Tönnies braucht Ärzte und Dolmetscher – Gütersloher Landrat ruft Spahn um Hilfe an

Der Schlachtbetrieb Tönnies in Nordrhein-Westfalen ist in heftige Kritik geraten, nachdem mehr als 700 Corona-Infizierte dort festgestellt wurden und 7000 Menschen sich in Quarantäne begeben mussten.
Epoch Times19. Juni 2020

Nach dem massiven Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies mit inzwischen 730 Infizierten im Kreis Gütersloh hat Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) die Schließung von Schulen und Kitas verteidigt. Er könne den „Riesenärger“ von Eltern und Kindern verstehen, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. Aber in den Schulen könne das Virus durch die Kinder von Angestellten auf das gesamte Kreisgebiet „überspringen“. Experten hätten das empfohlen.

Wären parallel dazu auch noch andere Bereiche wie Gaststätten und Sportvereine wieder geschlossen worden, wäre nur „der Protest aus anderen Bereichen noch größer gewesen“, sagte der Landrat. Die Schließung von Schulen und Kitas aber sei nach Meinung seiner Fachleute mit Blick auf die Eindämmung am „effektivsten“. Er verwies zudem darauf, dass er auch den Tönnies-Betrieb nach dem Ausbruch geschlossen habe. „Das ist das, was ich machen kann.“

Fast unmögliche „Mammutaufgabe“

In Deutschland gab es zuletzt bereits wiederholt konzentrierte Corona-Ausbrüche unter den Belegschaften von Schlachthöfen und Zerlegebetrieben großer Fleischkonzerne. In dem Fall im Landkreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen laufen Reihentests, um das Ausmaß der Infektionswelle zu ermitteln. Der Kreis bat inzwischen um Unterstützung der Bundeswehr, die 25 Soldaten entsendet. Die Kapazitäten örtlicher Rettungs- und Hilfsdienste seien erschöpft.

Insgesamt müssen die Behörden etwa 5000 Tönnies-Beschäftigte auf das Virus testen. Zudem befinden sich wegen des Ausbruchs in dem Betrieb in Rheda-Wiedenbrück bereits 7000 Menschen in Quarantäne. Deren Überwachung sei ein „Riesenproblem“, berichtete Adenauer im Deutschlandfunk. Gesundheitsämter und Ordnungsbehörden prüften stichprobenartig, ob sich Betroffene an Auflagen hielten. Auch die Polizei sei eingebunden und fahre nun verstärkt Streife. Es bleibe aber eine schwierige bis fast unmögliche „Mammutaufgabe“.

Hilferuf an Spahn

„Meine Behörde kann die Überwachung der Quarantäne-Maßnahmen dauerhaft personell nicht leisten. Deshalb habe ich bei Bundesminister Spahn und beim Land NRW angerufen und um Hilfe gebeten“, sagte Adenauer, der seit 21 Jahren Landrat in Gütersloh ist, der „Bild“. „Wir brauchen Ärzte, Verwaltungspersonal und Ordnungskräfte von anderen Ordnungsämtern, Polizei oder gar der Bundeswehr.“

Wichtig seien vor allem Dolmetscher, denn die meisten Werkarbeiter stammten aus Rumänien, Bulgarien und Polen. Die deutsche Sprache würden sie kaum verstehen.

Die Massenunterkünfte zu schließen und die Arbeiter auf andere Wohnungen zu verteilen, lehne er im Moment jedoch ab. Nach Bild-Berichten hätten Nachbarn dreier Unterkünfte in Rheda-Wiedenbrück von katastrophalen Zuständen gesprochen. Niemand würde sich um Hygienebestimmungen kümmern. Landrat Adenauer widersprach dem: „Die Unterkünfte werden regelmäßig vom Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung überprüft. Dabei gab es bislang keine Beanstandungen. Wir werden aber im Zuge der Quarantäne-Überwachung noch einmal genau auf die Unterbringung der Arbeiter schauen,“ zitiert ihn „Bild“.

Gesellschafterstreit bei Tönnies erreicht Höhepunkt

Der Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies lässt den seit Jahren schwelenden Gesellschafterstreit zwischen Robert Tönnies und seinem Onkel Clemens Tönnies eskalieren.  Wie das „Manager Magazin“ berichtet, fordert Mitgesellschafter Robert Tönnies „aufgrund dieses unverantwortlichen Handelns und der Gefährdung des Unternehmens und der Bevölkerung“ die Geschäftsleitung und die verantwortlichen Beiratsmitglieder auf, „die notwendigen Konsequenzen aus ihrem Tun zu ziehen und geschlossen von Ihren Ämtern zurückzutreten.“ Die Führung des Unternehmens solle „so schnell wie möglich einem erfahrenen und verantwortungsbewussten Krisenmanagement übertragenwerden“.

Robert Tönnies gehört die Hälfte an dem mit rund sieben Milliarden Euro Umsatz größten Schweine-Schlachthof Deutschlands. Seit Jahren liegt er mit seinem Onkel Clemens Tönnies (64), der seit 2001 Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04 ist, im Clinch. Zu den Streitpunkten gehört laut „Manager Magazin“ eine Kreditlinie des Konzerns über 25 Millionen Euro, über die Clemens Tönnies „für sein Hobby Schalke 04“ frei verfüge. Nach weiteren Angaben des Blatts gehe es im Streit ebenso um eine angebliche Weigerung des Onkels, mehr Geld für einen besseren Umgang mit den Schlachttieren auszugeben und weniger Mitarbeiter per Werkvertrag zu beschäftigen.

Osnabrück verstärkt Vorsichtsmaßnahmen

Auch die niedersächsische Stadt Osnabrück verstärkte wegen des Ausbruchs ihre Vorsichtsmaßnahmen. Sie ordnete nach Angaben vom Freitag eine zweiwöchige häusliche Quarantäne für alle Tönnies-Beschäftigten an, die auf ihrem Gebiet wohnen. Zur Begründung verwies sie auf das massive Infektionsgeschehen. Der Landkreis Gütersloh liegt an der Landesgrenze zu Niedersachsen, Osnabrück ist rund 60 Kilometer von Rheda-Wiedenbrück entfernt.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung kündigte einem Pressebericht zufolge derweil an, die Gründe für die massiven Infektionen in der Fleischbranche wissenschaftlich überprüfen zu lassen. „Wir müssen untersuchen, wie die Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie entstehen“, sagte Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. (afp/nmc)



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