Steinmeiers „soziale Pflichtzeit“ stößt heikle Debatte an
„Die Pandemie hat uns sehr gefordert, es gibt einen brutalen Krieg in Europa, der Klimawandel schreitet voran. Wir sehen jetzt, dass wir viel zu lange davon ausgegangen sind, dass Frieden, Freiheit und Wohlstand garantiert sind“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gegenüber der „Bild am Sonntag“.
In seiner Rede brachte er die „soziale Pflichtzeit“ für alle Schulabsolventen ins Spiel und stieß damit eine emotionale und zugleich juristische Debatte an. Denn aufgrund der deutschen NS-Vergangenheit ist die Forderung nach einem verpflichtenden Arbeitsdienst eine heikle Angelegenheit.
Im Grundgesetz sind Hand- und Spanndienste sowie Arbeitseinsätze zum Schutz gegen Hochwasser oder Brände erlaubt, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes Verpflichtungen der Bürger zum Dienst am Gemeinwesen nicht blockieren wollten, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt. Einer allgemeinen Arbeits- oder Dienstpflicht, die auch soziale Dienste beinhaltet, schiebt das Grundgesetz jedoch einen Riegel vor.
Wehrpflicht, Pflichtzeit und Gemeinsinn
Die Diskussion über einen sozialen Pflichtdienst berührt unweigerlich die Thematik mit dem „Wehrdienst“ – insbesondere zur Zeit des Ukraine-Krieges. Steinmeier erklärte, dass er für die Wehrpflicht gewesen sei, als es diese noch gab. Er rät jedoch davon ab, die „alte Debatte“ über die Wehrpflicht „neu aufzulegen“. Diese wurde 2011 aufgehoben und beschränkt sich seither nur noch auf den Spannungs- oder Verteidigungsfall, wie es im Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 steht.
In seiner Rede warf er jedoch die Frage auf, „ob es unserem Land nicht guttun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen.“ Das müsse nicht bei der Bundeswehr sein, so Steinmeier. Die soziale Pflichtzeit könnte seiner Meinung nach „genauso bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenunterkünften geleistet werden“. Das baue Vorurteile ab und stärke den Gemeinsinn, meinte der Bundespräsident.
Wie „Tagesschau“ berichtet, würden Politiker aus Union und SPD vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges bereits eine Debatte um eine solche Dienstpflicht, die Wehrdienst und soziale Dienste vereint, fordern.
Pflichtjahr und Reichsarbeitsdienst
Nach Ansicht von Katja Gelinsky, die Reden für Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schrieb, müsse der Gesetzgeber allerdings – um junge Frauen und Männer zum Dienst am Gemeinwesen zu verpflichten – das Grundgesetz ändern.
Dafür benötige man eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat, die aktuell unwahrscheinlich wäre. Denn im Artikel 12 (2) des Grundgesetzes heißt es dazu: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ In Absatz (3) heißt es: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“
Mit „herkömmlichen allgemeinen Dienstleistungspflichten“ sind Hand- und Spanndienste sowie Arbeitseinsätze zum Schutz gegen Hochwasser oder Brände gemeint, die es bereits vor dem Nationalsozialismus gab. Sie würden jedoch keine Betreuung hilfsbedürftiger Menschen abdecken, wie sie Steinmeier erwähnte, und auch keine Einsätze zum Schutz der Umwelt. Sie „wären nach der aktuellen Fassung des Grundgesetzes nicht möglich“, so Gelinsky.
Zudem gebe es die Hürde der Europäischen Menschenrechtskonvention, in der ebenfalls betont wird: „Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.“
Wer sich nun fragt, weshalb der Zivildienst früher erlaubt war, müsse Gelinsky zufolge wissen, dass dieser unmittelbar an den Wehrdienst geknüpft und nur mit ihm zusammen juristisch erlaubt war. Mit der Aussetzung des Wehrdienstes musste somit auch der Zivildienst ausgesetzt werden.
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