SPD-Chefin Esken will 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Bildung

Die Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger lädt zu einem zweitägigen Bildungsgipfel ein. Schon im Vorfeld gibt es Kritik an einem Prämiensystem für Lehrkräfte. Die Union spricht von „blankem Hohn“ und erwartet keine Lösungen.
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Das Schulsystem steckt in einer tiefen Krise. 100 Milliarden Euro Sondervermögen sollen Abhilfe schaffen.Foto: iStocks/gpointstudio
Von 13. März 2023

Vor dem Bildungsgipfel der Bundesregierung (14./15. März 2023) hat sich die SPD-Chefin Saskia Esken für ein Sondervermögen für die Bildung ausgesprochen. 100 Milliarden Euro schweben der Sozialdemokratin vor. „Kein Bekenntnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen zur Kooperation“ könne „überdecken, dass erhebliche Finanzmittel notwendig sind, um einen wirksamen und durchschlagenden Bildungsaufbruch zu organisieren“, sagte Esken der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

Ein Umfang von 100 Milliarden Euro wäre „durchaus angemessen und denkbar“, sagte die SPD-Vorsitzende. Woher das Geld kommen soll, sagte sie allerdings nicht.

Damit könnten Bund, Länder und Kommunen die Gebäudesanierung und die zeitgemäße digitale Ausstattung finanzieren. Außerdem wäre Geld da für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildung und Betreuung im Kita- und Grundschulalter sowie die „Daueraufgabe gleicher Startchancen“, sagte Esken weiter. Auch Linken-Chefin Janine Wissler hatte ein Sondervermögen für die Bildung gefordert.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat für Dienstag und Mittwoch zu dem Gipfel geladen. Zwei Tage wollen Politiker über die aktuellen Herausforderungen der Bildungspolitik in Deutschland diskutierten. In der „Bild am Sonntag“ bescheinigte sie dem deutschen Schul- und Bildungssystem eine tiefe Krise und forderte weitreichende Reformen.

Viele Ressortchefs nehmen nicht teil

Offenbar sind die Erwartungen an den Gipfel nicht allzu hoch. Wie die „Welt“ berichtet, bleiben dem Treffen zahlreiche Ressortchefs aus den Ländern fern. Die dringlichsten Themen sind dem Bericht zufolge Lehrermangel und Defizite bei der Digitalisierung.

So fehlen bundesweit rund 50.000 Lehrkräfte, beklagt der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Um diesem Defizit entgegenzuwirken, will Stark-Watzinger „den Lehrerberuf attraktiver machen“. Dazu will sie die Zahl der Studienabbrecher im Lehramt senken und „mehr Lehrerinnen und Lehrer in den Beruf bringen“.

Locken will sie mit Geld: „Leistungsprämien sind heute schon vielfach möglich. Denkbar wäre auch, bei den Gehaltsstufen absolvierte Fortbildungen und die Unterrichtsqualität zu berücksichtigen. Das müssen die Länder entscheiden.“

Für ihre Prämien-Idee bekommt sie aber schon im Vorfeld des Gipfels Lob aus den eigenen Reihen, aber Gegenwind vom grünen Koalitionspartner.

„Auch für Lehrkräfte sollte sich gute Leistung auszahlen. Leistungsgerechte Vergütung steigert die Attraktivität des Berufes und die Qualität des Unterrichts“, zitiert die „Welt“ Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.

Fokus auf bessere Arbeitsbedingungen richten

Bessere Arbeitsbedingungen statt mehr Geld fordert hingegen Kai Gehring (Grüne): „Die Bezahlung von Lehrkräften hierzulande ist im internationalen Vergleich sehr gut“, meint der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag.

Bei Leistungsprämien ergäben sich zahlreiche ungelöste Fragen. Diese reichten von Kriterien und Messung über Rolle der Schulleitung bis zu Folgen für Kollegien. „Darum rate ich Bund, Ländern und Kommunen, sich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fokussieren.“

Auch die Opposition sieht den FDP-Vorstoß kritisch: „Bisher kenne ich als einzigen Vorschlag zu den Problemen unseres Bildungssystems Leistungsprämien für Lehrkräfte. Das aber ist originäre Ländersache und lenkt nur von den wahren Problemen und Verantwortlichkeiten ab“, meint Nadine Schön, Vizevorsitzende der CDU-Fraktion.

Ein Prämiensystem stößt auch beim Verband Bildung und Erziehung auf Ablehnung: „Leistungsprämien sind in der Breite des Berufsfeldes nicht sinnvoll. Zum einen fehlen objektive Kriterien und zum anderen setzen sie falsche Anreize, wenn zum Beispiel die Abschlussquote entlohnt werden soll. Dann bin ich als Lehrkraft immer besser damit beraten, nicht an Schulen in herausfordernden Lagen zu unterrichten. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen“, betonte VBE-Chef Gerhard Brand.

Es sollten stattdessen bessere Möglichkeiten geschaffen werden, die kontinuierliche Übernahme von Aufgaben zu entlohnen. Brand spricht sich für Aufstiegsmöglichkeiten an allen Schulen aus. Auch die Erhöhung von Stundenkontingenten, um Lehrkräften mehr Zeit für besondere Aufgaben zu gewähren, schlägt er vor.

Mehr Kompetenzen für die Schulen vor Ort

Nach den Vorstellungen der Ampel-Fraktionen muss sich die Zusammenarbeit im Föderalismus verbessern: „Wir brauchen zwischen Bund und Ländern ein Kooperationsgebot statt eines Kooperationsverbots. Alle Akteure müssen eng zusammenarbeiten können, um die Herausforderungen des Bildungswesens anzugehen. So sind vor allem bundesweit einheitliche Qualitätsstandards essentiell“, erläuterte FDP-Bildungsexpertin Schröder.

