Selenskyj: Putin muss diesen Krieg „persönlich“ verlieren

Kurz nach Kriegsbeginn hatte sich der ukrainische Präsident per Video an den Bundestag gewandt und mangelnde Hilfe beklagt. Jetzt hält er dort live eine ganz andere Rede.
Titelbild
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag.Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Epoch Times11. Juni 2024

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Deutschland für die bisherige Unterstützung im Kampf gegen Russland gedankt und eindringlich um anhaltenden Beistand gebeten.

„Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert“, sagte er in einer Rede im Bundestag. Der russische Präsident Wladimir Putin stehe „alleine gegen uns alle“, fügte er hinzu. „Und eben deshalb müssen wir alle gemeinsam Russland dazu zwingen, sich zu ändern. Und das ist möglich, denn es gibt keine Mauern, die nicht fallen.“

Weiterhin führte er aus: „Das geteilte Europa war niemals friedlich. Und das geteilte Deutschland war niemals glücklich. Sie können verstehen, warum wir so hart gegen die Versuche Russlands kämpfen, uns zu spalten, die Ukraine zu teilen. Warum wir alles tun, um eine Mauer zwischen Teilen unseres Landes zu verhindern“.

Ein oder zwei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer habe niemand dieses historische Ereignis voraussehen können. „Manchen schien, dass die Mauer für immer bleibt, aber die Mauer verschwand“, sagte Selenskyj. „Und das hing von der Führung der Politiker und vom Willen der Menschen ab.“ Heute scheine es vielen so, dass kein Ende des Krieges in der Ukraine in Sicht sei. Dies sei aber eine Illusion, die zerstört werden könne.

Weiter sagte der Präsident: „Wir werden diesen Krieg beenden im Interesse der Ukraine und im Interesse von ganz Europa, von uns allen“. Und: „Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden.“

Der Krieg müsse so beendet werden, dass kein Zweifel bestehe, wer gesiegt habe, sagte Selenskyj, der immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Russland müsse für die Entfesselung des Krieges die volle Verantwortung übernehmen. „Russland muss für den ganzen Schaden zahlen, der durch diese Aggression verursacht wurde.“

„Der Diplomatie eine Chance geben“

Selenskyj betonte aber auch, dass er nicht nur auf das Militär setzen will, um zu Frieden in seinem Land zu kommen. Mit Blick auf die Friedenskonferenz in der Schweiz am nächsten Wochenende sagte er: „Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben und haben etwa 100 Staaten versammelt. Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt.“

Russland ist zu der Konferenz allerdings nicht eingeladen, China hat abgesagt. Scholz zeigte sich nach einem Treffen mit Selenskyj trotzdem optimistisch, dass es bei dem Treffen Fortschritte geben kann. „Vielleicht kann ein Weg aufgezeigt werden, wie ein Einstieg in einen Prozess gelingen könnte, bei dem eines Tages auch Russland mit am Tisch sitzt.“

Erste Selenskyj-Rede 2022

Selenskyj hatte bereits am 17. März 2022, drei Wochen nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine, zu den Bundestagsabgeordneten gesprochen. Damals wurde er aber per Video von Kiew aus in den Plenarsaal zugeschaltet und flehte den Bundeskanzler geradezu um mehr militärische Unterstützung an: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“

Keine Forderungen mehr nach Taurus

Inzwischen hat Deutschland unter anderem Kampfpanzer, Luftabwehrsysteme und weitreichende Artillerie geliefert und ist der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine nach den USA, was die militärische und finanzielle Hilfe angeht. Dafür bedankte sich Selenskyj ausdrücklich.

Besonders bedankte er sich bei Kanzler Scholz für die zuletzt zugesagten Patriot-Abwehrsysteme, die Tausende Leben retten würden. Forderungen nach weiteren Waffensystemen wie etwa nach Taurus-Marschflugkörpern waren von Selenskyj während seines nun schon dritten Berlin-Besuchs seit Kriegsbeginn auch auf Nachfrage in einer Pressekonferenz mit Scholz nicht zu hören.

Minutenlanger stehender Applaus

Im Bundestag wurde der ukrainische Präsident von den Abgeordneten mit lang anhaltendem Beifall begrüßt. Er kam an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Plenarsaal. Auch Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem Kabinett nahmen an der Sitzung teil. Vor dem Rednerpult, auf den Plätzen der Parlamentsstenografen, lagen drei große Blumengestecke in den ukrainischen Farben Blau und Gelb.

BSW und fast alle AfD-Abgeordneten boykottieren Selenskyj-Rede

Die Parlamentarier des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD bis auf vier Abgeordnete boykottierten die Rede allerdings. „Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören“, teilten die Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla mit. „Die Bundesregierung sollte ihm keine Bühne für Wiederaufbaubettelei geben.“ Vom BSW hieß es: „Präsident Selenskyj trägt leider aktuell dazu bei, eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern und nimmt dabei das Risiko eines atomaren Konflikts mit verheerenden Konsequenzen für ganz Europa in Kauf.“

Von anderen Parteien kam scharfe Kritik an AfD und BSW. „Wahrscheinlich hat der Kreml das Fernbleiben angeordnet“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der „Rheinischen Post“. „Ich habe selten eine solche Respektlosigkeit erlebt.“

60 Länder bei Wiederaufbaukonferenz

Eigentlicher Anlass des Selenskyj-Besuchs ist eine Internationale Wiederaufbaukonferenz mit 2.000 Teilnehmern aus 60 Ländern, die er zusammen mit Scholz eröffnete. Beide traten dabei gemeinsam für eine weitere Stärkung der Luftverteidigung zum Schutz vor russischen Angriffen ein. Scholz rief die Verbündeten auf, eine entsprechende deutsche Initiative „mit allem, was möglich ist“ zu unterstützen. „Denn: Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss.“

Selenskyj bekräftigte, dass mindestens sieben weitere Patriot-Systeme nötig seien, um die ukrainischen Städte und Ballungsräume zu schützen. „Luftverteidigung ist die Antwort auf alles“, sagte er mit Blick auf die russischen Angriffe mit Gleitbomben, Marschflugkörpern und Drohnen.

Deutschland hat bereits zwei Patriot-Systeme geliefert, ein weiteres ist zugesagt, an ihm werden derzeit ukrainische Soldaten ausgebildet. Italiens Außenminister Antonio Tajani kündigte bei der Konferenz an, dass Italien bereit sei, ein neues Militärpaket mitsamt des Flugabwehrsystems Samp-T an die Ukraine zu schicken.

500 Milliarden US-Dollar in den nächsten zehn Jahren benötigt

Bei der Wiederaufbaukonferenz geht es nicht darum, Geld für den Wiederaufbau zu sammeln, sondern vielmehr um die Vernetzung der relevanten Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Ziel ist es, Initiativen beispielsweise zur Unternehmensförderung oder Fachkräfteausbildung auf den Weg zu bringen.

Scholz stellte der Ukraine weitreichende und langfristige staatliche Zusagen für den Wiederaufbau in Aussicht. Dafür werde er sich auf dem G7-Gipfel der führenden westlichen Wirtschaftsmächte in Italien einsetzen, der am Donnerstag beginnt. Der Kanzler verwies darauf, dass die Weltbank in den kommenden zehn Jahren mit einem Bedarf von 500 Milliarden US-Dollar (464 Milliarden Euro) Wiederaufbauhilfe rechne. Er rief auch private Unternehmen auf, sich mit Investitionen daran zu beteiligen. „Angesichts der Dimension, über die wir hier reden, muss privates Kapital hinzukommen.“ (dpa/afp/red)



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