Steuergelder für private Seenotretter trotz FDP-Widerstand

Eine Gestaltung des Haushalts ermöglicht Außenministerin Baerbock die Finanzierung privater Seenotrettung im Mittelmeer – trotz Widerstands aus der eigenen Koalition. Die FDP fühlt sich hintergangen, das Auswärtige Amt bezieht sich auf einen Beschluss des Bundestags aus 2022. Was ist an den Vorwürfen der FDP dran?
Die Arbeit von Seenotrettern in Italien wird mit einem neuen Dekret deutlich erschwert. (Symbolbild)
Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollte die Finanzierung privater Seenotrettung beenden. Außenministerin Annalena Baerbock unterstützt trotzdem weiter.Foto: Petros Karadjias/AP/dpa
Von 22. Oktober 2024

Die staatliche Förderung von privater Seenotrettung im Mittelmeer durch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sorgt für scharfen Widerspruch bis in die eigene Koalition hinein. 

FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr forderte am Wochenende in der „Bild“ den sofortigen Stopp aller Zahlungen. „Es gab aus dem Bundestag die klare Ansage, dass es dafür keine Steuergelder mehr gibt. Ich erwarte, dass der Wille des Parlaments ab sofort respektiert wird“, so der Fraktionschef der FDP. 

Aus der Union kommen umgehend Forderungen nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seiner Außenministerin gegenüber. „Frau Baerbock verwechselt das Auswärtige Amt offenbar mit einer privaten NGO. Anstatt sich mit Aktivisten gemein zu machen, die den Ärger europäischer Partner auf sich ziehen, sollte sie sich auf ihre Aufgaben als oberste Diplomatin konzentrieren. Der Kanzler muss ihrem seltsamen Kurs endlich Einhalt gebieten“, fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Union, Thorsten Frei, ebenfalls gegenüber der „Bild“.

Frei kritisiert weiter, dass Baerbock „entgegen den Ansagen ihrer Kabinettskollegen Haushaltsmittel in Millionenhöhe an umstrittene Gruppen auszahlen lässt“. Das sei „nicht akzeptabel und widerspricht den Interessen Deutschlands“. 

Keine illegale Migration mit Steuergeldern fördern

Die FDP wirft dem Auswärtigen Amt und Baerbock vor, hier gegen die Koalitionspositionen gehandelt zu haben. „Mit deutschen Steuergeldern darf keine illegale Migration über sogenannte private Seenotretter finanziert werden. SPD und FDP hatten sich im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2024 klar gegen eine Steuerfinanzierung der privaten Seenotrettung ausgesprochen“, sagt FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer auf Anfrage der Redaktion. „Das Auswärtige Amt hat mit der Finanzierung von entsprechenden NGOs gegen die Koalitionsposition gehandelt. Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck muss aufklären, warum seine Ministerin die Koalitionsposition missachtete und dem zuwider agierte“, so Meyer weiter. 

Die Bundesregierung weist die FDP-Kritik zurück. Sie beruft sich auf den Bundestagsbeschluss von 2022, den sie nun umsetze, sagt laut „Welt“ die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Auch eine Sprecherin des Auswärtigen Amts betonte, dies habe der Bundestag „parteiübergreifend“ beschlossen. „Eine andere Beschlussfassung des Deutschen Bundestags ist mir nicht bekannt“, sagte sie.

Die FDP beharrt unterdessen auf ihrer Kritik am Auswärtigen Amt. Der Beschluss im Haushaltsausschuss aus dem Jahr 2022 habe sich alleine auf den „Verein United4Rescue bezogen, nicht auf eine Finanzierung der privaten Seenotrettung im Allgemeinen“, so Meyer. 

Kritik aus Italien am deutschen Regierungshandeln

Die nun neu entfachte Debatte um die private Seenotrettung erinnert an eine scharf geführte Debatte im Bundestag im vergangenen Jahr. Damals hatte die AfD-Fraktion beantragt, dass die Bundesregierung „keine finanziellen Mittel für die sogenannte zivile Seenotrettung im Mittelmeer zur Verfügung“ stellen soll. 

