SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft Oskar Gröning vor, 1944 im Konzentrationslager Auschwitz das auf den Bahnrampen zurückgelassene Gepäck der Häftlinge mit weggeschafft und das dort entwendete Geld gezählt und in die SS-Zentrale nach Berlin geschickt zu haben. Bis Ende Juli sind 27 Verhandlungstage angesetzt. Gröning wird Stellung zur Anklage nehmen, hat sein Anwalt angekündigt.
70 Jahre nach der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau kann Gröning vor Gericht gestellt werden, weil die Justiz seit 2011 nicht mehr darauf besteht, eine direkte Beteiligung an den Morden nachzuweisen. Es reicht aus, dass ein Beschuldigter dazu beigetragen hat, die NS-Mordmaschinerie am Laufen zu halten.
Gröning wurde von Journalisten „Buchhalter von Auschwitz“ genannt. Laut Anklage war ihm bewusst, dass die als „nicht arbeitsfähig“ eingestuften überwiegend jüdischen Häftlinge unmittelbar nach Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. Durch seine Tätigkeit habe er „dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt“.
Aus rechtlichen Gründen wurde die Anklage auf die sogenannte „Ungarn-Aktion“ im Sommer 1944 beschränkt. Damals trafen in Auschwitz-Birkenau mindestens 137 Transporte aus Ungarn ein. Von den rund 425 000 Menschen in den Zügen wurden mindestens 300 000 in den Gaskammern ermordet.
Im Falle einer Verurteilung droht Gröning eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren. Frühere Ermittlungen gegen Gröning hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt im März 1985 eingestellt. Das nun neu angeklagte Verfahren beruht auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Sie hatten 2014 zu bundesweiten Durchsuchungen bei ehemaligen SS-Angehörigen geführt.
Die vierte große Strafkammer tritt in der Ritterakademie, einem eigens angemieteten Veranstaltungsort, als Schwurgericht zusammen. Das Medieninteresse ist groß. So wurden nach Angaben einer Sprecherin allein 23 Plätze für ausländische Journalisten reserviert. Unter den mehr als 60 Nebenklägern sind Holocaust-Überlebende und Angehörige von Opfern.
(dpa)
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