„Statt staatlichem Mikromanagement“: CDU, BSW und SPD nennen Ziele für Thüringen
Anders als in Sachsen, wo in der Vorwoche die Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD gescheitert waren, scheint in Thüringen eine Koalition dieser Parteien greifbar. Nun haben sich die Spitzen der Landesparteien auch mit einem Gastbeitrag in der FAZ an die Bevölkerung gewandt.
Am Sonntag, 10.11., nannten sie dabei die Schwerpunkte, auf die sie in den anstehenden Koalitionsverhandlungen setzen wollten. Die Landesparteichefs Mario Voigt (CDU), Katja Wolf (BSW) und Georg Maier (SPD) wollen auf „Pragmatismus in der Politik statt ideologische Grabenkämpfe“ setzen. Hauptziele seien „gleichwertige Lebensverhältnisse“, eine „Kultur des Ermöglichens“ und „Kooperation statt staatlichem Mikromanagement“.
Gespräche standen in Thüringen bereits vor dem Abbruch
In den vergangenen Wochen standen die Gespräche zwischen den drei Parteien mehrfach auf der Kippe. Vor allem im BSW hatte es erheblichen Unmut über ein Sondierungspapier gegeben, das Landeschefin Wolf und ihre Verhandler im Oktober unterzeichnet hatten. In diesem hatten sich zentrale Forderungen, mit denen die Wagenknecht-Partei ihren Wahlkampf bestritten hatte, nicht wiedergefunden.
Parteigründerin Sahra Wagenknecht übte deutliche Kritik an den bisherigen Verhandlungsergebnissen. In zu vielen entscheidenden Bereichen wie Corona-Aufarbeitung oder Energiepolitik habe sich das Papier in Gemeinplätzen erschöpft. Außerdem habe es keine gemeinsame Position zur Friedenspolitik gegeben.
Eine „Friedenspräambel“ sollte in weiterer Folge die Gemüter beruhigen – doch sorgte diese stattdessen für noch weiteren Unmut. Wagenknecht sprach von „vagen“ Formulierungen. Weder eine explizite Absage an Waffenlieferungen noch Kritik an der geplanten Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland sei geplant. Eine Krisensitzung in Erfurt hatte zum Ergebnis, dass Wolf gelobte, bis zum Ende der Koalitionsverhandlungen noch einmal auf eine Nachbesserung der Präambel zu drängen.
Koalition bräuchte fallweise immer noch Leihstimmen
Über eine eigene Mehrheit verfügen CDU, BSW und SPD im Thüringer Landtag nicht. Sie kommen zusammen auf 44 der 88 Sitze. Die AfD ist mit 32 Sitzen stärkste Kraft, auf 12 Sitze kommt die Linkspartei. Bei wichtigen Vorhaben wird sich die angestrebte Brombeer-Koalition möglicherweise aus deren Reihen Stimmen holen müssen.
Im Koalitionsvertrag wollen CDU, BSW und SPD nun eine Politik skizzieren, die „dafür Sorge trägt, dass man an jedem Ort in Thüringen gut leben und arbeiten kann“. Dabei solle es nicht um „ein weiteres bürokratisches Förderprogramm“ gehen. Stattdessen wolle man gemeinsam „einen breiten, verlässlichen Rahmen für alle, die sich engagieren wollen“, schaffen.
Die regionale Entwicklungspolitik solle „Innovation und Kooperation“ statt staatlich feingesteuerter Programme in den Vordergrund stellen, erklären die potenziellen Koalitionäre weiter. Es gebe dabei bereits zahlreiche innovative Ansätze „von 24-Stunden-Läden bis zu digital geplanten Rufbussen und Gesundheitsgenossenschaften“.
Licht und Schatten in Thüringen
Was die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse anbelangt, bleiben im Freistaat erhebliche Herausforderungen – auch, wenn es einige positive Entwicklungen zu verzeichnen gibt. So hat sich die Einwohnerzahl in Thüringen innerhalb der vergangenen zehn Jahre im Vergleich zu den Nach-Wende-Jahren zumindest stabilisiert.
In Städten wie Erfurt und Jena gilt auch die Arbeitsmarktsituation als verhältnismäßig günstig. Die historischen Städte und attraktiven Landschaften sind beliebte Tourismusziele. Im bundesweiten Vergleich liegt das Land bezüglich der Kriminalitätsrate im Mittelfeld – zuletzt jedoch unterhalb vergleichbarer Länder wie Sachsen-Anhalt oder Sachsen.
Die Lebenszufriedenheit ist im Freistaat seit 2019 jedoch gesunken. Dies stellt einen Unterschied beispielsweise zu Sachsen-Anhalt dar, wo diese nach der Coronakrise wieder gestiegen war. Ein Faktor dabei könnte sein, dass der Durchschnittslohn in Thüringen zuletzt etwa 600 Euro unterhalb des Bundesdurchschnitts lag. Gleichzeitig war die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche um 30 Minuten höher.
Deutliches Gefälle auch innerhalb des Freistaats selbst
Im Bundesdurchschnitt bezeichneten im Jahr 2023 knapp 46 Prozent aller Befragten bei einer von der Landesregierung zitierten Umfrage ihr Einkommen als „nicht leistungsgerecht“ und 38 Prozent als „nicht ausreichend“. In Thüringen lagen die Referenzwerte bei 56 und 45 Prozent – und damit deutlich höher.
Der Fachkräftemangel erhöht die Arbeitsbelastung der in Beschäftigung stehenden Bewohner des Freistaats. Bis 2035 gehen Prognosen von einem weiteren Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung um 139.000 Menschen aus.
Ungleiche Lebensverhältnisse bestehen jedoch nach wie vor nicht nur im Verhältnis zwischen Thüringen und anderen Bundesländern. Auch innerhalb des Freistaats gibt es ein erhebliches Gefälle bei Lebensstandard und Lebenszufriedenheit. Städte wie Erfurt, Jena und Gera setzen sich dabei gegenüber vielen kleinräumiger strukturierten Gebieten ab. Die Lebenserwartung von Männern ist in Jena beispielsweise um etwa 2,2 Jahre höher als im Unstrut-Hainich-Kreis.
Noch keine Erfolgsgarantie
In Summe gelten die Ausgangsbedingungen in Bereichen wie Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung und Umweltqualität als verhältnismäßig intakt. Dennoch liegt die subjektive Zufriedenheit der Thüringer unter dem Potenzial, wie der SKL Glücksatlas bescheinigt.
Die Spitzen von CDU, BSW und SPD zeigen sich bis dato optimistisch, dies ändern zu können. Allerdings ist noch nicht abzusehen, ob der mittlerweile eingekehrte Burgfrieden auch am Ende der Koalitionsgespräche noch intakt sein wird.
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