Till Brönner kritisiert Söder bei Anne Will: „Künstler sind schon seit Februar im absoluten Voll-Lockdown“

Jazzmusiker Till Brönner hat in der Sendung „Anne Will“ der Politik vorgeworfen, zu wenig vom Veranstaltungsbusiness zu verstehen. Die angekündigten Hilfsmaßnahmen seien nicht auf deren Lebensrealität abgestimmt und kämen aus diesem Grund auch nicht an.
Titelbild
Till Brönner.Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Von 3. November 2020

In der Talkshow „Anne Will” stellten sich Kanzleramtschef Helge Braun und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag (1.11.) erstmals seit Ankündigung des Corona-Lockdowns für November der öffentlichen Debatte. Thema der Sendung war der Sinn der Maßnahmen.

Die Maßnahmen treffen schwerpunktmäßig Einrichtungen der Gastronomie, des Tourismus, der Kunst und Kultur und der Freizeitgestaltung. Entsprechend kritisch fiel beispielsweise die Einschätzung des bekannten Jazzmusikers Till Brönner aus, der in die Sendung eingeladen war.

Till Brönner: „Menschen, die ich kenne, sind jetzt auf Hartz IV“

Brönner hatte bereits vor vier Tagen in einem Videoaufruf Kritik an der erneuten Zwangspause für ihn und seine Berufskollegen geübt und wirksame Hilfe von der Politik gefordert. Bei „Anne Will“ kritisierte er, die landesweiten Schließungen von Kultureinrichtungen. Das Betätigungsverbot für die Veranstaltungsbranche würde offenbaren, dass die Politik von der Lebensrealität von Künstlern keine Ahnung hätten – weshalb auch die Hilfsmaßnahmen nicht greifen würden.

„Wir haben den absoluten Voll-Lockdown“, so Brönner, und zwar „schon seit Februar“. Viele Soloselbstständige hätten von den im Frühjahr angebotenen Hilfen gar nicht profitiert. Zudem würden die Kalkulationen, die allfälligen Hilfsangeboten zugrunde lägen, „nicht der Berufswirklichkeit dieser Menschen“ gerecht werden:

Der hat kein Büro. Der hat keine Sekretärin. Der ist einfach so, wie er da ist.“

Insgesamt 1,5 Millionen Menschen in der Veranstaltungsbranche seien in Deutschland Leidtragende der Maßnahmen, schildert der Jazzmusiker. Auch viele Menschen, die er persönlich kenne, seien betroffen: „Die sind Hartz IV gerade.“

Leutheusser-Schnarrenberger: Zwangs-Aus für Künstler „politisch nicht angemessen“

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete das vollständige Lahmlegen von Kunst und Kultur als „politisch nicht angemessen“. Sie schlussfolgerte, dass Kultur „anscheinend nicht als systemrelevant angesehen“ werde. Und das, obwohl diese Bereiche viel Zeit und Geld in Hygienemaßnahmen investiert hätten.

Zudem stellte die frühere Ministerin die Verhältnismäßigkeit infrage, insbesondere wenn man die Situation im Kulturbetrieb mit jener vergleiche, die in Teilen des öffentlichen Nahverkehrs herrsche. Ein dichtes Gedränge in Schulbussen oder die Belegung einer Sitzreihe mit drei Personen im Flugverkehr werde in Kauf genommen, Konzerte dürften hingegen nicht stattfinden – obwohl die Kontaktverfolgung dort sehr geordnet vonstattengehe.

Söder: „Kontaktbeschränkung einziger Ansatz“

Demgegenüber meinte Kanzleramtschef Helge Braun, der „drohende Kollaps des Gesundheitssystems in wenigen Wochen“ rechtfertige die Maßnahmen, auch wenn diese zulasten beruflich in den betroffenen Bereichen Engagierter gehe. Die Eindämmung des Virus hänge von der Minimierung der Kontakte ab, und diese seien bedingt durch das Freizeitverhalten der Bürger. Man werde bei der Berechnung der Unterstützungsleistungen auch auf den Jahresdurchschnitt Bezug nehmen statt lediglich auf den Umsatz des Novembers des Vorjahres.

Markus Söder betont, es gäbe „weltweit kein anderes Rezept“ als das Reduzieren von Kontakten, um die Ausbreitung von Corona zu stoppen. Der derzeitige Lockdown reiche weniger weit als im Frühjahr und sei auch weniger streng als in anderen europäischen Ländern.

Die Alternative wäre, es laufen zu lassen“, so Söder – was am Ende zu überfüllten Krankenhäusern und hohen Todeszahlen führen würde.

Willich: Von Lockdown zu Lockdown keine Lösung

Charité-Epidemiologe Stefan Willich mahnte, die Politik möge sich langfristig andere Optionen überlegen, um die Zahl der Infizierten und Verstorbenen zu minimieren. Auf Dauer könne man sich nicht von einem Lockdown in den anderen retten, bis irgendwann ein Impfstoff zur Verfügung stünde.

Die große Mehrheit der Bevölkerung ist von dieser Krankheit nicht ernsthaft tangiert“, sagte Willich.

Deshalb sei es sinnvoll, sich Maßnahmen zum Schutz von Hochrisikopatienten zu überlegen. Schnelltests in Altenheimen und eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerungsgruppe mit FFP2-Masken seien mögliche Ansätze. Zudem hänge der Erfolg der Maßnahmen davon ab, dass die Bevölkerung diese mittrage. Diese Bereitschaft schwinde, wenn Maßnahmen sich als wenig sinnträchtig erwiesen oder laufend von Gerichten gekippt würden.



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