Solingen: Angebliches Bekennervideo geht viral – Asyl- und Sicherheitsdebatte entbrannt
Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern am Freitagabend verüben konnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will heute in Solingen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) der Opfer der Messerattacke gedenken. Bei einem Straßenfest in der Stadt im Bergischen Land waren auch acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Ein 26-jähriger tatverdächtiger Syrer sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft – unter anderem wegen Mordverdachts und wegen des Vorwurfs, der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzugehören.
Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Sondersitzung des Innenausschusses für diese Woche beantragt.
Angebliches Bekennervideo
Die Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich und veröffentlichte zwei Tage nach dem Anschlag von Solingen ein angebliches Bekennervideo. In den Sozialen Netzwerken geht es viral. Es soll den mutmaßlichen Attentäter zeigen, der es angeblich im Vorfeld aufgenommen hat, auf Arabisch unter anderem Allah beschwört und mit einem großen Messer oder Schwert herumfuchtelt.
Laut Medienberichten ist das Video auch den deutschen Ermittlern bekannt. Demnach herrscht Unsicherheit darüber, ob es sich auf den Bildern wirklich um den verdächtigen Syrer handelt, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt. Der Mann auf dem Video ist fast komplett vermummt.
Auf dem Video ist das Logo und der Schriftzug „Amaq News“ zu sehen, eine Marke, die sich als Sprachrohr der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) bezeichnet. Weil Amak aber in der Vergangenheit immer wieder seine Ausspielwege geändert hat, ist die Authentizität generell nicht zu überprüfen.
In einem Begleittext steht, der Anschlag von Solingen sei unter anderem Rache für die Toten im Gazastreifen, aber auch für andere Muslime, und es wird auf den Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 Bezug genommen. Auch damals hatte der IS den Anschlag für sich reklamiert. 13 Menschen kamen damals ums Leben, der Täter Anis Amri konnte zunächst entkommen und wurde später bei einer Routinekontrolle in Norditalien von Polizisten in Notwehr erschossen.
Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden
Wie der „Spiegel“ berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden dpa bestätigt. Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt.
Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland abgetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die „Welt“.
Seither melden sich Politiker und Parteien mit verschiedenen Vorschlägen zur Migrationspolitik zu Wort. Hintergrund für die politischen Ankündigungen dürften auch die im September anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sein. Politiker in Ampel und Union befürchten ein weiteres Ansteigen der dort ohnehin hohen Zustimmungswerte zu Parteien wie der AfD oder des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW).
Sondersitzung des Innenausschusses beantragt
Die CDU/CSU-Fraktion will, dass der Innenausschuss in den nächsten Tagen zusammenkommt. „Die Unionsfraktion hat am Sonntag noch eine Sondersitzung des Innenausschusses für diese Woche beantragt“, sagte Unions-Innenpolitikerin Andrea Lindholz am Montag den Sendern RTL und ntv.
Man wolle Antworten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) haben. Das müsse mit Blick auf Solingen und den Mord an einem Polizisten in Mannheim vor wenigen Wochen geschehen. „Was Ihre Antworten auf diese Taten sind, muss die Innenministerin im Innenausschuss erklären.“ Seit Wochen stehe schließlich die Ankündigung im Raum, dass auch nach Syrien und Afghanistan abgeschoben werden soll.
Wüst fordert Aufarbeitung in Behörden
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst fordert eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. Im ZDF-„heute journal“ sagte Wüst: „Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch.“
Wie die „Welt“ unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, hatte Bulgarien der Abschiebung aus Deutschland zugestimmt und die Zuständigkeit für den dort registrierten Syrer anerkannt. Die Ausländerbehörde Bielefeld wollte demnach den Syrer anschließend unangekündigt zur Abschiebung abholen. Als dieser nicht angetroffen wurde, habe die Behörde aber „nichts weiter unternommen“.
Falls diese es mehrfach versucht hätte, wäre der Syrer als untergetaucht oder flüchtig eingetragen worden – was es möglich gemacht hätte, seine Überstellungsfrist von den üblichen sechs Monaten auf 18 Monate zu verlängern. Dies sei aber nicht geschehen, wegen des nur einmaligen Versuchs, ihn abzuholen, sodass die Überstellungsfrist am 20. August 2023 auslief, schreibt die „Welt“ weiter. Folglich ging, wie es meist der Fall ist, die Zuständigkeit für den Asylantrag des Syrers von Bulgarien auf Deutschland über, wo er dann, wie üblich, als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt wurde, heißt es.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung „Caren Miosga“, untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. „Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung.“ Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren richtig sind, ausreichend sind, übertrieben sind, sagte Reul.
Merz: Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan
CDU-Chef Friedrich Merz forderte unterdessen einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter „MerzMail“ schrieb er: „Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.“
Im ARD-Brennpunkt sagte Merz: „Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen.“
Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. Der „Rheinischen Post“ sagte er: „Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden.“ Der Anschlag von Solingen zeige erneut „schmerzhaft die Konsequenzen dieses Kontrollverlustes“, sagte Spahn. „Die deutschen Grenzen müssen für irreguläre Migration geschlossen werden.“
Kanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.
SPD-Chefin Esken: Aufnahmestopp mit Gesetzen nicht vereinbar
SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz‘ Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt „mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung“. Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle fordert eine schärfere Asylpolitik. „Soweit es sich zum jetzigen Zeitpunkt sagen lässt, hätte der Täter nach der Ablehnung seines Asylantrags längst aus Deutschland abgeschoben werden müssen“, sagte Kuhle der „Rheinischen Post“. „Zwischen Bund und Ländern darf nach Solingen in dieser Frage kein Stein auf dem anderen bleiben.“
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach eine Ausweitung von Befugnissen der Sicherheitsbehörden an. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen „gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden“, sagte er im ZDF-Sommerinterview. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar. (dpa/afp/red)
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