Thüringen: Verfassungsgericht lässt Änderung der Geschäftsordnung vor Wahl des Landtagspräsidenten zu
Der Verfassungsgerichtshof in Thüringen hat am Freitag, 27. September, seine Entscheidung über einen Antrag der CDU-Landtagsfraktion und eines ihrer Abgeordneten gefällt. Dieser war auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Alterspräsidenten des Thüringer Landtags gerichtet. Dieser solle unter anderem dazu verpflichtet werden, Anträge der Fraktionen von CDU und BSW zur Änderung der Geschäftsordnung zur Abstimmung zu bringen.
Diesem ist das Verfassungsgericht nun teilweise gefolgt. Das Ansinnen der Antragsteller verletze nicht die Verfassung. Damit muss Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) nun zulassen, dass vor der Wahl des Landtagspräsidiums über eine Neufassung der Tagesordnung abgestimmt wird. Einen Teil der anderen Anträge hat das Gericht abgelehnt. Am Samstag wird die konstituierende Sitzung fortgesetzt.
Mit der Entscheidung der Richter wird ein teilweiser Schlussstrich unter die Kontroversen gezogen, die am Donnerstag, 26. September, die Eröffnungssitzung des neu gewählten 8. Thüringer Landtags überschatteten. Am Ende scheiterte daran dessen Konstituierung und die Sitzung wurde noch vor der Wahl eines Präsidiums durch den Alterspräsidenten abgebrochen.
Über mehrere Stunden hinweg hatte diese einen turbulenten Verlauf genommen. Am Ende einigten sich Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) und der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, auf eine Klärung durch das Verfassungsgericht. Zuvor hatten Vertreter anderer Fraktionen, insbesondere Bühl, mehrfach die Autorität des Alterspräsidenten missachtet und dessen Rede durch Zwischenreden und Anträge unterbrochen.
Alterspräsident Treutler beharrte auf Buchstaben der Geschäftsordnung
Gegenstand der Kontroverse war das Prozedere bei der Konstituierung. Treutler beharrte von Beginn an auf der chronologischen Einhaltung jener Schritte, die in der Geschäftsordnung vorgesehen sind. Die bisherige Präsidentin hatte den Landtag rechtmäßig einberufen. Die Leitung der ersten Sitzung steht dem Alterspräsidenten zu – wobei damit das „an Jahren älteste“ Mitglied des Landtags gemeint ist. Die AfD verfügt sowohl über das älteste als auch über das zweitälteste Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft.
Dem Alterspräsidenten kommt die Leitungsbefugnis für die konstituierende Sitzung zu, bis ein neuer Präsident gewählt ist, der die Leitung übernehmen kann. Bis ein Präsident gewählt werden kann, hat der Alterspräsident zwei Schriftführer zu ernennen und die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Anschließend kann dieser in den Wahlvorgang eintreten.
Die Fraktionen von CDU und BSW wollten dieses Prozedere nicht abwarten. Sie wollten beantragen, noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten über eine Änderung der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen. Treutler zeigte sich dazu nicht bereit und beharrte darauf, dass erst ein konstituierter Landtag diesen Schritt setzen könne. Die CDU-Fraktion und ein Abgeordneter richteten am Ende einen Antrag an den Thüringer Verfassungsgerichtshof. Dieser solle unter anderem den Alterspräsidenten dazu verpflichten, schon vor der Wahl des Landtagspräsidenten über die Änderung der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen.
Geltende Geschäftsordnung
Für unparteiische Beobachter der Eröffnungssitzung entstand vielfach der Eindruck, es gehe sowohl dem AfD-Alterspräsidenten als auch der CDU-Fraktion vorrangig um eine politische Inszenierung. Juristisch lag dieser jedoch eine geltende Geschäftsordnung zugrunde, in der einige entscheidende Bestimmungen Fragen dahingehend aufwerfen, inwieweit diese zu Ende gedacht wurden.
Auf den Wortlaut dieser geltenden Geschäftsordnung konnte Treutler sich stützen. Ungeachtet der Geschäftsordnungsautonomie des Landtags sah dieser deshalb eine rechtmäßige Konstituierung als Voraussetzung für die Fällung von Änderungsbeschlüssen. Das Prozedere für die Konstituierung aber regele die geltende Geschäftsordnung. Das Gebaren vor allem der CDU-Fraktion könne deshalb als Versuch betrachtet werden, geltende Normen zu unterlaufen, um einer konkurrierenden Gruppe Rechte vorzuenthalten.
