Steigende Jugendkriminalität: Verschärfung des Jugendstrafrechts eine Lösung?

Immer häufiger treten Kinder und Jugendliche in Deutschland auch durch schwerwiegende Straftaten in Erscheinung. Was sind die Ursachen dafür? Ist es Zeit, das deutsche Jugendstrafrecht zu reformieren? Und wie sieht es im Vergleich mit dem Vorzeigeland Schweiz aus?
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Polizisten einer Sondereinheit begleiten Schüler einer Berufsschule in Potsdam bei einem großen Polizeieinsatz am 27. Februar 2023 nach einem Amok-Alarm.Foto: ODD ANDERSEN/AFP über Getty Images
Von 12. August 2023

Die Zahlen im Bereich der Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland sind weiter am Steigen. Laut der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik stieg die Zahl der Tatverdächtigen gegenüber 2021 um 10,7 Prozent auf 2,093 Millionen. Von diesen besaßen 783.876 (plus 22,6 Prozent) keinen deutschen Pass.

Auffällig hoch ist dabei der Anstieg bei tatverdächtigen Kindern (93.095, plus 35,5 Prozent). Das sind auch deutlich mehr als 2019 (72.890). Zudem weist die Statistik 189.149 tatverdächtige Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren aus (2019: 177.082). Häufigste Taten bei Kindern und Jugendlichen waren Diebstahl, gefolgt von Körperverletzung, Sachbeschädigung und Rauschgiftdelikten.

Allerdings gab es in diesem Jahr auch mehrere Morde, bei denen Kinder und Jugendliche die Täter waren. So erstach am 10.01.2023 der 17-jährige Sinan nach einem Münzwurf seine Deutschlehrerin Sabine K. in Ibbenbüren (Nordrhein-Westfalen). Eine Woche später treten zwei 13-jährige Mädchen in Rastatt (Baden-Württemberg) eine 14-Jährige vor Passanten fast zu Tode. Ende Januar tötete ein 14-Jähriger seinen gleichaltrigen Freund in Wunstorf (Niedersachsen) nach einer offenbar monatelangen Vorbereitung „wie bei einer Hinrichtung“.

Im Februar wurde ein bei der Tat 14-Jähriger für den heimtückischen Mord – durchgeführt zusammen mit einem straffrei gebliebenen 13-jährigen Mitschüler – zu acht Jahren Haft verurteilt. Sie hatten die 14-jährige Anastasia auf einem verwilderten Grundstück in Salzgitter (Niedersachsen) erstickt und ihre Leiche in einem Gebüsch versteckt. Im März wurde in Freudenberg (Nordrhein-Westfalen) die 12-jährige Luise durch zwei ihrer „Freundinnen“ (12, 13) mit 75 Stichen getötet.

Ursachen für steigende Jugendkriminalität

Das baden-württembergische Bildungsministerium bringt die Gründe für eine steigende Jugendkriminalität in Unterlagen zur Lehrerfortbildung auf einen einfachen Nenner. Hier zählt man folgende Hauptfaktoren auf: Herkunft, Problemlagen und kulturelle Erklärungsfaktoren. Diese untergliedert man dann in:

    • Ethnische Faktoren (unterschiedliche Wertvorstellungen wie bei häuslicher Gewalt)
    • Geringere Bildung (bei Migranten: mangelnde Deutschkenntnisse, Deutsch spielt nur in der Schule eine Rolle)
    • Soziale Benachteiligung
    • Mangelnde familiäre Sozialisation

Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird dann noch das „Leben in zwei Welten“ aufgeführt, was zu Orientierungslosigkeit, Werteverlust, mangelnden Deutschkenntnissen und geringer Integrationsbereitschaft führen kann.

Allerdings begünstigen auch Missbrauchs- und Gewalterfahrungen, Süchte, Traumatisierungen, Demütigungen, negative Vorbilder, Vernachlässigung, Überforderung, Perspektivlosigkeit, vorgelebte oder medial erfahrene Gewaltverherrlichung beziehungsweise -relativierung kriminelles Verhalten bei Kindern und Jugendlichen. Weitere Faktoren für spätere Orientierungslosigkeit seien eine mangelnde kulturelle, künstlerische und spirituelle Bildung und Bindung sowie damit verbunden eine fehlende Ausrichtung an universellen Werten.

Empirische Untersuchungen belegen, dass eine gesunde Familie der wichtigste Baustein für eine gesunde Gesellschaft ist. Kindergarten und Schule sollten das Elternhaus bei der Erziehungsarbeit positiv unterstützen, so der einhellige Tenor. Dies zusammen mit einem gemeinsamen Wertekonsens in der Bevölkerung, so die Bildungsexperten, habe einen hohen präventiven Effekt.

Die Schweiz als Vorbild?