Neben der AfD forderte damals auch die Union das Ende der Zahlungen, während die Vertreter der Ampelkoalition die Beihilfen verteidigten. 

Wenige Wochen vor der Bundestagsdebatte hatte zuvor die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni einen Brief an Scholz geschrieben. In dem Brief beschwerte sich Scholz’ Amtskollegin über deutsche Gelder für zwei Organisationen, die Flüchtlingshilfe in ihrem Land leisten. 

„Ich habe mit Erstaunen erfahren, dass Ihre Regierung, ohne sich mit der italienischen Regierung abzustimmen, beschlossen hat, erhebliche Mittel für Nichtregierungsorganisationen bereitzustellen, die an der Aufnahme von irregulären Migranten auf italienischem Gebiet und in der Rettung im Mittelmeer arbeiten“, schrieb Meloni damals in ihrem Brief an Scholz, über den unter anderem der „Spiegel“ berichtete. Länder der Europäischen Union, die Italien helfen wollten, sollten sich besser auf „strukturelle Lösungen“ wie die Zusammenarbeit mit Transitländern konzentrieren, um die Einreise zu stoppen, zitierte das Magazin weiter aus dem Brief. 

Die Regierungschefin wiederholte in dem Brief weiterhin den Vorwurf, dass Seenotrettungsorganisationen einen „Pull-Faktor“ für Migranten bei der Überfahrt des Mittelmeers von Nordafrika darstellten.

Damals verwies das Auswärtige Amt darauf, dass mit der Auszahlung des Geldes ein Beschluss des Bundestags umgesetzt werde. Weiter kündigte das Ministerium an, „in Kürze“ das erste Geld, zwischen 400.000 und 800.000 Euro, auszuzahlen. 

Lindner und Scholz gehen auf Distanz

Wie die dpa weiter meldete, hatte das Finanzministerium im Oktober 2023 beschlossen, keine neuen Mittel für die Seenotrettung im Mittelmeer im Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 einzuplanen. Die Nachrichtenagentur berief sich damals auf Informationen aus dem Umfeld von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Gelder für solche Dinge müsse dann der Bundestag beschließen, hieß es weiter.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war damals auf Distanz zu den Zahlungen gegangen. Auf einer Pressekonferenz nach dem informellen Europagipfel in Granada betonte der Kanzler, dass nicht seine Regierung, sondern der Bundestag die Gelder bewilligt habe. „Ich habe den Antrag nicht gestellt“, so Scholz. Auf die Nachfrage, was denn seine persönliche Meinung dazu sei, fügte er hinzu: „Das ist die Meinung, die ich habe, dass ich den Antrag nicht gestellt habe. Und ich glaube, das ist auch unmissverständlich.“

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP kann man allerdings unter dem Punkt „Europäische und internationale Flüchtlingspolitik“ lesen, dass sich die Koalition für zivile Seenotrettung ausspricht. Konkret hat sich die Ampel eine „staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer“ zum Ziel gesetzt. 

Bundestag beschließt Mittel mit großer Mehrheit

Im November 2022 beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestags, dass von 2023 bis 2026 jährlich zwei Millionen Euro an den Verein „United4Rescue“ fließen sollen. Der kirchennahe Verein finanziert unter anderem Rettungsschiffe der deutschen NGOs Sea Watch, SOS Humanity und Sea Eye mit. Die Idee dahinter war damals, dass der Verein das Geld verteilen sollte. Wie man dem Protokoll der Sitzung des Haushaltsausschusses entnehmen kann, haben damals alle Parteien außer der AfD dem Antrag der SPD und der Grünen mit der Nummer 2893 zugestimmt. 

