SPD-Fraktionsvize Wiese schlägt Migrationspolitik nach dänischem Vorbild vor

Bei Dänemarks Sozialdemokraten kam nach einem Paradigmenwechsel der Erfolg bei den Wählern zurück. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen will mehr Geld für Schutzzäune und Grenzkontrollen ausgeben.
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SPD-Vize-Fraktionschef Dirk Wiese sieht die Migrationspolitik der dänischen Parteifreunde ein Vorbild für Deutschland.Foto: Über dts Nachrichtenagentur
Von 15. Juni 2024

Obwohl die dänischen Sozialdemokraten um ihre Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei der Europawahl von 21,5 Prozent im Jahr 2019 auf 15,6 Prozent abgestürzt sind, will sich SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese nach dem Wahldebakel seiner Partei die dänische Schwesterpartei zum Vorbild nehmen. „Wir sollten uns den Kurs der nordischen Sozialdemokraten sehr genau anschauen“, zitieren Agenturen aus einem Exklusivinterview mit dem „Tagesspiegel“ (hinter Bezahlschranke).

Wahlerfolge dank neuem Kurs in Dänemark

Nicht alles dort sei eins zu eins in Deutschland umsetzbar oder wünschenswert. „Aber die Sozialdemokratie dort hat gerade in der Migrationspolitik einen Kurs eingeschlagen, der dazu geführt hat, dass sie wieder Wahlerfolge hat, und vor allem, dass sie radikale Parteien klein gehalten hat“, so Wiese.

Und weiter: „Wir müssen in der SPD ohne Scheuklappen darüber sprechen und von diesen Erfahrungen profitieren.“ Das sei für ihn selbstverständlich. Zugleich kritisierte er Aussagen des Juso-Vorsitzenden Philipp Türmer nach der Wahl. „Wir können nicht, wie der Juso-Chef jetzt vorschlägt, Probleme verschweigen, um bloß nicht rechten Narrativen hinterherzulaufen“, mahnte Wiese. Das sei die vollkommen falsche Schlussfolgerung aus dieser Wahl.

Wiese kritisierte auch die bisherige Aufarbeitung des Wahlergebnisses. „Wir können jetzt nach der Europawahl nicht sagen, das schlechte Wahlergebnis lag nur an schlechter Kommunikation“, sagte er. „Wir müssen wieder viel stärker die berufstätige Familie in den Blick nehmen, diejenigen, die jeden Morgen aufstehen und das Land mit am Laufen halten.“

Die Partei nehme die Sorgen der Menschen im Bereich Zuwanderung sehr ernst. Die meisten Menschen seien für Zuwanderung, wollten aber, dass der Rechtsstaat durchgesetzt werde“, glaubt Wiese.

Wiese: Unser Sicherheitsinteresse geht vor

„Sie haben die berechtigte Erwartungshaltung, dass diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten oder keinen Asylgrund haben, das Land wieder verlassen müssen.“ Das müsse die SPD künftig klarer benennen.

Zudem forderte er mehr Migrationsabkommen, um die Zahl der Abschiebungen weiter zu erhöhen, und ein Ende des grundsätzlichen Abschiebestopps nach Afghanistan. „Wer Kapitalverbrechen begeht, muss unser Land verlassen.“ Das Bundesinnenministerium arbeitet zurzeit daran. „Unser Sicherheitsinteresse geht vor“, sagte der SPD-Politiker.

2021 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt, so die Agenturen weiter. Der Gerichtshof legt das sogenannte Refoulement-Verbot in der Genfer Flüchtlingskonvention in Kombination mit dem Folterverbot in der Europäischen Menschenrechtskonvention so aus, dass nicht in Länder abgeschoben werden darf, in denen den Betroffenen Folter droht.

Restriktiver Kurs beim nordeuropäischen Nachbarn

Die dänischen Sozialdemokraten verfolgen in der Migrationspolitik einen restriktiven Kurs. Bereits 2018 rief die Partei die Einwanderungsinitiative „Fair und realistisch“ ins Leben, heißt es auf der Internetseite der nordeuropäischen Sozialdemokraten. Demnach solle das Land nicht mehr Ausländer aufnehmen, als es integrieren kann.

Auch habe die Partei dafür gesorgt, dass mehr Ausländer ohne rechtmäßigen Aufenthalt in Dänemark in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Zudem sei die Entwicklungshilfe umstrukturiert worden, „damit wir viel mehr Flüchtlingen in den Nachbargebieten der Welt helfen können“.

