„Stärker belastet als 2015“: Unterbringung von Flüchtlingen überfordert Kommunen

Der Krieg in der Ukraine und das Ende der Coronakrise haben die Zahl an Flüchtlingen in der EU deutlich ansteigen lassen. Kommunen fühlen sich überfordert.
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Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine in Deutschland.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 29. November 2022

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Was Migrationsbewegungen anbelangt, wird 2022 als ein Jahr mit neuen Rekordzahlen enden. Allein seit Beginn des Jahres sind 281.000 Asylsuchende in die EU eingereist – das sind etwa 77 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dazu kommt noch ein Vielfaches dieser Zahl an Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Diese lässt die Gesamtzahl der zu Betreuenden auf über eine Million steigen. Kommunen in vielen Bundesländern und auch über Deutschland hinaus sehen sich zunehmend überfordert bezüglich der Unterbringung.

Österreich: Kommunen ziehen sich aus Betreuung zurück

Erst vor wenigen Wochen wurden in der oberösterreichischen Gemeinde St. Georgen im Attergau 17 vom Innenministerium aufgebaute Zelte für Flüchtlinge zum Zankapfel. Nach Protesten bauten die Verantwortlichen diese wieder ab, freiwillig erklärt seither jedoch kaum noch eine Gemeinde ihre Aufnahmebereitschaft.

In Oberösterreich hatte es 2015/16 noch mehr als 500 Unterkünfte für Asylbewerber in 327 Gemeinden gegeben. Derzeit engagieren sich nur noch etwas mehr als 100 von 438 Kommunen des Landes in diesem Bereich. Derzeit werden etwa 11.500 Menschen dort als Flüchtlinge grundversorgt, etwas weniger als die 14.000 im Jahr 2016. Von 6.000 ukrainischen Kriegsflüchtlingen sind 5.000 privat untergebracht.

Bei den meisten anderen Geflüchteten handelt es sich hauptsächlich um Bürger aus Staaten wie Syrien oder Afghanistan. Ihr Ziel ist in den meisten Fällen die Weiterreise in Richtung Deutschland, Schweden oder Großbritannien.

Bernkastel-Kues: 1.100 Asylsuchende in 500-Seelen-Wohngebiet

In vielen Fällen ist diese Weiterreise bereits erfolgt – und die Probleme bezüglich der Unterbringung sind damit auf Deutschland übergegangen. Die „Welt“ hat sich in diesem Zusammenhang in einer Reportage mit der Lage in mehreren Kleingemeinden befasst. Unter anderem in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat das Innenministerium sanierungsbedürftige Hotelbauten zu „Außenstellen“ für die Erstaufnahme von Schutzsuchenden erklärt.

Häufig befinden sich diese in dünn besiedelten Gebieten – wie beispielsweise im Kurviertel von Bernkastel-Kues. Jedoch reichen auch die 143 Zimmer im ehemaligen Moselpark-Hotel nicht zur Unterbringung aller erwarteter Flüchtlinge aus. Deshalb hat man auch schon die Tennishalle nebenan mit Notbettreihen bestückt – und Container mit WCs und Duschen aufgebaut.

Am Ende sollen 1.100 Asylsuchende in einem abgelegenen Ortsteil Aufnahme finden, der selbst nur 500 Einwohner zählt. Im alten Hotel finden davon nur zwischen 400 und 500 Platz. Das Wohngebiet verfügt zwar über mehrere Kliniken, aber keinen Supermarkt. Die Pläne des grünen Integrationsstaatssekretärs David Profit stoßen auf erhebliche Widerstände in der Gemeinde.

Man warnt vor Zuständen in der Tennishalle, die an „Massentierhaltung“ erinnerten, und vor negativen Folgen für den Kurbetrieb. Eine Petition fordert die dezentrale Unterbringung der 600 Asylsuchenden, die in der Tennishalle einquartiert werden sollen.

Städtetag: Bund und Länder müssen Kommunen stärker unterstützen

Auch der Städtetag hat wiederholt an Bund und Länder appelliert, den Kommunen wirksamer unter die Arme zu greifen. Aber die Bundesländer stehen selbst vor einem erheblichen Organisationsaufwand. So hat allein Baden-Württemberg 139.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen – in ganz Frankreich sind es demgegenüber 120.000.

Zudem sind Berichten von Oberbürgermeistern zufolge Vermieter sehr wählerisch, wenn es um die Herkunft möglicher Mieter geht. Demnach äußerten viele von ihnen den ausdrücklichen Wunsch, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. Diese müssen kein Asylverfahren durchlaufen und kommen im Regelfall auch nicht in Erstaufnahmeeinrichtungen.

Viele ab 2015 nach Deutschland eingereiste Syrer, Afghanen, Türken, Ägypter oder Pakistaner dürften zwar längst eine eigene Wohnung mieten, allerdings hätten nur wenige eine bekommen – auch nach mehrjähriger Suche. Unterdessen ist der deutsche Südwesten mittlerweile auch mit zunehmender illegaler Migration aus der Schweiz konfrontiert. Sie ist Transitland im Rahmen sich neu bildender Einreiserouten – und die Grenzpolizei zeigt sich sehr aufgeschlossen, wenn es darum geht, die Betreffenden durchreisen zu lassen.

Teuteberg: „Zum Rechtsstaat gehören auch Abschiebungen“

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg spricht in einem Interview mit der „Welt“ von „enormen Herausforderungen“ und fordert Reformen. Deren Ziel müsse es sein, die Botschaft zu vermitteln, dass „nicht jeder nach Europa einreisen kann“.

Teuteberg sieht Nachholeffekte der Corona-Pandemie, die Asylsuchende vermehrt nach Deutschland brächten. Zudem macht sie Nachbarländer der EU wie die Russische Föderation, Belarus oder die Türkei für den gestiegenen Andrang verantwortlich. Russland und Weißrussland betrachteten „staatlich orchestriertes Schleppertum“ als Teil einer „hybriden Kriegsführung“. Die Türkei wiederum lasse vermehrt Asylsuchende über die Türkische Republik Nordzypern in die EU ausreisen.

Für eine europäische Lösung der Asylkrise bedürfe es jedoch auch einer Abkehr von der „geradezu unpolitischen Unbedingtheit der bisherigen deutschen Position“. Es sei nicht von europäischen Partnern zu verlangen, eine Quote von einer „potenziell unbegrenzten, jedenfalls unkalkulierbaren Zahl von Migranten“ zu akzeptieren. Bei der Kritik an Ost- und Mitteleuropäern sei „auch Ressentiment im Spiel“.

Die Schutzberechtigung von Asylsuchenden solle, so Teuteberg, schon in Drittstaaten erfolgen. Gleiches gelte für die mögliche Bleibeperspektive als Arbeitsmigrant. Da Deutschland mittlerweile „stärker als 2015/16 belastet“ sei, bedürfe es eines gesellschaftlichen Konsenses, dass auch Abschiebungen zum Rechtsstaat gehörten:

Rechtsstaatliche Konsequenz wird als inhumane Härte diskreditiert. Dass etwa die Durchsetzung der Ausreisepflicht die Ausnahme darstellt und nicht die Regel, ist nicht hinnehmbar. Mehr Mut bei der notwendigen Arbeitskräftemigration wird umso mehr Akzeptanz finden, je wirksamer wir gegen illegale Migration vorgehen.“



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