Staatsrechtler: Rechtliche Zweifel an Corona-Beschlüssen – Drittel der Bevölkerung gehen Maßnahmen zu weit
Wenige Tage vor Beginn des Teil-Lockdowns in ganz Deutschland gibt es nicht nur Zweifel ob die Strategie der Bundesregierung zur Corona-Pandemie die Richtige ist, sondern auch, ob die neuen Corona-Maßnahmen, entsprechend der jetzigen Corona-Lage in Deutschland, angemessen und juristisch haltbar sind.
Der Jurist und FDP-Vize Wolfgang Kubicki schreibt in einem Gastbeitrag für die „Passauer Neue Presse“: „Die Beschlüsse bleiben von solch einer bemerkenswerten Widersprüchlichkeit, dass nur fraglich erscheint, wann das erste Gericht sie kippt und nicht ob.“ Der Bundestagsvizepräsident fragt: „Warum müssen Nagelstudios schließen, nicht aber Friseure? Wieso werden auch dort Restaurants geschlossen, wo man noch weit entfernt ist von den selbst definierten Schwellenwerten?“ All das sei nicht mehr zu erklären.
Staatsrechtler erwartet erfolgreiche Klagewelle
Der Staatsrechtler Ulrich Battis erwartet eine erfolgreiche Klagewelle. „Ich gehe fest davon aus, dass es eine hohe Anzahl an Klagen geben wird und dass auch viele wie bisher in einstweiligen Rechtsschutzverfahren damit durchkommen werden, siehe die gekippten Beherbergungsverbote und Sperrstunden“, sagte Battis der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Schon in der kommenden Woche könne es erste Entscheidungen geben. „Dass der gesamte Lockdown von Gerichten gekippt wird, erwarte ich aber nicht.“
Von Montag an sollen die Kontakte auf zehn Personen aus maximal zwei Haushalten begrenzt werden. Gastronomiebetriebe sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben den gesamten November geschlossen. Hotels wird die Aufnahme von Touristen verboten. Schulen und Kitas sollen aber offen bleiben.
Landtags-Sondersitzungen zu Corona-Beschlüssen
In mehreren Bundesländern kommen an diesem Freitag die Landeskabinette zu Sondersitzungen zusammen. Die Regierungen in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und dem Saarland wollen die Beschlüsse von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten ins jeweilige Landesrecht umsetzen. In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen hatten die Landesregierungen die entsprechenden Verordnungen bereits am Donnerstag erlassen.
In mehreren Ländern sind heute zudem Sondersitzungen der Landtage zum Thema geplant. So wollen etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ihren Kurs in Regierungserklärungen darlegen.
Die Mehrheit der Bürger unterstützt nach einer Umfrage den geplanten Teil-Lockdown im November oder wünscht sich sogar noch weitergehende Schritte, um die Pandemie wieder einzudämmen. In einer Forsa-Erhebung für RTL und ntv befürworteten 50 Prozent die von Bund und Ländern beschlossenen strikten Maßnahmen. Weiteren 16 Prozent der 1014 Befragten reichen sie noch nicht aus. Genau einem Drittel dagegen gehen sie zu weit.
Soll die Rekordverschuldung später mit höheren Steuern kompensiert werden?
Um Umsatzverluste von Unternehmen im November wettzumachen, will der Bund nochmal zehn Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Angesichts der Rekordverschuldung des Staates wegen Corona will der SPD-Finanzexperte Lothar Binding Gutverdiener nach der Krise stärker zur Kasse bitten. „Die Menschen, die gut durch die Krise gekommen sind, sollten dem Staat nach der Krise helfen, wieder auf die Beine zu kommen“, sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion der „Bild“-Zeitung. „Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.“
Dagegen bekräftigte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in „Bild“, er habe immer klar gesagt, „dass ich Steuererhöhungen für Gift halte für die Wirtschaft und deshalb werde ich mich an Steuererhöhungsdiskussionen nicht beteiligen. Ich werde mich auch dafür einsetzen, dass es in den nächsten vier Jahren nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr keine geben wird“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich bei einem EU-Videogipfel klar gegen die erneute Schließung von Grenzen innerhalb der Europäischen Union aus. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte nach dreistündigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs, dass sich Merkel für eine koordinierte Bekämpfung der Corona-Pandemie in Europa eingesetzt habe: „Gerade für Deutschland als Land in der Mitte Europas ist es wichtig, dass die Grenzen offen bleiben, dass es einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf gibt und dass wir gemeinsam die Pandemie bekämpfen.“
Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr hatten zahlreiche EU-Länder ihre Grenzen aus nationalen Erwägungen geschlossen. Auch jetzt gibt es einseitige Einreisebeschränkungen. So hat die dänische Regierung vor einer Woche verfügt, dass Menschen aus Deutschland nicht mehr ohne triftigen Grund einreisen dürfen. Für den Großteil der weiteren Staaten in Europa gilt das schon länger. Ungarn hat seine Grenzen fast gänzlich für Ausländer geschlossen. (dpa)
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