Staatsfolter in Syrien: War der Angeklagte Opfer oder Täter?

In einem weltweit einmaligen Prozess um einen mutmaßlichen Folterer schildern ihn seine Anwälte als kleines Rädchen einer großen Maschinerie. Die Bundesanwaltschaft sieht das anders.
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Am Oberlandesgericht in Koblenz wird gegen einen Syrer verhandelt, der Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen sein soll.Foto: iStock
Epoch Times7. Januar 2022

Im laut Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess um Staatsfolter in Syrien gehen die Forderungen von Anklage und Angeklagtem maximal möglich auseinander.

Nachdem die Bundesanwaltschaft kürzlich lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragt hat, was Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt, fordert die Verteidigung einen Freispruch. Im letzten Wort des Angeklagten sagt der Syrer Anwar R. am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, er werde sein für den 13. Januar angekündigte Urteil hinnehmen, „weil ich an das deutsche Gesetz und die deutsche Justiz glaube“. Er sei unschuldig.

Folter im Bürgerkrieg

Die Bundesanwaltschaft wirft dem ehemaligen Oberst Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 in der Anfangsphase des syrischen Bürgerkrieges vor. Der 58-Jährige soll in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus als Vernehmungschef für die Folter von mindestens 4000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 30 Gefangene seien gestorben. Hintergrund ist das Handeln von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad – er soll für eine grausame Folter-Maschinerie verantwortlich sein.

Anwar R. erklärt am 107. Verhandlungstag vor dem Staatsschutzsenat, im Arabischen Frühling 2011 in Syrien sei ihm gesagt worden, die gefangenen Demonstranten seien Terroristen. Die Zahl der Häftlinge in seinem Gefängnis habe sich verzehnfacht, er habe Folterschreie gehört. Seine Vorgesetzten hätten die Opposition „vernichten“ wollen.

Er habe das nicht gutgeheißen, versichert der Angeklagte, übersetzt von einem Dolmetscher. „Ich konnte aber nichts dagegen unternehmen.“ Er habe keinen einzigen Befehl zu Folterungen erteilt, im Gegenteil: „Ich half so gut ich konnte.“ Das hätten mehrere Zeugen bestätigt. Er habe auch für Freilassungen gesorgt.

Nicht ohne Folgen: Er sei in seinem Geheimdienst entmachtet worden und habe seine Desertion nach 26 Dienstjahren beschlossen. Schon zu Prozessauftakt hat der aus der Region Homs, einer Rebellenhochburg, stammende Anwar R. gesagt, er habe insgeheim mit der syrischen Opposition sympathisiert und sie nach der Flucht aus seiner Heimat unterstützt – auch mit der Teilnahme an der zweiten Syrien-Friedenskonferenz 2014 in Genf.

Angeklagter selbst Opfer des Regimes?

Nun betont der Angeklagte, der sich viele Notizen mit einem Kuli gemacht hat, er sei selbst zum Opfer des Assad-Regimes geworden – mit dem „Märtyrertod“ mehrerer Verwandter. Beispielsweise sei sein zehnjähriger Enkel mit einem Maschinengewehr erschossen worden.

Sein Verteidiger Yorck Fratzky versichert, er zweifele keinesfalls das anhaltende „furchbare Unrecht“ in Syrien und die Notwendigkeit internationaler Strafverfolgung an. Aber vor dem Staatsschutzsenat gehe es um das persönliche Verhalten des Angeklagten. Mindestens ein Zeuge habe auch ausgesagt, „dass hier eigentlich das Regime auf der Anklagebank sitzen müsste“. Der zweite Verteidiger Michael Böcker ergänzt, dieser Prozess um Ereignisse vor einem Jahrzehnt in einem Gefängnis in genau 3901 Kilometer Entfernung sei „nur bedingt geeignet“ für die Aufarbeitung des syrischen „Unrecht-Regimes“.

Der international beachtete Koblenzer Prozess hat im April 2020 mit zwei Angeklagten begonnen. Im Februar 2021 ist der Jüngere, der Syrer Eyad A., bereits zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Der 45-Jährige hatte nach Überzeugung der Richter in Syrien 2011 dazu beigetragen, 30 Demonstranten des Arabischen Frühlings ins Foltergefängnis des Hauptangeklagten zu bringen. Über die Revision von Eyad A. gegen sein Urteil ist noch nicht entschieden.

Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, auch hierzulande mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen. Die Flüchtlinge Anwar R. und Eyad A. sind in Deutschland von mutmaßlichen Folteropfern erkannt und im Februar 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden. (dpa/oz)



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