Türkei: Opposition wirft „Rotem Halbmond“ Vetternwirtschaft vor – Deutschland zahlte 25 Mio. Euro
Die Geschichte des Roten Halbmondes geht auf das Jahr 1868 zurück. Fünf Jahre nach der Gründung des Roten Kreuzes in Genf sollte auch für das Osmanische Reich eine humanitäre Organisation ins Leben gerufen werden. Später wuchs der Rote Halbmond in der gesamten islamischen Welt. Es kam zur weltweiten Kooperation mit dem Roten Kreuz. Beide Organisationen weiteten ihr Portfolio auf zivile Agenden wie Rettungsdienste, die Betreuung von Flüchtlingen oder Katastrophenhilfe aus.
Die humanitäre Hilfe des Roten Halbmonds ist ebenso wie jene des Roten Kreuzes nicht an Konfessionen oder Weltanschauungen gebunden. Trotzdem kommt es immer wieder zu Vereinnahmungsversuchen vonseiten der Politik. Spannungen entstehen vor allem dort, wo die Arbeit des Roten Kreuzes oder Roten Halbmonds mit dem jeweiligen nationalen Gesundheitssystem verknüpft ist.
Akşener: „Organisation für den Geldtransfer zu regierungsnahen Kreisen“
Nun ist der türkische Rote Halbmond (Türk Kızılay) ins Visier der türkischen Opposition und ihr nahestehender Medien geraten. Wie das Portal „Ahval“ berichtet, hat der Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kılıçdaroğlu, den Rücktritt des gesamten Vorstands von Türk Kızılay gefordert. Ursache ist, dass die Organisation acht Millionen US-Dollar an Spenden an die umstrittene Ensar-Stiftung weitergeleitet hat. Kızılay sei selbst eine Organisation, an die steuerbegünstigt gespendet werden könne, gibt Kılıçdaroğlu zu bedenken – „Warum sollten Sie selbst an andere spenden?“
Die Vorsitzende der „Guten Partei“ (IYI), Meral Akşener, wirft dem Roten Halbmond gegenüber dem Magazin „Diken“ vor, eine „Frontorganisation für den Geldtransfer zu regierungsnahen Kreisen“ geworden zu sein.
Türk Kızılay musste nach einer Reihe von Medienberichten Fehler einräumen. So leitete die Organisation eine zweckgebundene Spende des zweitgrößten Erdgaskonzerns der Türkei, Başkentgaz, in Höhe von mehr als 7,9 Millionen US-Dollar an die Ensar-Stiftung weiter.
Diese präsentiert sich als global tätige Bildungseinrichtung, die neben Schulen und Coachingzentren auch Schlafsäle für Schüler und Studenten betreibt. Im Jahr 2016 kam die Stiftung wegen eines Missbrauch ins Gerede. Demnach sollen in einer Einrichtung der Stiftung in der Provinz Karaman 45 Kinder zum Opfer eines pädophilen Lehrern geworden sein. Der Lehrer wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Vetternwirtschaft? Erdoğan-Tochter sitzt im Aufsichtsrat
Die Regierung in Ankara hielt dennoch an ihrer Unterstützung für die stark religiös geprägte Stiftung fest. Das hängt auch mit der für die türkische Regierung wichtigen Rolle von Ensar und der von dieser mit Spenden bedachten „Turken-Stiftung“ in den USA zusammen. Turken wurde 2014 von Ensar und der Bildungsvereinigung TÜRGEV, in deren Aufsichtsrat Erdoğan-Tochter Esra Albayrak sitzt, gegründet. Das Ziel von Turken ist, Studentenheime, Schlafsäle, Stipendien und Kulturprogramme auf die Beine zu stellen.
Auf diese Weise wollte der Staat den Projekten der Hizmet-Bewegung gegensteuern. Deren spiritueller Führer, der Islamprediger Fethullah Gülen, lebt seit 1998 in den USA. Vor allem im Laufe der Jahre hatten zahlreiche Lehrkräfte, die der Bewegung nahestanden, den Weg nach Amerika gefunden. Dort begann sich der von Hizmet inspirierte Betreiber türkischer Privatschulen in mehreren Bundesstaaten im Bereich der Charterschulen zu engagieren.
Auf diese Weise gewann Hizmet zum einen starken Einfluss auf die türkische Einwanderercommunity in den USA. Diese stimmt – die anders als etwa die Auslandstürken in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden – bei Wahlen in der Türkei mehrheitlich für die Opposition. Zum anderen öffnete das Engagement im privaten Bildungswesen der USA der Gülen-Gemeinde auch Türen bei politischen Entscheidungsträgern.
Türkische Kinder „vor FETÖ-Elementen schützen“
Die Regierung in Ankara sah sich entsprechend nach dem Bruch zwischen Erdoğan und dem Prediger Ende des Jahres 2013 unter Zugzwang. Deshalb will man auch Ensar sowie die Turken-Stiftung mithilfe der nunmehrigen Zuwendung bei dem Vorhaben unterstützen, ein 21-stöckiges Wohnheim in Manhattan zu errichten.
Ensar-Chef Hüseyin Kader erklärte, auf diese Weise sollten türkische Kinder in den USA „vor FETÖ-Elementen geschützt“ werden. Die Bezeichnung steht für „Fethullahistische Terrororganisation“ und ist der amtlich verwendete Name für das Gülen-Netzwerk. Ein Teil der zweckgebundenen Spende sei auch an andere Wohltätigkeitsorganisationen geflossen. Alles habe sich „im legalen Rahmen“ abgespielt. Zudem sei „Steuervermeidung keine Steuerhinterziehung“.
Journalisten zufolge habe der Transfer der Geldmittel über Ensar immerhin dazu geführt, dass dem Staat mehr als 1,7 Mio. US-Dollar an Steuern entgangen wären. Daran regte sich angesichts der angespannten Haushaltssituation im Land Kritik.
Andere werteten die Aktivitäten Ensars und der Turken-Stiftung als Zweckentfremdung zu Wohltätigkeitszwecken gespendeter Mittel zugunsten politischer Ziele. Zudem wurde die personelle Nähe der Vereinigung zu Erdoğans Verwandtschaft beanstandet.
Keine Anhaltspunkte für Zweckentfremdung deutscher Mittel
Auch aus Deutschland seien, wie die „Berliner Zeitung“ berichtet, 25 Millionen Euro aus dem Auswärtigen Amt an Türk Kızılay geflossen. Das Geld sei dafür bestimmt, Notunterkünfte für Binnenflüchtlinge in der Provinz Idlib zu unterstützen, die als letzter Zufluchtsort protürkischer, islamischer Rebellen in Syrien gilt.
Die Bundesregierung erfüllt mit den Geldern eine Verpflichtung im Rahmen des Flüchtlingsdeals zwischen der EU und der Türkei von 2016. Von insgesamt sechs Milliarden Euro soll der Hauptteil der Betreuung von Flüchtlingen auf türkischem Boden oder in syrischen Gebieten dienen. Zu diesen haben türkische Hilfsorganisationen Zugang.
Der türkische Rote Halbmond ist durch die aktuelle Affäre bei der türkischen Opposition in die Kritik geraten. Die Regierung in Ankara hat sich in dem Abkommen jedoch ausbedungen, selbst zu entscheiden, mit welchen Partnern sie zusammenarbeitet.
Es gibt bis dato keine Anhaltspunkte dafür, dass die zweckgebundenen Mittel aus Deutschland für andere Zwecke verwendet worden wären. Sie sind nur für die Betreuung von Flüchtlingen in den Lagern nahe der türkischen Grenze gedacht.
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