Sondierungspapier steht: Wie Schwarz-Rot Deutschland gestalten will

Über etwas mehr als eine Woche hinweg hatten Union und SPD verhandelt, am Samstag, 08.03., konnten sie ihr Sondierungspapier präsentieren. Dieses soll nun zur Grundlage der Koalitionsgespräche werden, die Details zu den bisherigen Vereinbarungen erarbeiten und noch gänzlich offene Fragen klären sollen.
Das Papier, auf das sich die Parteien geeinigt haben, will einen Eindruck davon geben, wie die beiden traditionellen Volksparteien „Stabilität und Aufbruch“ in Deutschland gewährleisten wollen. Allein in den ersten drei Absätzen des Papiers kommt zweimal das Wort „Ukraine“ vor. Die übrigen Ausführungen befassen sich jedoch vorrangig mit geplanten Maßnahmen für Deutschland.
Sondierungspapier lässt teilweise Distanz zu grünen Einflüssen erkennen
Zentral für das Papier sind Bekenntnisse dazu, den sozialen Zusammenhalt zu festigen und der Polarisierung entgegenzuwirken. Dazu will man vor allem in der Energiepolitik und bei der Migration, die zu den wesentlichsten Faktoren dafür gehören, substanzielle Veränderungen erreichen. Die arbeitende Mitte will beide Parteien entlasten, die Wirtschaft soll wieder Perspektiven zur Überwindung der Stagnation haben.
In der Energiepolitik bildet sich zumindest in Teilbereichen die Nichtbeteiligung der Grünen ab – auch, wenn die Klimaziele des Landes als solche nicht infrage gestellt werden. Protektionsmaßnahmen für „klimaneutrale“ Produkte und der Rückgriff auf Subventionen, um gewünschte Industrieansiedlungen zu erleichtern, hatte zwar auch schon Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mitgetragen. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale stieß in den Reihen jedoch regelmäßig auf Widerstände.
Auch die von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir abgeschaffte Agrardiesel-Rückvergütung kommt wieder. Dies stellt einen wichtigen Erfolg für die Union dar. Außerdem will die schwarz-rote Koalition künftig massiver gegen die drohenden Strafzahlungen aufgrund der EU-Flottengrenzwerte auftreten.
Mittelschicht soll bei Strompreisen und Steuern entlastet werden
Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid sollen auch in Deutschland selbst stattfinden können, vor allem für schwer vermeidbare Emissionen. Ob die Verwendung der Technologie zur Energieerzeugung auch in Deutschland angedacht ist, etwa im Bereich der Biomasse, bleibt offen. In der Zeit der grünen Regierungsbeteiligung war lediglich an einen Export gespeicherten Kohlendioxids – beispielsweise nach Norwegen – gedacht.
Der Strompreis soll durch die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde sinken. Die Übertragungsnetzentgelte will man halbieren und dauerhaft deckeln. Der Netzausbau soll zügiger vonstattengehen, die Strompreiskompensation für energieintensive Branchen will die künftige Regierung verlängern. Eine überarbeitete Kraftwerksstrategie soll bis 2030 eine zusätzliche Leistung von bis zu 20 Gigawatt bringen.
Die breite Mittelschicht will die Ampel durch eine Einkommenssteuerreform entlasten. Kaufanreize für E-Autos sollen wiederkommen. Eine Senkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent soll Restaurantbesuche wieder leistbarer machen.
Union setzt sich bei Bürgergeld durch – SPD bei der Rente nach 45 Beitragsjahren
Weitgehend durchgesetzt hat sich die Union im Bereich des Bürgergeldes, das zu der von ihr geforderten „neuen Grundsicherung“ umgestaltet werden soll. Für arbeitsfähige Bezieher soll die Vermittlung in Arbeit wie bereits im Hartz-IV-System unbedingte Priorität haben. Weiterbildung soll nur dort vorgesehen sein, wo es Vermittlungshemmnisse gibt.
Die wiederholte Verweigerung zumutbarer Arbeit soll auch die vollständige Streichung des Leistungsbezugs ermöglichen – sofern das Bundesverfassungsgericht dies zulässt. Generell wolle man soziale Leistungen besser aufeinander abstimmen. Dies soll unter anderem verhindern, dass der Verlust von Wohngeld oder Kinderzuschlägen durch Arbeitsaufnahme Menschen ärmer macht.
Bei der Rente erzielte die SPD einen wichtigen Erfolg, indem sie den Erhalt des abschlagsfreien Renteneintritts nach 45 Beitragsjahren durchsetzte. Die Union erhält im Gegenzug die Zusage steuerlicher Anreize für Erwerbstätigkeit nach Renteneintritt und höhere Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente.
