Schuldenunion ohne Eurobonds? Merkel und Macron stellen Konzept für Wiederaufbau nach Corona vor
In der Debatte um die Beteiligung der EU am Wiederaufbau der von der Corona-Krise haben Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer bilokalen Video-Pressekonferenz einen gemeinsamen Ansatz erläutert. Insgesamt soll dabei eine Billion Euro zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen ausgegeben werden – ohne zu dem unter den Mitgliedsländern so umstrittenen Instrument der Eurobonds zu greifen.
Über zwei Bildschirme stellten sich, wie die „Welt“ berichtet, Macron und Merkel von Paris und Berlin aus den Fragen von Journalisten. Sie schlagen vor, dass die EU-Kommission an den Finanzmärkten 500 Milliarden Euro an Krediten aufnimmt, um damit einen zweckgebundenen „Wiederaufbaufonds“ auszustatten. Dieser soll vor allem in den schuldengeplagten südeuropäischen Mitgliedstaaten Konjunkturprogramme finanzieren, die diese nicht in Eigenregie stemmen könnten.
Geplante Fondsmittel in Höhe mehrerer EU-Jahreshaushalte
Man müsse „europäisch handeln, um aus dieser Krise herauszukommen“, sagt Merkel, die die schwerste darstelle, der die europäische Gemeinschaft in ihrer Geschichte ausgesetzt gewesen wäre. Die 500 Milliarden, die in den Fonds wandern sollen, ergänzen nach dem Willen Merkels und Macrons die bereits zuvor von den EU-Finanzministern versprochenen 500 Milliarden Euro, die einen anderen zweckgebundenen Fonds für kleinere und mittlere Unternehmen und das europäische Kurzarbeitergeld finanzieren sollen.
Der Eigenmittel-Fonds soll unabhängig vom mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 bestehen, über den in der EU derzeit noch debattiert wird. Die geplanten außerordentlichen Mittel für die Krisenbewältigungsfonds entsprechen jeweils dem Gegenwert mehrerer EU-Jahreshaushalte. So umfasst dieser für das Jahr 2020 lediglich 168 Milliarden Euro.
Die Konstruktion einer zweckgebundenen Schuldenaufnahme zur Finanzierung eigener Fonds durch die EU-Kommission soll offenbar eine Kompromisslösung darstellen zwischen den von den südeuropäischen Staaten geforderten Eurobonds und dem Ausschluss einer solidarischen Haftung für fremde Schulden, auf der Deutschland und mehrere nordeuropäische Länder beharrt hatten.
Wo liegt der Unterschied zu Eurobonds?
Das Wesen der Eurobonds wäre gewesen, dass die einzelnen EU-Staaten gemeinsam Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen, die erlangten Mittel unter sich aufteilen, aber gesamtschuldnerisch für die Rückzahlung und Zinsen dieser Schulden haften. Auf diese Weise könnten auch Staaten wie Italien, Spanien oder Griechenland, die infolge ihrer Schuldenbelastung keine Kredite zu günstigen Konditionen bekämen, leichter an Mittel für den Wiederaufbau kommen – weil die Gläubiger darauf bauen könnten, dass die reicheren Staaten für die Rückzahlung haften.
Die von Merkel und Macron präsentierte Variante hingegen würde zwar auch, anders als es Praxis im Zusammenhang mit dem regulären EU-Haushalt ist, die südeuropäischen Staaten überdurchschnittlich bevorzugen. Ihnen würde der Großteil der damit finanzierten Projekte zugutekommen, ohne dass sie ihre eigene gerade erst durch schmerzhafte Reformprogramme verbesserte Schuldenbilanz durch neue Verschuldung verschlechtern müssten.
Bei der Rückzahlung würden die Nationalstaaten – und dabei primär Deutschland – zur Kasse gebeten. Auch über die Laufzeit der geplanten Kredite und damit über die zu erwartende Gesamtbelastung gibt es noch keine Einigung. Allerdings müssten die reichen Staaten mit hoher Bonität anders als im Fall der Eurobonds keine Kredite zu schlechteren Konditionen aufnehmen als sie dies in Eigenregie könnten.
