Silvesterkrawalle: Berliner Justizsenatorin hält bisher kein einziges Verfahren für „anklagefähig“
Das Thema der Silvesterkrawalle in der Hauptstadt beschäftigte gestern den Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Hier erklärte Lena Kreck, (Die Linke), Berliner Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, dass der Fokus bei der Bearbeitung der Strafverfahren vor allem auf den Fällen liegt, „bei denen es um gewalttätige Übergriffe auf Polizei- und Rettungskräfte geht“.
Kein einziger Fall sei vollkommen ausermittelt. „Wir haben in großem Maße Verfahren gegen unbekannt und nach meiner Kenntnis ist kein einziges Verfahren anklagefähig“, gesteht die Senatorin ein.
Derzeit liegen, laut Kreck, der Berliner Staatsanwaltschaft 33 Verfahren vor, von denen sich mindestens neun gegen „unbekannt“ richten. Bei weiteren acht dieser 33 Fälle könnte dies auch der Fall sein, aber dies muss sie erst noch einmal verifizieren.
„Kein neues oder berlintypisches Phänomen“
Auch das „Neuköllner Modell“ und damit verbunden auch die Hoffnung auf eine schnelle Strafverfolgung waren Thema. Nachdem die Senatorin im Rechtsausschuss darauf eingegangen war, gab die Berliner Strafjustiz heute, dem 12.01.2023, dazu eine schriftliche Stellungnahme ab.
In der Erklärung heißt es: Die Ereignisse der Silvesternacht würden ein ungeahntes und nicht hinnehmbares Maß an Aggressivität gegenüber ausgerechnet denjenigen zeigen, deren Ziel und Aufgabe es sei, für die Sicherheit aller Bürger Berlins zu sorgen. „Die Aufgabe der Berliner Strafjustiz ist es, auf das bei den Ausschreitungen gezeigte strafbare Verhalten angemessen zu reagieren.“
Zum nun „viel diskutierten“ „Neuköllner Modell“ erklärt man: Dieses Modell sei ein Unterfall des vereinfachten Jugendverfahrens und trage seit Jahren dazu bei, dass in Jugendstrafverfahren die Strafe „auf dem Fuße“ folge und damit dem Erziehungsgedanken Rechnung getragen würde.
Allerdings würde sich dieses Modell und das vereinfachte Jugendverfahren nur für Jugendliche eignen, die wegen eines einfachen Sachverhalts der einfachen bis mittleren Kriminalität beschuldigt werden.
„Sobald umfangreichere Ermittlungen erforderlich werden, ist es rechtsstaatlich nicht zulässig, kurzfristige Hauptverhandlungen auf Kosten sorgfältiger Ermittlungen und unter Verkürzung der strafprozessualen Rechte der Beschuldigten durchzuführen.“
Bei den Silvestervorkommnissen handele es sich weder um ein neues, noch um ein berlintypisches Phänomen, so die Berliner Strafjustiz weiter. Die Vorkommnisse würden eine mannigfaltige Problematik aufwerfen und „soziale und bildungspolitische Fragen“ aufwerfen.
In Fällen des vereinfachten Jugendverfahrens liegen zwischen Anzeigenerstattung und Urteil etwa vier bis acht Wochen, heißt es. In den Jahren 2018 bis 2022 würden 7.384 solcher vereinfachter Jugendverfahren, zu denen auch die Verfahren nach dem „Neuköllner Modell“ gehören, durchgeführt.
Bei der Rechtsausschusssitzung erklärte Justizsenatorin Kreck, dass es im Jahr 2022 insgesamt 63 Verfahren nach dem sogenannten „Neuköllner Modell“ gab. Sie versprach, dass durch die Konzentration der Verfahren in einer Schwerpunktabteilung eine schnelle und einheitliche Bearbeitung erfolgen würde.
Insgesamt gab es in der Silvesternacht in Berlin:
- 69 Angriffe auf Feuerwehrleute, davon wurden 53 bislang zur Anzeige gebracht
- 11 Beschädigungen an Feuerwehr-Fahrzeugen (über 30.000 Euro Schaden)
- 49 von der Polizei registrierte Angriffe auf ihre Beamte, mit 37 ermittelten Tatverdächtigen
- die Aufnahme von mehr als 100 Strafanzeigen
- 26 beschädigte Polizeifahrzeuge, neun davon sind Totalschäden
- 47 verletzte Beamten, davon wurden 14 ambulant behandelt und 5 traten vom Dienst ab
- 145 Festnahmen von Tatverdächtigen
- 18 verschiedene Nationalitäten unter den Festgenommenen
- 45 Verdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit sowie
- 27 Verdächtige mit afghanischer Nationalität und 21 Syrer
AfD-Politiker: Ausweisungen gem. § 53 AufenthG muss geprüft werden
Für Marc Vallendar, rechtspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sei die Ausweitung des Neuköllner Modells in der Strafjustiz wünschenswert. Mit gerade mal 63 Verfahren im Jahr 2022 komme es immer noch zu selten zur praktischen Anwendung. „Den Ausschreitungen an Silvester muss aber weitreichender begegnet werden“, so Vallendar gegenüber Epoch Times.
