein halbes Jahr alt war. Ihr Vater, ein Hirte aus ländlichem Gebiet, war 1976 nach Neumünster als Gastarbeiter gekommen, mit dem Plan hier ein paar Jahre Geld zu verdienen und zurückzukehren. Wie für viele anderer wurde aus den „paar Jahren“ dann sein ganzes Leben. Auch ein Schicksalsschlag kam hinzu, der die Zukunftspläne ihrer Eltern zunichte machte und die Tochter zwang, auch ihr Leben zwischen den Kulturen gründlich zu überdenken.

Ihr Vater fand in Deutschland einen Job und behielt ihn sehr lange, schreibt Çeşme: „Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem mein Vater sein fünfundzwanzigjähriges Dienstjubiläum hatte. Wie er strahlte, als er von der Arbeit nach Hause kam, wie stolz er war. […] Als mein Vater ein Vierteljahrhundert zuvor in den Zug stieg, der ihn nach Deutschland bringen sollte, hatte er nicht einmal einen Koffer dabei. Er kannte weder die Kultur noch die Sitten, er wusste auch nicht, wo Deutschland lag, und trotzdem ließ er alles hinter sich und reiste ins Ungewisse“, heißt es in ihrem Buch.

„Die Integration von 60 Prozent hat kaum geklappt“

Trotzdem sind viele Türken auch in der zweiten Generation noch nicht richtig in Deutschland angekommen.

Die Autorin schätzt, dass sich von der zweiten Generation der türkischen Gastarbeiter „gerade einmal 40 Prozent“ angepasst haben. „Die Integration der restlichen 60 Prozent hat kaum oder gar nicht geklappt“, ist ihre Ansicht. Grund dafür seien strukturelle Faktoren, die zuweilen auch die jüngeren Generationen betreffen: „Wenn man bedenkt, dass es damals wie heute ganze türkische Straßenzüge und Wohnviertel gibt, ist eine Parallelgesellschaft nur logisch. Die Menschen fühlen sich wie zu Hause, was durchaus schön ist, doch es bestand für sie auch schlichtweg nicht die Notwendigkeit, sich mit der deutschen Kultur auseinanderzusetzen“, so Çeşme zu „Focus“.

Sie schlägt vor, „dass gerade in den Schulen die türkischen Kinder und Jugendlichen, die sich in ihrer Community isolieren würden, auseinandergezerrt werden“. Ihr selbst haben „durchmischte Klassen“ geholfen, aus der Parallelgesellschaft auszusteigen: Dadurch wurde sie gezwungen, auf die deutschen Jugendlichen zuzugehen. „Das wiederum hat auch dazu geführt, dass die deutschen Schüler weniger Hemmungen hatten, mit mir in Kontakt zu treten. Als mich eines Tages eine deutsche Mitschülerin fragte, ob ich neben ihr im Klassenzimmer sitzen möchte, war mir klar, dass ich in Deutschland angekommen bin“, erzählt Çeşme.

Zum Glück waren ihre Eltern auch dafür, dass sie Anschluss suchte und fand: „Sie haben mir immer geraten:‚Misch dich unter die Deutschen‘. Das tat ich dann auch.“

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Es liegt an jedem Einzelnen

„Wer sich integrieren möchte, schafft es auch“, ist die Autorin überzeugt. Aber wie der Titel ihres Buches sagt („Der Wille versetzt Berge“) liegt es letztendlich am Willen jedes Einzelnen. In Bezug auf hier angekommene Flüchtlinge und Migranten sagt sie: „Wir müssen anfangen, miteinander zu reden. Auch über die Ursachen bestehender Problem bei der Integration meiner Landsleute – daraus zu lernen, ist die Aufgabe unserer Gesellschaft.“

Auf Amazon wird das Buch ein „ungewohnt authentisches Bild deutsch-türkischer Geschichte“ genannt. Es sei auf „warmherzige, liebevolle Art“ geschrieben und eben kein politisches Buch, sondern ein sehr persönliches „Plädoyer für die Kraft der Menschlichkeit“.

Der Wille versetzte Berge – Aus dem Leben einer türkischen Gastarbeiterfamilie“

Autorin: Nuray Cesme

Verlag: Dualedition

Ausgabe: Ersterscheinung 15. September 2016

Umfang: 208 Seiten, broschiert

ISBN: 978-3-942585-03-3



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