Für neue Selbstständige könnte es jedoch knüppeldick kommen: Sie sollen künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Bis dato waren nur Selbstständige pflichtversichert, die einem beruflichen Versorgungswerk unterliegen oder kraft Gesetzes versicherungspflichtig sind – etwa im Bereich der Künstlersozialkasse.
SPD sperrt sich nicht mehr gegen Zurückweisung an Grenzen
Am schwierigsten gestalteten sich unterdessen die Gespräche zum Thema Migration, und hier mussten beide Seiten Maximalforderungen aufgeben. Eine Zurückweisung auch Asylsuchender an den Staatsgrenzen soll künftig möglich werden. Ob dazu auf die von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz angemahnte Berufung auf Artikel 72 AEUV herangezogen wird, kommt nicht zum Ausdruck.
Man wolle die Zurückweisung jedoch „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ vornehmen. De facto will man auf diese Weise einen Dominoeffekt bewirken: Um gar nicht erst die Verantwortung für Asylsuchende übernehmen zu müssen, die Deutschland zurückweist, sollen die Nachbarländer diese ebenfalls gar nicht erst einreisen lassen.
Die SPD hatte diese Praxis stets als verfassungs- und EU-rechtswidrig abgelehnt. Vor allem, wenn ein Asylsuchender die Grenze bereits überschritten hat und Asyl beantragt, müsste nach geltender Rechtslage ein Verfahren stattfinden – und es sei nur zur Klärung, wer für das Asylverfahren zuständig sei. Nun ist man offenbar bereit, es auf mögliche Verfahren in Karlsruhe oder vor dem EuGH ankommen zu lassen. In der Sondierungsvereinbarung heißt es:
„Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.“
Situation in Syrien könnte Abschiebungen erschweren
Weitgehenden Konsens gab es über das Ende sogenannter freiwilliger Aufnahmeprogramme wie jenes für sogenannte Ortskräfte in Afghanistan. Man werde solche „so weit wie möglich“ beenden und keine neuen auflegen. Bereits seit 2021 waren etwa 36.000 afghanische Staatsangehörige im Rahmen solcher Programme nach Deutschland gekommen. Für mehr als 3.000 gibt es Berichten zufolge noch eine aufrechte Aufnahmezusage.
Den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten will das künftige Kabinett befristet aussetzen. Derzeit ist die Visavergabe in diesem Bereich auf 1.000 Fälle pro Monat beschränkt. Ein vollständiger Ausschluss ist rechtlich nicht möglich. Subsidiäre Schutzberechtigte sind Asylsuchende, deren Antrag auf Asyl rechtskräftig abgelehnt wurde, deren Abschiebung jedoch rechtliche, humanitäre oder faktische Hemmnisse entgegenstehen.
In den meisten Fällen sind es kriegerische Auseinandersetzungen oder fehlende diplomatische Beziehungen, die eine Aufenthaltsbeendigung unmöglich machen. Künftig will man im Rahmen einer „Rückführungsoffensive“ auch wieder nach Syrien oder Afghanistan abschieben. Zudem möchten die Regierungsparteien sich um weitere Migrationsabkommen bemühen. Die jüngsten Entwicklungen in Syrien könnten das Vorhaben erschweren. Gerichte könnten mit Blick auf die neuerliche Eskalation der Gewalt Abschiebungen dorthin untersagen.
Sondierungspapier lässt Themen wie Cannabis oder Kernkraft offen
Demgegenüber verteidigte vor allem die SPD erfolgreich ihre Reform des Staatsbürgerschaftsrechts – inklusiver kürzerer Wartezeiten und des Doppelpasses für Nicht-EU-Bürger. Allerdings sollen diese den Extremisten oder Antisemiten leichter entzogen werden können.
Auch die Fachkräfteeinwanderung soll erleichtert werden. Dies soll vor allem Digitalisierung und eine verbesserte Anerkennungspraxis bei Berufsabschlüssen ermöglichen. Hingegen wird das Aufenthaltsgesetz künftig wieder nicht mehr nur der „Steuerung“, sondern auch der „Begrenzung“ des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland dienen.
Einige Punkte sind im Papier noch gar nicht angesprochen. Dazu gehören etwa die Teillegalisierung von Cannabis oder der von der Union angestrebte Wiedereinstieg in die Kernkraft. Allerdings scheinen das keine Punkte mehr zu sein, die das Koalitionsvorhaben insgesamt vereiteln könnten.
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