Skepsis in Mittel- und Osteuropa
Den „Eigenmittelbeschluss“ zugunsten der EU-Kommission, der erforderlich wäre, um die von Merkel und Macron vorgeschlagene Lösung zu ermöglichen, müssten allerdings die Parlamente der Mitgliedstaaten autorisieren.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Montag (18.5.) in Wien bereits seine ablehnende Haltung zu dem Merkel-Macron-Vorstoß zum Ausdruck gebracht. Er beharrt darauf, dass Hilfe für die betroffenen Volkswirtschaften im Süden Europas vonseiten der EU in Form von rückzahlbaren Krediten und nicht von Zuschüssen vergeben werden sollten, berichtet die „Welt“. Gegenüber der Nachrichtenagentur APA erklärte er:
Wir werden uns weiterhin solidarisch zeigen und Länder, die am stärksten von der Corona-Krise betroffen sind, unterstützen, jedoch muss dies über Kredite erfolgen und nicht über Zuschüsse.“
Eine ähnliche Position vertreten auch osteuropäische Staaten. Sie befürchten mögliche Verschlechterungen dadurch, dass Länder wie Italien, Griechenland, Portugal, Zypern oder Spanien aus dem Sonderfonds Mittel zu anderen – und zwar deutlich günstigeren – Voraussetzungen bekommen als sie selbst aus dem Agrar- und Regionalfonds. Derzeit sind diese ein wichtiges Finanzierungsinstrument für die osteuropäischen Mitgliedsländer.
Zuwendungen daraus sind allerdings an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft und die Ausstattung könnte infolge der geplanten Hilfsprogramme für den Süden leiden. Dies könnte eine zwangsläufige Folge des Umstandes sein, dass laut dem Macron-Merkel-Konzept die Zinsen für die Schulden, die Brüssel für die neuen Fonds aufnimmt, aus dem EU-Haushalt bezahlen würde.
Rückendeckung für Merkel und Macron aus dem Europäischen Parlament
Neben Macron und Merkel berät auch die EU-Kommission selbst über ein Konjunkturprogramm, mithilfe dessen die Corona-Folgen bewältigt werden sollen. Die Stoßrichtung ist ähnlich, ebenso die finanzielle Größenordnung.
Dort sind Mittel bis zu 1,5 Billionen Euro eingeplant. Zusammen mit Folgeausgaben, die der Digitalisierung oder Zielen wie dem „Klimaschutz“ oder der Schaffung „europäischer Champions“ dienen sollen, von denen man trotz der horrenden Schäden durch die Pandemie nicht lassen will, könnten auf die EU und ihre Mitgliedstaaten zusätzliche Kosten in Höhe von insgesamt drei Billionen Euro zukommen. Das entspricht der Summe jener Konjunkturpakete, die beispielsweise die USA zur Krisenbewältigung eingeplant haben.
Aus dem Europäischen Parlament kommt unterdessen Rückendeckung. Dort wurde am Freitag mit 505 Ja- gegen 119 Nein-Stimmen und 69 Enthaltungen eine Resolution angenommen, in der ein Zwei-Billionen-Rettungspaket gefordert wurde. Dieses soll „den langfristigen EU-Haushalt ergänzen, nicht als Argument für dessen Kürzung dienen“, zum größten Teil in Form von Finanzhilfen ausgezahlt werden und die EU-Kommission solle in diesem Zusammenhang „auf ‚Finanztricks‘ oder irreführende Zahlen verzichten“.
Zudem sollen die Bemühungen um den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaften „eine starke soziale Dimension“ aufweisen, die „soziale und wirtschaftliche Ungleichheit angehen“ und „auf die Bedürfnisse derjenigen eingehen, die von der Krise am stärksten betroffen sind“.
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