Schwarz-Lila-Rot will in Thüringen regieren: Koalitionsvertrag braucht noch Segen der Parteien
Die Thüringer Parteichefs von CDU, BSW und SPD haben am 22. November 2024 im Erfurter Landtag ihren Koalitionsvertrag für eine gemeinsame Minderheitsregierung bis zum Jahr 2029 präsentiert. Nach Angaben des designierten Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) soll die CDU neben dem Ministerpräsidenten vier Ministerien bekommen, das BSW drei Ressorts, die SPD zwei.
Falls die Parteigremien im Dezember ihren Segen geben, könnte es mit dem Regieren dreieinhalb Monate nach der Landtagswahl endlich losgehen. Es wäre das erste Mal, dass das erst Anfang des Jahres gegründete BSW in Regierungsverantwortung stünde.
Zentrale Anlaufstelle für Migration soll kommen
Voigt kündigte mit wenigen Worten eine Reform der Migrationspolitik an: Das Land werde dafür eine zentrale Anlaufstelle einrichten. Man wolle dafür sorgen, dass weniger Asylbewerber ankämen. Abgelehnte Asylbewerber sollten künftig nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden:
Wer kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen.“
In der Bildungspolitik werde es primär darum gehen, den Unterricht zu garantieren, sagte Voigt. Dazu werde man unter dem Motto „Unterricht statt Ausfälle“ ein Maßnahmenpaket schnüren.
Für das Gesundheitswesen werde man den Anspruch vertreten, dass es an jedem Ort Thüringens für jedermann möglich sein müsse, innerhalb von höchstens 20 Minuten zu einer Arztpraxis oder einer Apotheke zu gelangen. Die medizinische Versorgung werde aller Reformbestrebungen zum Trotz „flächendeckend“ aufrechterhalten, versprach Voigt.
Den Unternehmen werde man „Luft zum Atmen und Raum für Innovation“ verschaffen, um mehr Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Die Verwaltung solle sich durch mehr Bürgernähe auszeichnen, in dem sie beispielsweise Genehmigungen beschleunige.
Umgekehrt solle es auch für die Kommunen mehr Freiheit bei einer „fairen Finanzierung“ geben. Ferner solle Thüringen zum „digitalen Vorzeigeland“ aufsteigen. Voigt gab sich optimistisch und tatendurstig: „Einfach mal machen, wird das Credo sein“.
Wolf: „funktionierender Staat, funktionierende Wirtschaft“
Katja Wolf, die Co-vorsitzende des Thüringer BSW, ergänzte, dass man insgesamt einen Fokus auf das Motto „funktionierender Staat, funktionierende Wirtschaft“ gelegt habe. Es gelte, Politik zum Beispiel für jene Menschen zu machen, die auf pünktliche Busse angewiesen seien – oder auch für Unternehmer, die ihren Betrieb nicht einfach so ins Ausland verlagern könnten.
„Geprägt von dem Geist, dass Verschuldung sich nicht nur auf dem Konto niederschlägt, sondern auch in maroden Straßen und Schulen“, müsse man nun „gezielt investieren“, und zwar in die kommunale Infrastruktur, in den Wohnungsbau und auch in die „Sanierung in Bestandsimmobilien“. Das neue Regierungsbündnis werde dabei zwar weiter zu einer „absolut seriösen Haushaltspolitik“ stehen – ein striktes Sparprogramm aber „wäre ein einseitiges Konjunkturprogramm für die AfD gewesen“, mahnte Wolf. Ihr Co-Parteivorsitzender Steffen Schütz ergänzte:
Wir sind an und für sich nicht füreinander geschaffen. Aber wenn Sie das hier lesen, werden Sie sehen, dass wir füreinander bestimmt sind.“
Zu Beginn ihres Kurzvortrags hatte die frühere Oberbürgermeisterin von Eisenach die Wichtigkeit des „inneren und äußeren Friedens“ als „Grundlage für alle Veränderung“ betont. In dem „wirklich, wirklich guten Koalitionsvertrag“ sei deshalb beschlossen worden, die „Frage der Friedensforschung“ auszuweiten. „Partnerschaften mit Partnerregionen“ und die „Friedensbildung in den Schulen“ sollte dazu gestärkt werden. Ihr schwebe eine Schule vor, „die nicht werben muss für Kriegsdienst“, sagte Wolf.
