Schutzlosigkeit von Flüchtlingsfrauen in Massenunterkünften

Heike Rabe, Rechtsexpertin des Deutschen Instituts für Menschenrechte: „Als deutsche Staatsbürgerin kann ich einfach weggehen.“ Eine Flüchtlingsfrau dagegen dürfe die Unterkunft nicht eigenmächtig verlassen, um etwa in einer anderen Stadt Unterschlupf finden.
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Flüchtlinge laufen von der Notunterkunft nahe der oberösterreichischen Ortschaft Hanging (Österreich) auf die deutsche Seite.Foto: Peter Kneffel/Archiv/dpa
Epoch Times9. November 2015
Für ihre Kinder ist Kushtime von Albanien nach Deutschland gekommen. Die drei sollen es besser haben, in Sicherheit sein. Doch in einer großen Notunterkunft in Köln angekommen, ermahnt sie ihre Tochter, möglichst wenig Zeit allein auf den Fluren zu verbringen.

„Ich sage ihr, dass sie keinen Mann anschauen soll. Sie ist jetzt schon so ein großes Mädchen, dass sie sie anstarren, ihr hinterher rufen und pfeifen“, sagt sie. Es ist der Ratschlag einer Mutter, die Angst um ihre 16-jährige Tochter hat.

Kushtime heißt eigentlich anders, möchte ihren Namen aber nicht nennen. Die schmale 35-Jährige berichtet auch davon, selbst von einem Mann bedrängt worden zu sein. Er sei ihr ins Zimmer gefolgt, habe sie erst in Ruhe gelassen, als sie laut schimpfte. Den Sicherheitsdienst verständigt hat sie nicht. „Ich schäme mich“, sagt sie. Sie ist alleinerziehend, versorgt unter anderem einen kranken Sohn, hat keinen Mann an ihrer Seite.

Das Gefühl von Bedrohung und Schutzlosigkeit teilen viele alleinstehende Frauen auf der Flucht, berichten zahlreiche Beratungsstellen und Frauenorganisationen. In den oft völlig überfüllten Sammelunterkünften fehle es an Privatsphäre, die Stimmung sei aufgeladen. Männer sind dabei oft in der Mehrheit: Ein Drittel aller Asylbewerber sind weiblich. „Gerade für Frauen, die schon Gewalterfahrungen gemacht haben, sind die großen, sehr vollen Unterkünfte ein gefährlicher Ort“, sagt Denise Klein von der Kölner Beratungsstelle agisra. Frauen wie Kushtime, finden hier Hilfe.

Wie verbreitet Gewalt in den Unterkünften ist, dazu lasse sich keine gesicherte Aussage treffen, sagt Heike Rabe, Rechtsexpertin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. „Es mehren sich aber Hinweise aus der Praxis, dass die Gewaltbetroffenheit von Frauen in den Unterkünften hoch ist.“ Erstaunlich sei das nicht, schließlich habe Studien zufolge jede vierte Frau in Deutschland körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt. „Warum soll es dann unter den verschärften Bedingungen in den Unterkünften anders sein?“ Stress, soziale Isolation und Anspannung bereiteten hier den Boden für Gewalt. „Alle Geschlechter sitzen da in einer Situation, die das soziale Miteinander belastet“, erläutert Rabe.

Das Fehlen klarer Schutzstandards fördere Gewalt. „Es müsste sehr viel klarer sein, dass und wie reagiert wird, wenn Gewalt gemeldet wird.“ Schließlich gebe es in Deutschland gut funktionierende Systeme, die Frauen vor Gewalt schützen, nur kämen die in den Unterkünften zu lückenhaft zur Anwendung. Und: „Als deutsche Staatsbürgerin habe ich in einer solchen Situation ganz andere Möglichkeiten: Ich kann einfach weggehen.“ Eine Flüchtlingsfrau dagegen dürfe die Unterkunft nicht eigenmächtig verlassen, um etwa in einer anderen Stadt Unterschlupf finden. „Solche ausländerrechtlichen Regelungen schränken die Wehrfähigkeit der Flüchtlingsfrauen zusätzlich ein.“

„Von unverhohlenen Blicken der Männer, von Pfiffen und übergriffigen Bemerkungen berichten eigentlich alle Frauen, die zu uns kommen“, sagt Klein von agrisa. Auch versuchte Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe habe es schon gegeben. Allerdings brauche es keineswegs Straftaten, um den oft schwer traumatisierten Frauen zuzusetzen: „Da kann es schon problematisch sein, wenn aus dem Zimmer nebenan Lärm und männliche Stimmen drängen.“

Der Lärm der vielen jungen Männer machte auch Joy aus Nigeria zu schaffen: „Sie streiten sich, sie schreien, sie schlagen sich auch. Da will man manchmal einfach nur weg“, sagt die 27-Jährige, die auch einen falschen Namen wählt, aus Angst erkannt zu werden. Eigentlich lacht sie viel, schaukelt ihr knapp ein Jahr altes Kind auf dem Knie.

Doch wenn sie leise von ihrer Flucht berichtet, wird klar, wie ihr die Enge und aufgeladene Stimmung in den Heimen zugesetzt haben muss: Menschenhändler lockten sie unter dem Vorwand, sie könne in Europa Näherin werden, nach Italien. Dort wurde sie vier Jahre lang zur Prostitution gezwungen, bis es ihr gelang nach Deutschland zu fliehen. Sie ahnte damals, dass sie schwanger sein könnte. Sie wollte das Kind ihres Freundes zur Welt bringen und nicht wieder abtreiben. Fünf Mal war sie von ihren Peinigern dazu gebracht worden.

Richtig sicher fühlt sie sich erst jetzt, in ihrer eigenen Wohnung. Ein Jahr wurde sie – erst hochschwanger, dann mit Säugling – durch fünf Unterkünfte gereicht: „Die vielen Männer da, sie starren auf deinen Busen, man kann ihnen gar nicht aus dem Weg gehen“, sagt sie. „Das ist kein guter Ort für eine Mutter und ihr Kind.“

Mehr Angebote für die speziellen Bedürfnisse traumatisierter Frauen fordern die Migrantinnen-Organisationen schon länger, mit kleinen Erfolgen. So hat Rheinland-Pfalz erst kürzlich die Kapazitäten für besonders Schutzbedürftige heraufgefahren, auch andere Bundesländer wollen verstärkt Angebote schaffen.

Große Betreiber wie etwa das Deutsche Rote Kreuz verweisen auf ihre Bemühungen, trotz steigender Flüchtlingszahlen den besonders Schutzbedürftigen gerecht zu werden. „Für sie werden dort, wo es irgendwie möglich ist, separate Unterbringungen organisiert“, so ein DRK-Sprecher. Erst kürzlich hat das Rote Kreuz seine Mitarbeiter mit einem Handzettel für das Problem sensibilisiert. „Flüchtlingsfrauen leben relativ isoliert in den Unterkünften, und sie wissen kaum um ihre Rechte bei Gewalt“, heißt es da. Die Empfehlung: Mehr Aufklärung, mehr Ansprechpartner, mehr Schulungen für Betreuer.

(dpa)


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