Er fordert bei ausländischen Tätern die Prüfung, ob eine Ausweisung gem. § 53 AufenthG anwendbar sei. „Auch die Strafermittlung von Tätern, mit Bodycams, verdeckter Ermittler und so weiter, muss verbessert werden.“ Zu viele Verfahren würden wegen Mangel an ergriffenen oder bekannten Tatverdächtigen derzeit eingestellt. Ein Abschreckungseffekt der Strafjustiz könne so nicht erreicht werden.
Alexander Herrmann (CDU) zeigte sich in der Rechtsausschusssitzung empört. Menschen, die anderen Menschen helfen wollen, wurden attackiert. Das sei Staatsverachtung in Reinkultur und für ihn bürgerkriegsähnlich.
Grünen-Politikerin: Mehr über toxische Männlichkeit sprechen
Zuvor hatte Frau Dr. Bahar Haghanipour (Grüne) Richtung Herrmann die Verwendung des Begriffs „Bürgerkriegsähnlich“ im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen kritisiert. Sie appellierte an das Parlament, mit Bedacht die Worte zu wählen und nicht die Silvesternacht mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, also mit bewaffneten Konflikten im Jemen, Somalia, Syrien oder Äthiopien zu vergleichen.
Sie verwies darauf, dass bekannt sei, dass ganz überwiegend von Männern die Taten ausgeführt wurden. Ihr scheine es, als habe man sich daran gewöhnt, dass Männer aggressiveres Verhalten zeigen würden als Frauen, sodass man das gar nicht mehr thematisiere oder als problematisch wahrnehme. „Weil das ja schon immer so war.“
Man müsse mehr über toxische Männlichkeit sprechen, also ein traditionell aggressives Männlichkeitsbild, und dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem sei.
Linken-Politikerin: „Beschuldigte sind Berliner, egal welche Vornamen sie haben“
Elif Eralp (Die Linke) kritisierte die Berliner CDU für ihren im Innenausschuss eingereichten Antrag zur Auskunft über die Vornamen der im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen festgestellten Tatverdächtigen. Sie nimmt auch Bezug zu der Aussage von Friedrich Merz (CDU) bei „Markus Lanz“: Es gebe ein Problem mit einer kleinen Gruppe von Ausländern. „Das sind überwiegend Jugendliche aus dem arabischen Raum, die nicht bereit sind, sich hier an die Regeln zu halten, die Spaß daran haben, diesen Staat herauszufordern.“
Für Eralp sei daher der Berliner Wahlkampf der CDU ein wirkliches Armutszeugnis und eine Instrumentalisierung des Themas. Als Koalition sei man sich „völlig einig“, dass dieser Einschlag der Debatte „hier von uns allen abgelehnt wird“. „Die Beschuldigten sind Berliner, egal welche Vornamen sie haben.“
Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Florian Dörstelmann, warb im Rechtsausschuss für Giffeys Ankündigung einer konzertierten Aktion gegen Jugendgewalt, die Schaffung von mehr Respekt in der Stadt und der Gesellschaft insgesamt. Zudem brauche man eine intensivierte Sozialarbeit – „auch mit den Elternhäusern dieser jungen Gewalttäter“. Und man brauche eine gestärkte außerschulische Jugendsozialarbeit sowie Orte für Jugendliche, „wo sie aus ihrem Milieu herauskommen können“. Als letzten Punkt nannte er „konsequente Strafen“.
Justizsenatorin: „Im Jahr 2022 insgesamt 63 Verfahren“
In der Stellungnahme der Berliner Strafjustiz heißt es weiter: Das seit Jahren „erfolgreich praktizierte“ „Neuköllner Modell“, stehe für die Forderung nach einer Zusammenarbeit anderer Einrichtungen mit Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Dies wären Schlüsselinstitutionen, „die durch Bildungsangebote, Integrationsprojekte und Kinder- und Jugendarbeit eine diskriminierungsfreie Teilhabe von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden in der Gesellschaft ermöglichen sollen“.
Kreck erklärt dazu: Jenseits der erforderlichen Strafverfolgung müsse die ressortübergreifende präventive Arbeit insbesondere mit Kindern und Jugendlichen in den Fokus genommen werden.
Margarete Koppers, Berliner Generalstaatsanwältin, betont, dass die Reaktion der Justiz nicht das Allheilmittel zur Verhinderung neuer Straftaten darstellt. Die einen Rechtsstaat auszeichnende Strafverfolgung umfasse eine Verfahrensführung, die mit der bestmöglichen Beschleunigung, aber auch der erforderlichen Sorgfalt, zu fairen, durchdachten Einzelfallentscheidungen führe. „Die Forderung nach lediglich ‚schneller‘ und ‚konsequenter‘ Strafverfolgung verkürzt diese Anforderungen in besorgniserregender Weise.“
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