Im Zusammenhang mit schweren Straftaten von Kindern und Jugendlichen taucht immer wieder die Frage nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Herabsetzung des Alters zur Strafmündigkeit auf. Dabei argumentieren Kritiker, dass 12- oder 13-Jährige heutzutage in ihrer geistigen und sittlichen Reife nicht mehr mit 12- oder 13-Jährigen vor 40 oder 50 Jahren zu vergleichen seien. Die Frage zu den eigentlichen Ursachen findet dabei jedoch in der Politik, zumindest in der öffentlichen Diskussion wenig Beachtung.

Kurz nach der Tötung von Luise in Freudenberg richtete die AfD-Fraktion im bayerischen Landtag eine Anfrage an die Landesregierung des Freistaates. Am 4. August erhielt sie schließlich eine Antwort. Sie wollte wissen, wie die Position der Staatsregierung zu einem Jugendstrafrecht nach Schweizer Vorbild in Deutschland ist.

Die Schweiz gilt als Land mit wenig Kriminalität auch in Sachen der Bekämpfung von Jugendkriminalität als fortschrittlich.

Anders als in Deutschland, wo ein Kind mindestens 14 Jahre alt sein muss, um als strafmündig zu gelten, können in dem Alpenstaat bereits Kinder ab zehn Jahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bis zum 18. Lebensjahr gilt dabei jedoch ein gesondertes Jugendstrafrecht mit Straf- und Schutzmaßnahmen.

Kinder ab 8 in Griechenland und Schottland strafunmündig

Vergleicht man Deutschland mit den anderen EU-Staaten, so fällt auf, dass in den meisten EU-Staaten die Grenze zur Strafmündigkeit grundsätzlich bei 14 beziehungsweise 15 Jahren liegt. Nur in den wenigsten Ländern liegt sie darunter (bei zehn und zwölf Jahren). In der Regel werden gegen Straftäter, die jünger als 18 Jahre alt sind, spezielle Sanktionen verhängt, bei denen wie in Deutschland der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht.

Abheben tut sich in der EU beispielsweise Frankreich. Hier existiert keine Altersgrenze für die Strafmündigkeit. Täter, die jünger als 18 Jahre alt sind, können aber nicht wie Erwachsene bestraft werden. In Griechenland und Schottland sind nur Kinder unter acht Jahren strafunmündig. In England, Wales und Nordirland gelten Kinder ab zehn Jahren für strafmündig. Irland und die Niederlande folgen mit einer Strafmündigkeitsgrenze von zwölf Jahren.

Strafmündigkeit von Kindern in Deutschland

Wie in vielen anderen Ländern auch, so gilt im deutschen Strafrecht, dass auch bei schweren Delikten nur der bestraft werden kann, der schuldhaft handelte. Dazu bedarf es nach deutschem Rechtsverständnis einer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Sie wird in unserem Land Kindern erst ab 14 Jahren zugestanden.

Das war allerdings nicht schon immer so. 1923, also zur Zeit der Weimarer Republik, wurde die Strafmündigkeit in Deutschland von zwölf auf 14 Jahre heraufgesetzt. Die Nationalsozialisten senkten die Grenze 1943 zwischenzeitlich wieder auf zwölf Jahre. In der Bundesrepublik wurde dies 1953 wieder rückgängig gemacht. Während des Kalten Krieges auf der anderen Seite der Mauer in der DDR galt ab 1952 ebenfalls eine Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren.

Jugendkriminalität steigt auch in der Schweiz

Auffallend ist, dass jedoch auch in der Schweiz die Jugendkriminalität zunimmt und dies seit 2015 kontinuierlich und seit 2018 sogar stark.

Allein die Gewaltstraftaten sind zwischen 2018 und 2021 um 37,2 Prozent (2021: +2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr) gestiegen. Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität haben sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt (2018: 419 Straftaten; 2021: 837).

Fakt ist auch, dass männliche Jugendliche und Jugendliche ausländischer Herkunft einen überproportionalen Anteil an Straftaten in der Schweiz haben. Jedoch ging zwischen 2015 und 2020 die Anzahl aller männlichen Jugendlichen um 3,7 Prozent zurück, und die Anzahl ausländischer Jugendlicher stieg geringfügig um 3,7 Prozent.

Zudem wurden insgesamt mehr ausländische Jugendliche in der Schweiz einer Straftat beschuldigt, jedoch stieg die Zahl der Tatverdächtigen bei Schweizer Jugendlichen seit 2015 um 36 Prozent, bei ausländischen Jugendlichen nur um 26,1 Prozent.

Mit der Migration allein lässt sich in Bezug auf die Schweiz der starke Anstieg bei der Jugendkriminalität also nicht erklären. Kriminologen erklären sich dort den Anstieg durch mehrere Faktoren wie Arbeitslosigkeit, frühzeitiger Schulabbruch, elterliche Gewalt, erhöhte Akzeptanz von Gewalt unter Jugendlichen und Perspektivlosigkeit.



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