Gegenüber der „taz“ sagte damals die grüne Haushaltspolitikerin Jamila Schäfer: „Damit betont die Ampel die Wichtigkeit humanitärer Hilfe und die Einhaltung internationalen Rechts gegen das Sterben im Mittelmeer.“ Und weiter: „Das ist gerade in Zeiten ein wichtiges Signal, in denen Rechtsbrüche an den EU-Außengrenzen und die Kriminalisierung der Rettung von Menschenleben in Europa leider auf der Tagesordnung stehen.“

Kurz nach dem Beschluss, das Geld vom Seenotrettungsbündnis United4Rescue verteilen zu lassen, ruderte das Auswärtige Amt, das die Mittel aus seinem Haushalt bereitstellen sollte, zurück. Wie der Sender „BR 24“ im August letzten Jahres schrieb, hatte das Ministerium entschieden, dass United4Rescue das Geld nicht alleine zugeteilt bekommt. Die Sprecherin des Außenministeriums, Andrea Sasse, nannte die Seenotrettung damals gegenüber „BR 24“ zwar eine wichtige Aufgabe, stellte aber auch klar: „Ziel ist es, sowohl die zivile Seenotrettung auf See als auch Projekte an Land für aus Seenot gerettete Menschen finanziell zu fördern.“

Buchungstrick verschleiert Gelder

Um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, griff Außenministerin Annalena Baerbock offenbar im laufenden Haushalt zu einem Buchungstrick. Wie die „Bild“ am Wochenende berichtete, wurden die zwei Millionen Euro für die private Seenotrettung im vergangenen Jahr unter dem Haushaltstitel „Internationale Aktivitäten gesellschaftlicher Gruppen“ ausgewiesen. Dieser Topf ist mit 24 Millionen Euro Gesamtvolumen ein relativ kleiner Posten. 

Eine explizite Veranschlagung des Geldes für die Seenotrettung im bisherigen Haushaltstitel für 2024 hat es anfangs nicht gegeben. Gegenüber dem MDR erklärte das Außenministerium dieses Versäumnis mit einem Versehen. Die „explizite Veranschlagung der entsprechenden Haushaltsmittel“ sei „aufgrund eines technischen Versehens […] im derzeitigen Entwurf des Haushaltsplans 2024 zunächst nicht erfolgt“, erklärte der Sprecher damals gegenüber dem MDR. Es sei allerdings schon seit einigen Wochen geplant, diesen Fehler zu korrigieren. Weiter hieß es damals: „Auch für die Jahre 2024 bis 2026 ist eine Förderung der Seenotrettung mit Verpflichtungsermächtigungen des Bundestags vorgesehen. Diese werden wir umsetzen.“ 

Allerdings tauchten die zwei Millionen  Euroauch danach nicht im ursprünglichen Haushaltstitel auf, sondern wandern einfach in einen 2,2-Milliarden-Euro-Topf und verschwanden dort mit vielen anderen Haushaltstiteln unter dem Label „Humanitäre Hilfe“. Für die FDP war offenbar klar, dass im laufenden Haushalt keine Mittel mehr zur privaten Seenotrettung bereitgestellt werden. 

Das Erstaunen dürfte daher auf der Sitzung des Bundestags am 9. Oktober dieses Jahres groß gewesen sein. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Gädechens fragte in der mündlichen Fragestunde laut Protokoll, ob die Bundesrepublik mit Mitteln des Bundeshaushaltes nichtstaatliche Organisationen, die zivile Seenotrettungen im Mittelmeer durchführen, fördert.

Für die Bundesregierung antwortete damals der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner. Lindner bestätigte, dass auch in diesem Jahr Gelder für die private Seenotrettung aus Bundesmitteln bezahlt wurden. „Für das Jahr 2024 wurden aus dem Titel „Humanitäre Hilfe im Ausland“ insgesamt 1.985.050 Euro an Förderungen bewilligt. Davon wurden bisher 1.282.214 Euro ausgezahlt“, wie im Protokoll nachzulesen ist.



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