Thüringens Innenminister will Landesverfassung ändern – um AfD-Ministerpräsident zu verhindern

Die hohen Umfragewerte für die AfD in Thüringen schrecken Innenminister Georg Maier auf. Er will nun offene Fragen in der Landesverfassung klären lassen – in der Hoffnung, Björn Höcke als potenziellen Zufallsministerpräsidenten zu verhindern.
Titelbild
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD).Foto: Bodo Schackow/dpa/dpa
Von 28. Dezember 2023

Am 1. September 2024 wird im Freistaat Thüringen ein neuer Landtag gewählt – und die dort als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestufte AfD kann mit einem Rekordergebnis rechnen. Aktuelle Umfragen sehen sie in der Wählergunst deutlich voran. Zwar schließen alle anderen Parteien eine Koalition mit der Partei von Landeschef Björn Höcke aus. Innenminister Georg Maier hält es jedoch für denkbar, dass dieser auch durch Zufall zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte.

Landesverfassung in Thüringen sagt nichts über Umgang mit Nein-Stimmen

Im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“, das am Donnerstag, dem 28. Dezember, veröffentlicht wurde, erklärt Maier, dass die Landesverfassung Raum für ein solches Szenario ließe. So könne es sein, dass ein Kandidat, der als Einziger im dritten Wahlgang antrete, mit lediglich einer Stimme gewählt werde. Dies könnte selbst dann der Fall sein, wenn alle anderen Abgeordneten gegen ihn stimmten.

Tatsächlich sagt Artikel 70 der derzeitigen Landesverfassung nichts darüber aus, was die Konsequenz daraus sei, wenn ein einziger Kandidat im dritten Wahlgang mehr Stimmen gegen als auf sich vereine. Der Artikel bestimmt, dass in den ersten beiden Wahlgängen ein Kandidat nur zum Ministerpräsidenten gewählt sei, wenn der Landtag mit der „Mehrheit seiner Mitglieder“ für ihn stimme.

Mit Blick auf den dritten Wahlgang heißt es hingegen:

„Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“

Merkel verletzte mit Forderung nach „Rückgängigmachen“ ihre Neutralitätspflicht

Unter Verfassungsjuristen ist umstritten, ob Nein-Stimmen im Fall eines einzigen Kandidaten für den dritten Wahlgang Relevanz entfalten. Aus dem Wortlaut des Artikels geht dies nicht hervor. Auch aus der Ratio der Bestimmung geht dies nicht eindeutig hervor. Immerhin soll diese ja die Wahl eines Ministerpräsidenten gerade für den Fall ermöglichen, dass kein Kandidat eine Mehrheit unter allen Kandidaten findet.

Für Maier steht fest: Der Freistaat Thüringen müsse „die Verfassung wetterfest machen“. Dies müsse „sehr schnell“ geschehen. Widrigenfalls drohe eine böse Überraschung:

Ich habe manchmal das Gefühl, wir schlafwandeln in ein ziemliches Desaster hinein und wachen am 2. September in einem autoritären System auf.“

Im Februar 2020 hatten AfD und CDU für den Kandidaten der FDP, Thomas Kemmerich, gestimmt. Nachdem dieser die Wahl angenommen hatte, sah er sich schon bald – auf autoritäre Weise – genötigt, das Amt wieder zurückzulegen.

Neben Drohungen gegen seine Familie durch Linksextremisten hatte auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu diesem Entschluss beigetragen. Von einer Pressekonferenz in Südafrika aus hatte sie an den Landtag die Forderung gerichtet, die Wahl Kemmerichs „rückgängig zu machen“. Das Bundesverfassungsgericht sah darin später einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht.

Neuwahl des Landtags in Thüringen, ursprünglich für Herbst 2020 geplant

Wenige Wochen später ermöglichte die CDU die Wahl des zuvor aus dem Amt gewählten Kemmerich-Vorgänger Bodo Ramelow. Mit der Minderheit aus Linkspartei, SPD und Grünen vereinbarte die Union, einige zentrale Vorhaben der Landesregierung wie den Landeshaushalt zu stützen. Es solle jedoch zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Landtag neu gewählt werden.

Der geplante Termin dafür im Herbst 2020 scheiterte an der Corona-Pandemie. Allerdings konnten sich die Parteien auch nach dieser auf eine vorzeitige Durchführung der Landtagswahlen einigen. Ein Grund dafür war offenbar die Stärke der AfD in Umfragen, die eine Mehrheitsbildung als immer schwieriger erscheinen ließ.

Die jüngste Umfrage des Instituts „Wahlkreisprognose“ sieht die AfD derzeit mit 36,5 Prozent deutlich in Front. Sie würde auch 36 der 44 Direktmandate auf sich vereinen können. Allerdings gäbe es immer noch Optionen einer Mehrheitsbildung gegen die Partei. Die Linkspartei käme auf 27 Prozent, die CDU auf 16. Mit sieben Prozent wäre von den Ampelparteien nur die SPD weiter im Landtag vertreten.

SPD hat „das Thema Osten viele Jahre vernachlässigt“

Maier erklärte in der „Süddeutschen“, es sei eine Fehleinschätzung gewesen, anzunehmen, dass das Wählerpotenzial der AfD bei 20 bis 25 Prozent erschöpft sei. Zudem sei sie mittlerweile mehr als nur eine Protestpartei:

Ein Großteil der Wähler ist inzwischen überzeugt von ihrer Haltung.“

Die vielen Krisen verursachten bei den Wählern Sorgen. Dazu komme, dass es mittlerweile sogar um existenzielle Fragen wie das Heizen gehe. Im Osten verdienten die Menschen durchschnittlich 25 Prozent weniger. Außerdem sei das Vermögen nicht einmal halb so groß wie der Durchschnitt im Westen.

Die SPD im Bund habe „das Thema Osten viele Jahre vernachlässigt“, so Maier. Tatsächlich hatte sich 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder vor allem in den neuen Bundesländern seine Wiederwahl gesichert. Mittlerweile sehen Umfragen die Sozialdemokraten in Bundesländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im einstelligen Bereich.



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