Staatsanwaltschaft: Darum sind „Ausländer raus“-Parolen auf Sylt nicht strafbar

Das Absingen der Neonazi-Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ zur Musik des Liedes „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino erfüllt nicht zwingend den Tatverdacht der Volksverhetzung. Dies hat die Staatsanwaltschaft Augsburg zu einem Fall aus Augsburg erklärt.
Einem Aufruf zu einer Demonstration auf Sylt sind nur wenige Punks gefolgt. Eine kleine Gruppe von etwa zehn Menschen zog unter dem Motto „Laut sein gegen rechts!“ durch Westerland.
Einem Aufruf zu einer Demonstration auf Sylt sind nur wenige Punks gefolgt. Eine kleine Gruppe von etwa zehn Menschen zog unter dem Motto „Laut sein gegen rechts!“ durch Westerland.Foto: Bodo Marks/dpa
Von 5. Juni 2024

Die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, zu der Neonazis in den 1990er-Jahren Molotow-Cocktails auf die Häuser von Einwanderern geworfen hatten, ist nicht in jedem Kontext strafbar. Das hat die Staatsanwaltschaft Augsburg jüngst erklärt und die Ermittlungen zu einem Anlassfall eingestellt.

Die „Bild“ hatte am Sonntag, dem 2. Juni, von der Staatsanwältin Melanie Ostermeier erfahren, dass es deshalb keine Konsequenzen für Angehörige der Hohenfurcher Landjugend geben wird. Diese hatten im Februar die Parole zur Melodie des Dance-Songs „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino gesungen.

Tatbestand der Volksverhetzung beinhaltet mehrere Hürden

Ostermeier machte deutlich, dass eine Strafbarkeit beim öffentlichen Skandieren dieser Parole immer im Raum stehe. Allerdings komme es auch dabei auf den konkreten Kontext im Einzelfall an. Der einschlägige Paragraf 130 Absatz 1 StGB kennt auch einige Hürden, die für die Annahme einer Strafbarkeit zu nehmen sind.

Im ersten Anwendungsfall muss ein Aufstacheln zum Hass oder eine Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen vorliegen. Dieses muss sich gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe richten.

Der zweite Anwendungsfall betrifft das Angreifen der Menschenwürde gegen die genannten Gruppen oder Personen durch ein Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden. In beiden Fällen muss eine Eignung dazukommen, den öffentlichen Frieden zu stören.

Noch keine Entscheidung zu Erntefest in Bergholz

Die Staatsanwältin sah im konkreten Einzelfall den Tatbestand als nicht erfüllt an. Bei diesem ging es um alkoholisierte Jugendliche, die in Feierlaune zu offenkundigen Zwecken der Provokation die Parole zu „L’amour toujours“ sangen. Dass diese dabei tatsächlich zum Hass oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen aufstacheln wollten, war demnach nicht anzunehmen. Anders, als es bei auf Krawall gebürsteten Skinheads mit Baseballschlägern vor einem Asylbewerberheim der Fall wäre.

In Neubrandenburg hat die Staatsanwaltschaft über einen gleichgearteten Fall im südvorpommerschen Bergholz nach wie vor nicht entschieden. Dort hatten fünf Personen beim Erntefest die Neonazi-Parole zur Dance-Hit-Melodie gesungen. Der Vorfall gilt als Ausgangspunkt des alltagsrassistischen Trends. Zwar soll es Vorfälle dieser Art auch schon zuvor gegeben haben. Die Videoaufnahmen aus Bergholz waren jedoch die ersten, die auf TikTok viral gingen.

Bei „Rich Kids“ auf Sylt liegen Voraussetzungen ähnlich

Ein Video aus dem „Pony“-Klub in Kampen auf Sylt vom Pfingstsonntag hatte bundesweit heftige Reaktionen hervorgerufen. Eine Gruppe Feiernder in dem Nobelklub hatte sich beim Absingen der rassistischen Fassung von „L’amour toujours“ selbst aufgenommen.

In weiterer Folge berichteten Medien ohne Verpixelung der Gesichter der Beteiligten. Einige davon verloren ihre Jobs, in manchen Fällen wurden Namen oder Anschriften in sozialen Medien gepostet. Politiker bis hinauf zum Bundespräsidenten meldeten sich zu Wort.

Mit strafrechtlichen Konsequenzen dürfte auch im Fall der „Rich Kids“ von Sylt nicht zu rechnen sein. Die öffentliche Aufmerksamkeit hatte die Fassung jedoch erst bekannt gemacht. Während mehrere Festveranstalter das Abspielen des Original-Songs untersagt haben, schoss er in den Verkaufscharts nach mehr als 20 Jahren wieder an die Spitze.

Ähnliche Vorfälle wie im „Pony“ sollen sich am Pfingstsonntag auch in den Clubs „Rotes Kliff“ und „Sturmhaube“ zugetragen haben. Wie der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) auf X mitteilt, haben Beteiligte an einer der Partys auch eine afrodeutsche Frau tätlich angegriffen, die sie auf ihr Gebaren angesprochen hatte. In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht nur wegen des Songs.



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