Die Bearbeitung von Asylanträgen müsse in Aufnahmezentren außerhalb der europäischen Grenzen verlagert werden. Als Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Ruanda genannt, das die Asylfälle in seinem Land bearbeitet.

Es müsse sichergestellt sein, dass ein kontrollierter Zustrom nach Dänemark stattfindet, „damit unsere Wohlfahrtsgesellschaft mithalten kann“. Außerdem wollen die Sozialdemokraten dafür sorgen, dass mehr Ausländer ohne Aufenthaltsrecht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden.

Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung kritisiert Kurswechsel

Der Kurswechsel der dänischen Sozialdemokraten stieß allerdings bei einer Analyse der deutschen SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung auf Kritik. So heißt es in einer 16-seitigen Analyse unter anderem, dass es keine Belege dafür gebe, dass der „dänische Weg“ dazu beigetragen habe, die Sozialdemokratie zu stärken, rechtsradikale Parteien zurückzudrängen oder Zuwanderung zu bremsen. Vielmehr habe die Taktik, rechte Positionen zu übernehmen, neue Probleme geschaffen.

Ab Seite 11 kommen die Autoren zu dem Schluss, dass in Dänemark „nativistisch-autoritäre“ Diskurse Teil der etablierten Politik geworden seien. Im kulturanthropologischen Sinne bedeutet Nativismus ein „betontes Festhalten an bestimmten Elementen der eigenen Kultur infolge ihrer Bedrohung durch eine überlegene fremde Kultur“.

Übertragen auf den Nachbarn Deutschlands heißt das aus Sicht der Autoren, dass Zuwanderung „ausschließlich als Gefahr für den dänischen Wohlfahrtsstaat, die Kultur und Sicherheit des Landes gesehen“ werde. Der Trend sei in Westeuropa feststellbar, Dänemark gehöre zu den Vorreitern. Der „Rechtsruck der Sozialdemokratie“ stehe aber kaum im Zusammenhang mit der „Schwächung der rechtsradikalen Dänischen Volkspartei“.

Dieser politische Kurswechsel fördere zudem das nativistische Klima in der Gesellschaft. Das erschwere die „dringend benötigte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte“. Diese würden sich eher für andere Länder entscheiden. In der „subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen“ gehöre Dänemark im Hinblick auf Willkommenskultur zu den Schlusslichtern in Europa (Seite 12).

Die „Zeit“ stimmte in einem Artikel vom November 2023 (hinter Bezahlschranke) in den Grundtenor der Analyse ein. So hätten die dänischen Sozialdemokraten Teile der rechten Rhetorik beim Thema Einwanderungspolitik übernommen. Die Wählerinnen und Wähler haben das bei den Wahlen im November 2022 honoriert. So holten die Sozialdemokraten damals mit 27,5 Prozent das beste Wahlergebnis seit 20 Jahren. Die Dänische Volkspartei, 2015 noch mit 37 Sitzen im Parlament vertreten, bekommt nur noch fünf.

Kritik an Migrationspakt und mehr Geld für den Schutz von Grenzen

Mitte April 2024 kritisierte Christel Schaldemose, die bei den EU-Wahlen Spitzenkandidatin der dänischen Sozialdemokraten war, den gut eine Woche zuvor von der EU verabschiedeten neuen Migrationspakt: „Ich bin zutiefst anderer Meinung und freue mich, dass dies kein Regierungsvorschlag ist“, zitiert sie die Onlinezeitung „Altinget“. Ihre Partei wie auch die Liberalen lehnten den Beschluss der Moderaten-Partei ab, gemäß dem EU-Beschluss 7.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen.

Am 7. Juni 2024, zwei Tage vor der Europawahl, berichtete der dänische öffentlich-rechtliche Sender DR über die Sicherheitsmaßnahmen für das Land, wie sie Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (SPD) vorschweben: Mehr Grenzzäune und eine der Stärkung der Frontex, der gemeinsamen Grenz- und Küstenwache der EU-Länder. Die EU müsse mehr Geld zur Verfügung stellen. Damit solle die ständige Reserve von Frontex statt der geplanten 10.000 Mitglieder (bis 2027) auf 20.000 verdoppelt werden. Geld soll auch in Grenzzäune und andere physische Barrieren fließen, um Migranten fernzuhalten, darauf wolle sie innerhalb der EU drängen, sagte die Sozialdemokratin.



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