Auf der anderen Seite erweckte Treutler selbst in seiner Eröffnungsrede nicht durchgehend den Eindruck einer unparteiischen Funktionsausübung. Dies verstärkte in den Reihen der übrigen Parteien Befürchtungen, die AfD könnte in weiterer Folge die geltende Geschäftsordnung in rechtsmissbräuchlicher Weise für sich nutzen.
Auch dafür hätte es Spielräume gegeben. Gemäß § 2 Z. 2 der geltenden Geschäftsordnung steht allein der AfD-Fraktion als stärkster Fraktion das Vorschlagsrecht für das Amt des Präsidenten zu. Für alle anderen im Landtag vertretenen Fraktionen ist jeweils ein Vizepräsidentenposten vorgesehen.
AfD hätte die Konstituierung auf unbestimmte Zeit blockieren können
Abzusehen ist freilich, dass ein von der AfD vorgeschlagener Kandidat nicht die in § 2 Z. 1 geforderte Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten würde. Alle übrigen im Landtag vertretenen Fraktionen haben bereits zu erkennen gegeben, keinen Kandidaten der Partei in das Amt des Landtagspräsidenten zu wählen. Begründet wird dies mit der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch den Thüringer Verfassungsschutz.
Scheitert nun ein Wahlvorschlag, könnten „für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden“. Die übrigen Fraktionen interpretieren diesen Satz in der Weise, dass auch ihnen fortan ein Vorschlagsrecht zustehe. Gegen diese Auffassung führt die AfD jedoch § 2 Z. 2 ins Treffen. Dieser verteilt die Vorschlagsrechte dahingehend, dass jenes für den Präsidenten der stärksten Fraktion zukäme. Eine zahlenmäßige Begrenzung der Versuche, einen Kandidaten durchzubringen, sieht die Geschäftsordnung nicht vor.
Es hätte demnach die Möglichkeit bestanden, dass die AfD-Fraktion durch eine immer neue Ausübung ihres Vorschlagsrechts und die Verweigerung der Zulassung von Gegenkandidaten durch den Alterspräsidenten die Konstituierung des Landtags auf unbestimmte Zeit hinausschieben könnte. Im Extremfall wäre dies so lange denkbar, bis das Verfassungsgericht eingreift.
Nun hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass die Thüringer Verfassung keine Regelung zur Reihenfolge der einzelnen Konstituierungshandlungen vorsehe. Insbesondere sei es kein Verfassungsgebot, dass die Wahl des Landtagspräsidenten noch vor dem Beschluss einer Geschäftsordnung zu erfolgen habe.
Die Verfassung erkenne vielmehr die Parlaments- und Geschäftsautonomie an, die dem Landtag das Recht gebe, auch in der konstituierenden Sitzung über die Tagesordnung zu bestimmen. Diese könne dann die Rechtsgrundlage dafür abgeben, die Feststellung der Beschlussfähigkeit vorzuziehen und eine Debatte und Beschlussfassung über eine Änderung der Geschäftsordnung bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten anzusetzen.
Rechtzeitige Ergänzung der Geschäftsordnung soll an der CDU gescheitert sein
Offen bleibt die Frage, warum die CDU, FDP und die Fraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen nicht bereits in der abgelaufenen Legislaturperiode des 7. Landtags eine Anpassung der Geschäftsordnung vorgenommen haben. Immerhin gab es während dieser fünf Jahre mehrfach Beschlüsse zu deren Änderung.
Seit Juni 2022 lag die AfD in sämtlichen Umfragen für Thüringen an der Spitze. Im Juli 2023 betrug ihr Vorsprung erstmals zehn Prozentpunkte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste allen Beteiligten die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios wie jenes vom vergangenen Donnerstag bewusst sein.
Wie der MDR berichtet, hatte es diesbezüglich eine Initiative der Grünen im Dezember 2023 gegeben. Demnach solle es gar keine Zuteilung von Vorschlagsrechten mehr geben – zumal es in Artikel 57 der Thüringer Verfassung heiße, der Landtag wähle „aus seiner Mitte den Präsidenten“. Bühl habe damals „keinen dringenden Handlungsbedarf“ gesehen.
Zuvor hatte es noch einen Mehrheitsbeschluss des Ältestenrats gegeben, demzufolge nach zwei erfolglosen Vorschlägen durch eine Fraktion auch alle andere Fraktionen Wahlvorschläge einbringen könnten. Die AfD hatte sich der Stimme enthalten.
Mitte September hat es Bühl zufolge in der Runde der parlamentarischen Geschäftsführer vonseiten der AfD geheißen, sie fühle sich an diesen Beschluss nicht gebunden. Tatsächlich hat er auch – wie alle Beschlüsse des Ältestenrates – nur Empfehlungscharakter, insbesondere dann, wenn er sich in der Geschäftsordnung nicht widerspiegelt.
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