Nach all den „kritischen Debatten Tag und Nacht in unserem Parteivorstand“ sei sie auch „sehr stolz darauf“, dass es gelungen sei, eine Formulierung im Vertrag unterzubringen, nach der die Stationierung von Mittelstreckenraketen ohne deutsche Mitsprache kritisch zu sehen sei.
Maier: AfD-Stimmen im Plenum nicht willkommen
Georg Maier, der jüngst wiedergewählte Landeschef der Thüringer SPD und geschäftsführende Innenminister, bestätigte, dass das Wort Frieden im Vertrag 28 Mal vorkomme. Er habe kein Problem mit dem nun beschlossenen Friedenspassus, auch wenn er selbst weiter für Waffenlieferungen an die Ukraine eintrete. Das Land Thüringen habe ohnehin „so gut wie keinen Einfluss auf Außen- und Sicherheitspolitik“, betonte Maier, „insofern sehe ich den Eintrag im Koalitionsvertrag nicht als relevant an“. Außerdem stehe der lange umstrittene Satz nicht im Widerspruch zu dem, was sowieso schon in Deutschland gelte.
Die SPD-Handschrift im Papier zeige sich vor allem in der „sozialen Gerechtigkeit“, die sich „wie ein roter Faden“ durchziehe. So werde es künftig kostenlose Kitas und Mittagessen in den Schulen geben. Für die 275.000 Menschen Thüringens, die Angehörige pflegten, solle es ein Gehalt aus der Landeskasse geben. Bei staatlichen Aufträgen müsse künftig die Tarifbindung im Fokus stehen.
Keinesfalls werde es eine Zusammenarbeit mit der AfD geben, betonte der Sozialdemokrat. Um Mehrheiten zu bekommen, habe man einen „Mechanismus entwickelt“, der ähnlich wie das Konsultationsverfahren in Sachsen funktionieren solle. Vor Abstimmungen müsse das CDU/BSW/SPD-Bündnis eben auf die Linke zu gehen: „Eine andere Partei fällt mir nicht ein“.
Corona-Aufarbeitung „mit dem Blick nach vorn“
Der BSW Co-Parteivorsitzende Steffen Schütz, von Haus aus Unternehmer, versprach unter anderem mehr „Vernunft und Gerechtigkeit statt Ideologie“ und „mehr Wertschöpfung durch Digitalisierung“. Schulkinder sollten ihre „Grundkompetenzen“ allerdings „analog lernen“. Dafür sollten mehr Lehrer eingestellt und von Bürokratie entlastet werden.
„Gerechtigkeit heißt auch, dass wir uns der Corona-Aufarbeitung widmen, aber ganz klar mit dem Blick nach vorn, mit dem Blick auf Kinder und Schulen“, betonte Schütz.
Um auch Rentner zu entlasten, werde das Land „eine Initiative im Bund starten“, versprach der Thüringer Schütz. Zudem werde man die Bevölkerung „in einen öffentlichen Diskurs zum Thema Krieg und Frieden einbeziehen“.
Ein Video der Präsentation des Thüringer Koalitionsvertrages ist auf dem Phoenix-YouTube Kanal zu sehen.
Parteien sollen bis Mitte Dezember grünes Licht geben
Nun sind also die Parteigremien am Zug. Voigt möchte sich die Zustimmung noch von seinem CDU-Landesausschuss geben lassen. Das Thüringer BSW wird auf seinem Parteitag am 7. Dezember entscheiden. Dieses Treffen war nach Informationen des MDR gezielt um zwei Wochen verschoben worden, damit sich auch die Parteimitglieder mit dem Koalitionsvertrag beschäftigen können.
