Transparenz und Offenlegung: Prominente Politiker verstoßen gegen das Abgeordnetengesetz
Man möchte meinen, dass es für die Medien ein gutes Sommerlochthema wäre, wie die Volksvertreter ihre privaten Finanzlöcher stopfen – aber es ist wenig oder nichts zu lesen darüber. Stattdessen wird eine katzenartige Wildsau durchs sommerliche Randberlin getrieben, bei mutmaßlichen 48 Grad (Boden)Temperatur. Dabei hat abgeordnetenwatch Interessantes zu vermelden. Es geht um nicht erlaubte Vorträge gegen stattliche Honorare und nicht gemeldete Nebentätigkeiten der Parlamentarier. Das ernüchternde Fazit zuerst: Nach den Erfahrungen der letzten Jahre dürften die Konsequenzen für diese erfahrungsgemäß überschaubar sein, obwohl seit den Maskenskandalen 2021 das Abgeordnetengesetz aktualisiert wurde.
Zwischen Verantwortung und Versuchung: Debatte um Nebentätigkeiten von Politikern
Aber fangen wir von vorn an: Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten sind laut Abgeordnetengesetz grundsätzlich erlaubt – sofern das Bundestagsmandat „im Mittelpunkt der Tätigkeit“ bleibt. Mitglieder des Bundestags sind aber verpflichtet, ihre Nebeneinkünfte offenzulegen, sobald diese 1.000 Euro pro Monat oder 3.000 Euro pro Jahr überschreiten.
Erst im April wurde veröffentlicht, dass zum Beispiel Gregor Gysi weit über solche Beträge hinaus erhält. In der aktuellen Legislaturperiode, also seit November 2021, hatte er sein Abgeordnetensalär um 236.300 Euro aufgestockt. Seine Abgeordnetendiät beträgt aktuell 10.323,20 Euro brutto. Dazu kommt eine steuerfreie Aufwandspauschale als Teil der sogenannten Amtsausstattung. Diese beträgt derzeit 4.725,48 Euro monatlich. Dazu zählen Wahlkreisbetreuung und zweiter Wohnsitz.
Die Auflistung der Nebeneinkünfte ist auf den Profilen der Parlamentarier auf der Website des Bundestags einsehbar. Beim Nachschauen zeigt sich schnell, Gysi war „nur“ auf Platz neun der „Nebenverdienstler“ im Bundestag. Zumindest seine Anwesenheit im Parlament scheint darunter tatsächlich kaum zu leiden: Von insgesamt 73 namentlichen Abstimmungen in der aktuellen Legislaturperiode fehlte er nur bei neun.
„Keine Nebenverdienste“ listen aktuell 490 Abgeordnete auf, also weit über die Hälfte der Bundestagsmitglieder. Verstößt ein Abgeordneter gegen die Anzeigepflichten, kann dies ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 50 Prozent der Diäten zur Folge haben. Epoch Times berichtete.
Aktualisiertes Abgeordnetengesetz
Das Thema Nebeneinnahmen regelt das Abgeordnetengesetz, welches am 11. Juni 2021 „zur Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages“ (19/28784) aktualisiert wurde. Was schwammig daherkommt, als „mehr Transparenz im parlamentarischen Bereich zu schaffen und verlorenes Vertrauen in die parlamentarische Arbeit zurückzugewinnen“, meint die undurchsichtigen Maskendeal-Millionen, von denen Teile mutmaßlich in die Taschen einiger Parlamentarier flossen:
„Aktuelle Vorkommnisse und Berichte über Mitglieder des Deutschen Bundestages, die mit Beratertätigkeiten persönliche Gewinne im Zusammenhang mit der Beschaffung von medizinischen Produkten erzielten, zeigen, dass die geltenden Transparenzregeln im Abgeordnetengesetz erhebliche Regelungslücken aufweisen“, heißt es auf der Internetseite des Deutschen Bundestages dazu.
Bewährtes Konzept
Dass bezahlte Vorträge für Abgeordnete immer schon willkommene Einnahmequellen waren, ist nichts Neues. Das zeigte besonders eindrucksvoll SPD-Politiker Peer Steinbrück. Der ehemalige Finanzminister wurde 2010 bekannt als „der Abgeordnete, der nur noch gegen Bezahlung redet“, denn er beantwortete nicht nur keine Bürgeranfragen, sondern fehlte im Bundestag bei über der Hälfte wichtiger Abstimmungen. Er redete sich, statt seinen Aufgaben als Parlamentarier nachzukommen, vor allem in die eigene Tasche: Fast 100.000 Euro Nebeneinkünfte hatte Steinbrück so innerhalb weniger Monate für Vorträge kassiert. Er ließ sich beispielsweise bei Plenarsitzungen entschuldigen, um zeitgleich einen Auftritt bei einer „Leitmesse für Finanzprofis“ hinzulegen, für 15.000 Euro.
Seit 2021 strengere Regeln für Nebeneinkünfte der Politiker
Seit dieser Legislaturperiode gelten also strengere Regeln für die Annahme von Vortragshonoraren. Bezahlte Reden sind aber laut dem Gesetz unzulässig, wenn sie „im Zusammenhang mit der Mandatsausübung“ stehen. Von einem Mandatsbezug ist immer dann auszugehen, „wenn der Vortrag sich auf die Mitgliedschaft des Abgeordneten im Bundestag im Allgemeinen bezieht oder ein Zusammenhang mit einzelnen Tätigkeiten des Abgeordneten im Rahmen seiner Mandatsausübung gegeben ist“.
