System „wie beim Sonnenkönig“ – Rufe nach Kirchenreformen
Ein Kardinal im Büßerhemd: „Schrecklich“ seien die Ergebnisse der Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche, sagte der Kölner Erzbischof Rainer Woelki kürzlich im Domradio. „Ich bin persönlich zutiefst getroffen, ich schäme mich an dieser Stelle für meine Kirche.“
Die Studie wird am Dienstag in Fulda von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vorgestellt. Sie ersetzt keine strafrechtlichen Ermittlungen, die meisten Missbrauchsfälle aus der Vergangenheit sind sowieso schon lange verjährt. Vielmehr geht es um eine Aufarbeitung, mit der sich die Kirche selbst Klarheit über das Ausmaß des Missbrauchs verschaffen will.
Die wichtigsten Ergebnisse sind schon vorab bekannt geworden. Für den Zeitraum von 1946 bis 2014 erfasst die Studie demnach sexuelle Vergehen an 3677 Minderjährigen. Insgesamt 1670 Kleriker hätten diese Taten begangen. „Die hohen Zahlen von Beschuldigten und Betroffenen schockieren ebenso wie das unfassbare Ausmaß der Nichtachtung gegenüber den Opfern und des Verschweigens und Vertuschens“, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer dazu der Deutschen Presse-Agentur.
Kirchenkenner Andreas Püttmann („Gesellschaft ohne Gott“) reagiert mit den Worten: „Dass 4,4 Prozent der Kleriker seit 1946 durch sexuellen Missbrauch aktenkundig wurden, übertrifft frühere Annahmen und erschreckt. Besonders verstörend finde ich den Befund der geringen Reue unter den Tätern.“
Es ist mittlerweile acht Jahre her, seit der Jesuitenpater Klaus Mertes als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs die Aufdeckung sexuellen Missbrauchs nicht nur an seiner Schule, sondern auch in zahllosen anderen katholischen Einrichtungen bundesweit anstieß. Seitdem hat die Kirche bei der Aufklärung und Prävention ohne Zweifel Fortschritte gemacht. „Die Aufklärungsbereitschaft der deutschen Bischöfe können sich im internationalen Vergleich gewiss manche Bischofskonferenzen zum Vorbild nehmen“, sagt Püttmann.
So müssen beispielsweise alle ehren- wie hauptamtlich Tätigen in der Kinder- und Jugendarbeit entsprechende Kurse durchlaufen. Viele katholische Gemeindemitglieder an der Basis empfinden das als Zumutung. „Man will sich in seiner Freizeit engagieren, und zum Dank wird man wie ein potenzieller Sexualstraftäter behandelt“, heißt es dann. Die Kirche nimmt hier Widerstand in Kauf. „Keine andere gesellschaftlich relevante Organisation – wie zum Beispiel die großen Sportverbände – kann hier auch nur ansatzweise mithalten“, lobt der Kirchenrechtler und Theologie-Professor Thomas Schüller. Zudem schalteten die Bistümer bei einem begründeten Anfangsverdacht nunmehr frühzeitig Polizei und Staatsanwaltschaft ein.
Es hat sich also manches geändert – aber lange nicht alles. Die kirchlichen Strukturen, die Missbrauch in der Vergangenheit begünstigt haben, bestehen weiter. Schüller kritisiert: „Wir haben es mit einem sehr hierarchisch geführten System zu tun, mit einem männerbündischen System an Klerikern. Immer noch heißt das Motto: Auf die Kirche als heilige Institution, die Jesus gewollt hat, darf nicht der geringste Schatten fallen.“
Hinzu kommt die geradezu absolutistische Struktur der Kirche. „Der Vatikan funktioniert nach wie vor wie ein Regierungsapparat zur Zeit des Sonnenkönigs in Frankreich“, sagt Schüller. Es handle sich um „ein höfisches System ohne checks and balances, ohne Gewaltenteilung“. Das setzt sich im Prinzip in jedem Bistum fort – überall bestimmt der vom Papst ernannte Bischof nahezu unumschränkt, und ein eigener kleiner Hofstaat scharwenzelt um ihn herum.
Die mangelnde Transparenz verhindere eine grundlegende Aufarbeitung, meint auch Kriminologe Pfeiffer. „Man erschöpft sich jetzt in großen Bekundungen der Betroffenheit und der Scham. Aber das reicht nicht. Vertrauen ist das große Kapital jeder Kirche.“ Dieses lasse sich nach dem Bekanntwerden des Skandals nur wiederherstellen, wenn die Kirche aus den Vorgängen personelle und strukturelle Konsequenzen ziehe.
Dabei geht es auch um den Zölibat. Selbst Befürworter der verpflichtenden Ehelosigkeit des Priesters werden jetzt ins Nachdenken kommen, sagt Püttmann. Pfeiffer meint: „Es liegt doch auf der Hand, dass der Zölibat den Missbrauch fördert. Warum hat die evangelische Kirche keinen Missbrauchsskandal, sondern nur einzelne Fälle?“ Ein weiterer Beleg ist für ihn: Priester werden nach den Ergebnissen der Studie fünfmal häufiger auffällig als katholische Diakone – die im Gegensatz zu den Priestern heiraten dürfen.
Für Pfeiffer ist klar: „Evangelische Pfarrer und Diakone können ihre Sexualität frei leben. Hinzu kommt, dass der Zölibat den Priesterberuf für sexuell reichlich verklemmte Männer attraktiv macht. Würde man es aufgeben, gäbe es nicht nur deutlich mehr Bewerbungen für den Beruf des Priesters. Parallel dazu würde der Anteil solcher Bewerber deutlich sinken, die ein hohes Missbrauchsrisiko bedeuten.“ (dpa)
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