Die Thüringer SPD will ihre Mitglieder nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP bis zum 9. Dezember abstimmen lassen.
Die Wahl des Ministerpräsidenten soll nach Informationen des Deutschlandfunks (DLF) Mitte Dezember stattfinden.
Zwei Monate Bangen um das Bündnis
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht hatte sich bereits am vergangenen Dienstag in der ARD-Talkshow „Maischberger“ optimistisch gezeigt, dass der Koalitionsvertrag ihren Ansprüchen gerecht werden würde (Video ab ca. 63:20 Min. in der ARD-„Mediathek“). Die Unterhändler waren am 11. November in die heiße Phase der Verhandlungen eingetreten.
Noch Ende Oktober hatte es nicht danach ausgesehen, dass CDU, SPD und BSW sich noch einigen könnten. Bis dahin hatte sich BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht immer wieder aus dem Saarland eingeschaltet, um auf ein gemeinsames Bekenntnis aller drei Parteien zu Diplomatie und Friedensbemühungen zu pochen, das auch sie würde mittragen können.
Jene Friedenspräambel, die BSW-Landeschefin Wolf für das vorab erstellte Brombeere-Sondierungspapier (PDF) ausgehandelt hatte, schien Wagenknecht nicht deutlich genug. Wolf versprach daraufhin, in den Verhandlungen für den Koalitionsvertrag eine klarere Formulierung zu finden.
AfD stärkste Kraft im Landtag
Aus der Landtagswahl war am 1. September die AfD mit über neun Prozentpunkten Abstand als Sieger hervorgegangen. Die Partei um Landeschef Björn Höcke hatte ein Ergebnis von 32,8 Prozent erzielt und 32 Sitze erhalten. Doch keine der übrigen Parteien ist gewillt, mit dem vom Thüringer Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften AfD-Landesverband zusammenzuarbeiten.
Die Sitzverteilung im Plenum nach den Landtagswahlen 2024 in Thüringen. Foto: ts/Epoch Times
CDU, BSW und SPD: 44 von 88 Sitzen
In der ersten Brombeerkoalition Deutschlands könnte somit die zweitstärkste politische Kraft Thüringens, die CDU, den Ton angeben. Sie hatte 23,6 Prozent und 23 Sitze geholt. Das BSW kam auf 15,8 Prozent und 15 Sitze. Die SPD fuhr ein Ergebnis von 6,1 Prozent ein, was für sechs Sitze genügte.
Weil CDU, BSW und SPD somit nur auf 44 von insgesamt 88 Sitzen kommen, wird sich die Koalition bei jedem Gesetzvorhaben um mindestens eine Stimme aus der Opposition bemühen müssen. Infrage kämen nur die Linken (13,1 Prozent/12 Sitze) oder die AfD, auch wenn die CDU seit 2018 zu beiden Parteien einen Unvereinbarkeitsbeschluss („Brandmauer“) aufrechterhält. Andere Parteien sind im Erfurter Landtag nicht mehr vertreten.
Im Gespräch mit dem DLF rief Bodo Ramelow (Linke), der geschäftsführende Ministerpräsident Thüringens, die CDU auf, sich mit der Fraktion der Linken zu verständigen. Es gelte zu verhindern, dass die AfD erneut „destruktive Mehrheiten“ bilden könne.
Auch Sachsen vor Minderheitsregierung
Um Neuwahlen zu vermeiden, wollen CDU und SPD in Sachsen ebenfalls Koalitionsgespräche für eine gemeinsame Minderheitsregierung aufnehmen. Spätere Mehrheiten im Parlament sollen per „Konsultationsmechanismus“ erreicht werden. Dabei werde die AfD auf keinen Fall „praktischen Einfluss“ erhalten.
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