Aber wie passt diese Limitierung zu den Vortragsreden von Alexander Graf Lambsdorff? Denn wenn der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion außerhalb des Parlaments gegen Bezahlung redet, geht es meist um Themen, die in seinen Ausschüssen behandelt werden. Man möchte meinen, dass er genau deshalb ja für diese Vorträge gebucht wird: Europa, Außenpolitik, Sicherheitspolitik. Seine Vorträge haben Titel wie „Zeitenwende in Europa“, „Die aktuelle Situation in Europa“ und „Entwicklungen in der Ukraine“. Die Honorare für die Vorträge belaufen sich laut Eigenauskunft auf dem Politikerprofil auf insgesamt 52.750 Euro, zwölf Mal war er als Berufsredner in dieser Legislaturperiode unterwegs.
Die Bundestagsverwaltung wollte sich auf die Nachfrage von abgeordnetenwatch.de, ob diese Honorare in einigen Fällen deshalb nach den neuen Regelungen nicht verboten seien, nicht äußern. Lambsdorff selbst ließ eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de unbeantwortet.
Netzwerken: „privilegierter Zugang zu Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“
Wenn abgeordnetenwatch.de Politikern auf die Schliche kommt, dass sie sich möglicherweise nicht an die Vorgaben gehalten haben und bei diesen nachfragt, tragen sie oft noch schnell ihre Deals auf dem Abgeordnetenprofil nach.
So auch Julia Klöckner (CDU). Die ehemalige Landwirtschaftsministerin wurde im Februar 2022 Mitglied im „politischen Beraterkreis“ des Vereins Wirtschaftspolitischer Club Deutschland e.V. (WPCD), einem Netzwerkverein, der potenziellen Mitgliedern einen „privilegierten Zugang zu Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ verspricht. Weitere Vorteile einer Mitgliedschaft seien ein „persönlicher Austausch mit Entscheidungsträgern“ und „wertvolle Kontakte in einem leistungsfähigen Netzwerk“, heißt es in einer Broschüre, die abgeordnetenwatch auf seiner Website offenlegt.
Präsident des Vereins ist ein ehemaliger Deutsche-Bank-Lobbyist, der mittlerweile eine PR- und Lobbyagentur betreibt. Auf die Nachfrage von abgeordnetenwatch.de bei Julia Klöckner, warum sie die Tätigkeit nicht auf ihrer Bundestagsseite aufführt, trug diese ihr Engagement mit über einem Jahr Verspätung nach. Halbherzig könnte man auch ihre Antwort an abgeordnetenwatch auffassen: Sie gehöre „aufgrund ihrer Funktion als wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion zum so genannten politischen Beraterkreis des Clubs, unentgeltlich“.
Das gleiche Prozedere gab es beim FDP-Abgeordneten Reinhard Houben. Auch er gehört dem „politischen Beraterkreis“ des exklusiven Netzwerk-Clubs seit Anfang 2022 an, auch er „vergaß“ die Angabe auf seiner Bundestagsseite und trug die Veröffentlichung nach.
Für Tätigkeiten in einem “politischen Beraterkreis” besteht aber grundsätzlich Meldepflicht, wenn der Verein überregional tätig ist. Auch hier muss die Tätigkeit innerhalb von drei Monaten angegeben werden, ansonsten liegt ein Verstoß vor.
Wo kein Kläger, da kein Richter
Seit Beginn der Legislaturperiode gelten nicht nur strengere Regeln für die Annahme von Vortragshonoraren, sondern Abgeordnete können auch nicht mehr damit rechnen, dass ihr Verstoß vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Denn dem Abgeordnetengesetz wurde 2021 der Passus hinzugefügt, dass mit einer internen Ermahnung ab sofort nur noch eine Überschreitung der Meldefrist um „höchstens drei Monate“ geahndet wird. Alles darüber gilt jetzt nicht mehr als „minder schwerer Fall beziehungsweise leichte Fahrlässigkeit“. Wenn Nebentätigkeiten nicht innerhalb von drei Monaten gemeldet werden, liegt ein Verstoß gegen das Abgeordnetengesetz vor. Wer also die Anzeigefrist um mehr als drei Monate überschreitet, muss mit einer öffentlichen Rüge rechnen. Im Extremfall droht ein Ordnungsgeld in Höhe einer halben Jahresdiät, was rund 60.000 Euro ausmachen würde.
Spürbare Konsequenzen hatten Verstöße gegen die Transparenzpflichten bislang selten. Ob verspätet gemeldete Bonuszahlungen oder verborgene Lobbyjobs – zwischen 2005 und 2021 hatten Bundestagsmitglieder fast 500 Mal gegen die Verhaltensregeln verstoßen. Nicht nur, dass die Herausgabe dieser Zahlen erst einklagt werden musste, mehr noch: Wer genau die Abgeordneten sind, die gegen die Offenlegungspflichten verstoßen haben, bleibt im Dunkeln – dem stehe die „Schutzwürdigkeit der Daten entgegen“, so die Bundestagsverwaltung.
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