Strompreis untragbar: Gewerkschaften starten Aktionstag gegen Deindustrialisierung
Die hohen Strompreise machen Industriegewerkschaften zunehmend Sorgen. Bereits im vergangenen Jahr hatte DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi vor „ökonomischem Selbstmord“ unter dem Banner des Klimaschutzes gewarnt. Nun wollen mehrere Gewerkschaften am Donnerstag, 9. März, im Wege eines bundesweiten Aktionstages gegen die zunehmende Deindustrialisierung protestieren.
IG Metall, IGBCE und IG BAU wollen dabei vor allem auf drohende Arbeitsplatzverluste und Standortschließungen in energieintensiven Bereichen der Industrie aufmerksam machen. Geplant sind mehrere Dutzend Veranstaltungen in der Öffentlichkeit oder auf Betriebsebene. Die Gewerkschaften fordern Maßnahmen zur Gewährleistung eines Industriestrompreises, der international wettbewerbsfähig sei und Planungssicherheit gäbe.
Gewerkschaften machen Druck auf Bundeswirtschaftsminister
Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hoffmann, forderte die Bundesregierung zu lenkenden Eingriffen auf:
Sonst drohen die Stahlerzeugung, die Aluminiumindustrie und weitere energieintensive Branchen über kurz oder lang aus Deutschland zu verschwinden.“
Damit seien direkt oder indirekt Hunderttausende Arbeitsplätze betroffen. Nicht besser sehe es in den Bereichen Chemie und Papier aus, erklärt der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis. Auch dort sei der Energiebedarf weit überdurchschnittlich hoch:
Gleichzeitig stehen sie am Anfang nahezu aller industriellen Wertschöpfungsprozesse. Wenn sie aufgrund hoher Stromkosten Anlagen schließen und Produktion verlagern, ist das der erste Schritt zur Deindustrialisierung Deutschlands.“
Bereits jetzt hätten etwa 40 Prozent aller Unternehmen der chemischen Industrie ihre Produktion gedrosselt. Das Jahr 2023 werde nun zur „Feuerprobe“.
Auch schon vor dem Ukraine-Krieg waren die Energiekosten hoch
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits zuvor angekündigt, noch im Laufe des ersten Halbjahres ein Konzept für einen staatlich subventionierten Industriestrompreis vorzulegen. Die Anfang des Monats in Kraft getretenen Energiepreisbremsen kommen nach Meinung von Kritikern zu spät.
Einige sehen sogar mittlerweile eine kontraproduktive Wirkung, weil die Preise auf dem Markt mittlerweile zum Teil niedriger sind als die durch die Preisbremse garantierten Höchstpreise. In dieser Situation mache es die Bremse Energiekonzernen leichter, die Weitergabe sinkender Preise zu verzögern. Darüber hinaus liegt das derzeitige Preisniveau nach wie vor über dem Standard der Jahre vor dem Ukrainekrieg.
Die russische Militäroperation und die westlichen Sanktionen gegen die Russische Föderation hatten die Kosten vor allem für energieintensive Unternehmen weiter erhöht. Diese waren aber bereits zuvor deutlich über jenen in nichteuropäischen Industriestaaten. Mittlerweile bezahlen Unternehmen in Europa fünfmal mehr für Strom und siebenmal mehr für Gas als in den USA.
Furcht der Gewerkschaften vor Deindustrialisierung ist berechtigt
Eine Analyse im „Standard“ bestätigt die Einschätzung der Gewerkschaften, wonach die hohen Kosten in Europa regelrecht einer Einladung zur Produktionsverlagerung gleichkämen. Der Bruch mit Russland bedeutet das Ende einer günstigen Versorgung mit Pipelinegas – und öffnet China den Weg dorthin.
Gleichzeitig muss Europa das fehlende russische Gas durch LNG ausgleichen, das auf Schiffen transportiert und verflüssigt wird. Der Preis für LNG liegt in etwa beim Doppelten dessen, was für Pipelinegas zu bezahlen wäre. Auch deshalb rechnen Fachleute nicht mehr damit, dass sich der Gaspreis wieder auf das Niveau von vor dem Ukraine-Krieg bewegen wird.
Die USA und das KP-Regime in China sorgten auch durch steuerpolitische Anreize und Subventionen für ein günstiges Investitionsumfeld. In den USA sei dies auch mit Vergünstigungen für klimafreundliche Produktion verbunden. Der Inflation Reduction Act (IRA) hält in den kommenden zehn Jahren mindestens 400 Milliarden Dollar Steuergeld zur Unterstützung grüner und klimafreundlicher Industrien bereit. Bedingung für die Inanspruchnahme ist die Produktion dazugehöriger Produkte in den USA, Kanada oder Mexiko.
„Was in den USA marktreif wird, kommt früher oder später auch nach Europa“
In Europa gehe mit dem dirigistischen „Green Deal“ bislang hingegen keine entsprechende Anreizpolitik einher. Es sei auch nicht damit zu rechnen, dass sich dies auf absehbare Zeit ändere, weil viele Staaten gegen eine Ausweitung einer Ausgabenpolitik auf EU-Ebene seien.
Sie befürchten, dass die EU mit einer zunehmenden Haushaltshoheit auch immer mehr politische Entscheidungskompetenzen an sich ziehen würde. Eine Rolle spielten zudem Ressentiments: Nord- und mitteleuropäische Staaten gönnten südeuropäischen vermeintliche Geschenke aus dem gemeinsamen Haushalt nicht. Der „Standard“ gibt sich illusionsarm:
All das spricht dafür, dass es schon bald ein Verlustgeschäft für Industrielle sein könnte, noch länger in Europa zu bleiben.“
In der Analyse hofft man allenfalls noch, dass die sogenannte Klimawende „alles andere als ein weit entferntes, utopisches Projekt“ sei. Obwohl diese „enorm viel kosten“ dürfte, würde sie am Ende „die Wirtschaft befeuern“. Außerdem müsse es gar nicht schlecht für die EU sein, wenn Produktion und Innovationen in den USA stattfänden:
Was jenseits des Ozeans entwickelt und marktreif gemacht wird, wird angesichts der hohen Nachfrage, die aus der Klimawende resultiert, schnell seinen Weg zurück nach Europa finden.“
Verdi verbindet Tarifstreik mit politischen Forderungen
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi setzt jetzt schon andere Akzente als die Kollegen in den Gewerkschaften der Industrie. Am vergangenen Freitag verbündete sie sich mit dem „Klimastreik“ von „Fridays for Future“. Im Rahmen eines gemeinsamen Aktionstages fanden deutschlandweit 240 Protestaktionen statt.
Verdi forderte dabei eine „radikale Kehrtwende“ in der Verkehrspolitik. Neben mehr Investitionen in Bus und Bahn trat man auch für „bessere Arbeitsbedingungen“ der im Verkehr Beschäftigten ein. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, sprach von einer „gefährlichen Grenzüberschreitung“.
Streiks seien zulässig, um einen Tarifabschluss zu erreichen. Dies finde derzeit vonseiten Verdis in unterschiedlichen Bereichen statt.
Wer aber Arbeitskämpfe und allgemeinpolitische Ziele miteinander vermischt, gerät schnell auf ein Spielfeld jenseits unserer Tarifautonomie.“
(Mit Material der dpa)
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