Streit um Pop-up-Radweg geht weiter: „Lösung“ des Senats verschiebt Problem zu Lasten der Radfahrer
Nach einem jahrelangen Streit um einen sogenannten Pop-up-Radweg, der im Brandfall die Rettung von Menschen erschwert, können die Anwohner in der Berliner Kantstraße endlich aufatmen. Doch die zu ihren Gunsten getroffene Lösung könnte bald zum Problem für Radfahrer werden.
Noch in der vergangenen Woche sorgte eine Meldung für Verunsicherung bei Bewohnern, die in der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg oberhalb der zweiten Etage leben. Ihnen wurde zum 1. November eine „sukzessive Nutzungsuntersagung für die betroffenen Wohneinheiten“– also der erzwungene Auszug aus ihren Wohnungen – in Aussicht gestellt. Grund war der dort im Jahr 2020 errichtete Radfahrstreifen zwischen Messedamm und Budapester Straße.
Bei diesem befindet sich die Radspur am rechten Fahrbahnrand, links daneben und getrennt durch eine Reihe parkender Fahrzeuge fließt der übliche Verkehr. In der Vergangenheit hatte die Feuerwehr immer wieder angemahnt, dass der Radweg zu schmal und der Abstand von der linken Fahrspur zu den Wohngebäuden zu groß ist, wie der Sender „Berlin Live“ berichtete.
Im Fall eines Brandes könne kein Leiterwagen eingesetzt werden, obwohl bei Gebäuden mit einer Höhe bis 22 Metern eine Rettung per Leiter als zweiter Fluchtweg gesetzlich vorgeschrieben ist.
Der zur Bauzeit von den Grünen geführte Verkehrssenat hingegen argumentierte, die Feuerwehr habe bei Vor-Ort-Terminen bestätigt, dass eine Drehleiter mit gewissen Einschränkungen aufgestellt werden könne.
Am Freitag, 25. Oktober, präsentierte die Senatsverwaltung ihre Lösung für das Problem.
Neuanordnung der Fahrspuren
Um für alle Fälle – auch einen Gebäudebrand – gewappnet zu sein, werden die Fahrstreifen auf der Kantstraße so verändert, dass die Berliner Feuerwehr jederzeit einen Brand bekämpfen und auch Menschen aus höheren Etagen retten kann. Das heißt konkret: Radweg und Parkstreifen werden getauscht.
„So ist jederzeit gewährleistet, dass im Fall eines Feuerwehreinsatzes genug Platz ist, um stabil eine Drehleiter auszufahren und Wohnungen und Bewohner auch der oberen Geschosse zu erreichen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Verkehrsverwaltung.
Darauf haben sich Verkehrssenatorin Ute Bonde, Staatssekretär Johannes Wieczorek und Bezirksstadtrat Christoph Brzezinski gemeinsam mit lokalen Abgeordneten verständigt. Eine alternativ ins Gespräch gebrachte Verbreiterung der Fahrbahn durch einen schmaleren Mittelstreifen sei unverhältnismäßig aufwendig und teuer.
Umsetzung noch in diesem Jahr
Noch in diesem Jahr sollen die Fahrbahnen getauscht werden. Die Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) dankte „allen Beteiligten für die immense Bereitschaft, zeitnah und konstruktiv eine gemeinsame Lösung zu finden“.
Der Bezirksstadtrat Christoph Brzezinski (CDU), gleichzeitig Leiter der Abteilung für Stadtentwicklung, Liegenschaften und IT, betonte: „Mit der kurzfristigen Umsetzung dieser Lösung wird die Sicherheit aller Anwohner entlang der Kantstraße und somit auch die Nutzbarkeit aller Wohnungen dort wieder sichergestellt.“ Diese erfülle sowohl die Anforderungen der Feuerwehr als auch die fachliche Beurteilung der Bauaufsicht seiner Verwaltung.
Im nächsten Schritt soll geprüft werden, ob für den notwendigen Wirtschaftsverkehr sowie auch Anfahrten zu Arztpraxen zeitlich ausgewiesene Lieferzonen integriert werden können.
Problem nur verschoben?
Bereits jetzt stößt die Lösung bei Radfahrern auf Gegenwind. Denn sie müssen nun damit rechnen, dass ihre Fahrspur – anders als vorher – ständig von ein- und ausparkenden Fahrzeugen gekreuzt und Autotüren auf der rechten Spur geöffnet werden, während links der fließende Verkehr an ihnen vorbeirauscht.
Ragnhild Sørensen, Sprecherin von Changing Cities, die sich für eine Verkehrswende und die Sicherheit von Radfahrern einsetzt, ist alles andere als begeistert. Denn der Pop-up-Radweg sollte gerade für ein sicheres Radeln sorgen. Dies ist jedoch nicht mehr gewährleistet.
„Durch den Tausch von Rad- und Parkspur bekommen die Radfahrenden einen ungeschützten Radweg in der gefährlichen Dooring-Zone. Falschparken auf dem Radweg wird die Folge sein – auch für die Feuerwehr stellt dies ein massives Problem dar“, erklärt sie.
Genau diesen Zustand habe es lange Zeit in der Hauptstraße in Schöneberg gegeben, bis man erkannt habe, dass ein geschützter Radweg und Lieferzonen das Problem langfristig löse. Auch in anderen Straßen sei dies umgesetzt worden. „Falls die Feuerwehr den Bereich nutzen muss, kann dieser schnell geräumt werden“, so Sørensen.
Problem nach Einschalten der Bezirksaufsicht enthüllt
Bereits im Juli 2021 hatte der FDP-Bezirksverordnete Johannes Heyne eine Anfrage beim Bezirksamt hinsichtlich der in der Kantstraße erforderlichen Rettungswege gestellt. Erst eineinhalb Jahre später, Anfang 2023, und nach Einschalten der Bezirksaufsicht lag die Antwort vor, wie die „Berliner Woche“ berichtete.
Darin wurden die Befürchtungen der Feuerwehr bestätigt: Die aktuellen räumlichen Gegebenheiten machen den Einsatz einer Drehleiter unmöglich. Da die Fahrspur nur 3,50 Meter breit sei, könne die Stütze nur auf einer Seite voll ausgefahren werden. Laut der Berliner Feuerwehr sei eine 5,50 Meter breite Aufstellfläche erforderlich.
Es sei davon auszugehen, dass „eine überwiegende Zahl der Nutzungseinheiten oberhalb des dritten Obergeschosses betroffen ist, denen kein weiterer baulicher Rettungsweg zur Verfügung steht“, hieß es in der Antwort. Logische Konsequenz wäre eine Nutzungsuntersagung der betroffenen Wohnungen, so Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Eine solche sollte jedoch „nicht die Lösung des Problems sein“.
Heynes Frage, ob das Bezirksamt die Anwohner darüber informiert habe, dass sie im Brandfall und bei Ausfall des Treppenhauses nicht über eine Feuerwehrleiter gerettet werden können, wurde vom Stadtrat verneint. Aufgrund dieses Umstands forderte Heyne die sofortige Aufgabe des Pop-up-Radweges. Das Bezirksamt habe Hunderten Wohnungen den zweiten Rettungsweg genommen, so sein Vorwurf. Dies sei nicht nur „fahrlässig“, sondern gefährde die Anwohner.
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