Gleichzeitig brauche es „eine Kompetenzverlagerung an die Schulen vor Ort. Diese brauchen Entscheidungsfreiheit und Ressourcen, um nicht bei jedem neuen Tablet in Bürokratie zu ersticken“. Schröder fordert verpflichtende Fortbildungen für das digitale „Update“ im Klassenzimmer.

Für die Administration und Fehlerbehebung bei digitalen Endgeräten sollten IT-Fachkräfte den Schulen zur Verfügung stehen. Lehrer müssten von Bürokratie befreit und Unterstützung von „multiprofessionellen Teams“ bekommen.

Einen „Aufbruch“ für Schulen in benachteiligten Lagen, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, den Digitalpakt 2.0 und den Pakt für die Berufsschulen sowie für die vereinbarte ständige Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen verlangt SPD-Fraktionsvize Sönke Rix vom Gipfel. „Ich hoffe sehr, dass der Bildungsgipfel nicht bloß eine reine PR-Veranstaltung wird, sondern die Ministerin konkrete Finanzzusagen für diese Vorhaben mitbringt“, betont Rix.

Der grüne Abgeordnete Gehring fordert eine „Übereinkunft für eine neue, gesamtstaatliche bildungspolitische Kraftanstrengung“. So müsse der Bildungsföderalismus „kooperativer und zielgerichteter“ ausgestaltet werden.

CDU: Unverbindliches Treffen an der Talstation

„Blanker Hohn“ ist der Gipfel in den Augen der Christdemokratin Nadine Schön. Sprechen könne man „allenfalls von einem unverbindlichen Treffen an der Talstation, um gemütlich über den Aufgabenberg zu reden“. Im Vorfeld seien keine klaren Ziele formuliert worden. „Es gibt weder ein klares Agendasetting, noch erwarte ich am Dienstag Lösungen für die mannigfaltigen Herausforderungen des Bildungssystems“, sagte sie.

Nicole Gohlke, Vizechefin der Linken-Fraktion, verlangt „zackiges“ Handeln statt „markiger Sprüche. Schicke Ziele zu setzen, um deren Umsetzung wieder ein ewiges Gezeter zwischen Bund und Ländern ausbricht, können wir uns nicht leisten. Diese Zeit hat das Bildungssystem nicht mehr, wenn wir das Ruder noch herumreißen wollen“, meint sie.

„Ohne eine Einstellungs- und Sanierungsoffensive brauchen wir über Digitalisierung gar nicht erst zu reden. Bund und Länder müssen hier gemeinsam in die Schatullen greifen, statt sich weiter gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben“, so der schulpolitische Sprecher der AfD, Götz Frömming.

Dabei warnte er vor einer „weiteren Schleifung des Bildungsföderalismus“. Der Bund habe „weder rechtlich noch fachlich die Kompetenz, um bessere Lösungen für die Probleme im Schulwesen anzubieten“.

Lehrer von Verwaltungsaufgaben entlasten

VBE-Chef Brand fordert „dringend spürbare Entlastungen von Verwaltungsaufgaben und allem, was nicht den originären Unterricht betrifft“, um die Lehrerinnen und Lehrer „im System gesund zu halten“. Sie bräuchten Unterstützung durch multiprofessionelle Teams für eine individuelle Förderung sowie Gesundheits- und Verwaltungsfachkräfte neben zusätzlichen Finanzmitteln.

„Wenn ihnen keine Perspektive geboten werden kann, dass es wieder besser werden wird, wird es auf Dauer immer schwerer, sie zu motivieren, Mehrarbeit zu leisten“, warnte Brand. Der VBE-Vorsitzende lobt zwar den Bildungsgipfel, hält aber die Verständigung auf Länderebene in der Kultusministerkonferenz weiterhin für essenziell.

Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen 8.000 Lehrkräfte

Bundesweit meldeten die Kultusministerien Ende Januar 2023 exakt 12.341 unbesetzte Stellen. Das vermeldete das „Deutsche Schulportal“  der Robert Bosch Stiftung mit Verweis auf eine Umfrage des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND).

So gebe es im Saarland, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Bayern keine Lücken. Das hessische Kultusministerium berichtete gar von einem Überangebot. Am massivsten ist der Mangel im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort fehlen mehr als 8.000 Lehrkräfte. In Schleswig-Holstein sind es mehr als 200, in Sachsen-Anhalt und Berlin mehr als 800 und in Sachsen, Baden-Württemberg und Niedersachsen mehr als 400.

Situation hat sich deutlich verschärft

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, nannte die Zahlen geschönt. Seiner Einschätzung nach liegt die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland zwischen 32.000 und 40.000, während der VBE von rund 50.000 spricht.

In vielen Bundesländern würden Stunden am Anfang des Schuljahres je nach Lehrermangel gestrichen, sodass der Bedarf nur auf dem Papier gedeckt sei. In manchen Ländern würden auch Eltern oder andere Nicht-Pädagogen als sogenannte Schulhelfer eingesetzt und in der Statistik als Lehrkräfte verrechnet.

Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern zu Beginn des Schuljahres 2022/23. Unterrichtsausfall gleich zu Beginn des Schuljahres sei bereits Tatsache. Größere Lerngruppen, Zusammenstreichen von Förderangeboten, Kürzung der Stundentafel und vieles mehr, sagte im Sommer vergangenen Jahres der damalige Vorsitzende des VBE, Udo Beckmann.

 



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