Schuldenbremse: Lindners Versprechen bröckelt – SPD und Grüne wollen keine „Zukunftsbremse“
Paukenschlag im Bund: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist nun offenbar doch bereit, sein bislang eisernes Festhalten an der Schuldenbremse aufzugeben. Am Donnerstagnachmittag, 23. November, erklärte Lindner, den Bundestag bitten zu wollen, dafür eine „außergewöhnliche Notlage“ auszurufen. Damit wäre der Schuldenbremsen-Artikel 109 aus dem Grundgesetz im Prinzip ausgehebelt. Wenn die Bundesregierung wollte, könnte sie ihre Finanzlöcher in Milliardenhöhe danach wieder mit neuen Krediten stopfen, ohne verfassungsrechtlich allzu viel zu riskieren.
Doch davon war bei Lindners Auftritt nicht die Rede: Er versprach lediglich, im Laufe der kommenden Woche einen Nachtragshaushalt für das laufende Haushaltsjahr im Kabinett vorzulegen. Nach Informationen der „Zeit“ soll das am Mittwoch, 29. November, stattfinden.
Für Lindner „eine Frage der Ehre“
„Ich betrachte es als meine Aufgabe, jetzt reinen Tisch zu machen“, sagte der Finanzminister vor Pressevertretern im Bundesfinanzministerium (BMF). Das sei für ihn „eine Frage der Ehre“, so Lindner laut „Handelsblatt“, denn als Finanzminister trage er die politische Verantwortung für die schwierige Haushaltslage. Er habe dabei „insbesondere […] die Strom- und Gaspreisbremse“ im Blick. Diese müsse auf eine „verfassungsrechtlich gesicherte Grundlage“ gestellt werden. Erst wenn der Nachtragshaushalt 2023 „gesichert“ stehe, werde er sich um den Etat 2024 kümmern, versprach Lindner.
Während seiner kurzen Stellungnahme vermied es der FDP-Parteivorsitzende, das Wort „Schuldenbremse“ in den Mund zu nehmen (Video auf X). Sein Social-Media-Team tat es dann doch:
Zu den Trends #Notlage, #Schuldenbremse und #Verfassungsbruch muss man wohl eines sagen: Der Nachtragshaushalt begründet nicht einen Euro neue Schulden, sondern schafft nur eine verfassungsgemäße Grundlage für Geld, das u. a. für die Strompreisbremse bereits ausgegeben wurde. TL“
Keine neuen Kredite geplant
Ähnlich klang es nach Angaben der „Zeit“ auch vonseiten einer BMF-Sprecherin: „Es werden keine neuen Schulden aufgenommen, sondern lediglich die bereits abgeflossenen Mittel zur Krisenbewältigung auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt“. Zunächst aber gehe es nun darum, den Bundestag zu bitten, „eine außergewöhnliche Notlage zu beschließen“. Geregelt ist dies in Artikel 115, Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes. Dort heißt es:
Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen aufgrund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“
Welche „außergewöhnliche Notsituation“ genau die Regierung beziehungsweise der Bundestag zur Rechtfertigung ins Feld führen könnte, ist derzeit noch unklar. Nach Angaben der „Zeit“ hätten „Experten“ bereits während einer Anhörung im Bundestag bestätigt, dass man wohl mit den „Folgen der Energiekrise“ argumentieren könne, denn diese sei Anfang 2023 noch spürbar gewesen.
Kritiker könnten allerdings darauf verweisen, dass die Energiekrise in Deutschland auch auf bewusste Entscheidungen des Ampelkabinetts zurückzuführen sei und sich demnach keineswegs „der Kontrolle des Staates“ entzogen habe.
Juli ’23: Lindners Bekenntnis zur Schuldenbremse
Linder selbst hatte noch im Juli 2023 bei der Präsentation des Haushaltsentwurfs 2024 der Regierung davon gesprochen, mit einem Sparkurs die „Rückkehr zur haushaltspolitischen Normalität“ einleiten zu wollen. Deutschland bekenne sich „zu langfristig tragfähigen Staatsfinanzen“, hieß es damals. Für eine Notlagenproklamation oder ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse sah der 44-jährige Liberale vor viereinhalb Monaten keinerlei Anlass:
Wir sind jetzt konfrontiert mit strukturellen Herausforderungen, aber nicht mehr in einer außergewöhnlichen Notsituation, die eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes zulassen würde. Wir kehren also zur Schuldenbremse zurück.“ (Video auf X)
Jüngst aber räumte Finanzminister Lindner einen „erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf“ ein, aufgrund dessen auch in den kommenden Jahren „zweistellige Milliardenbeträge“ eingespart werden müssten. „Denn strukturelle Änderungen sind aus meiner Sicht unausweichlich“, so Lindner. Trotz aller Hiobsbotschaften der vergangenen Tage gebe es aber „keinen Grund zur Panik“. „Rechtsverpflichtungen“ würden eingehalten werden.
Kubicki fürchtet „erhebliche Vertrauensprobleme“ und fordert Paradigmenwechsel
FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki hält eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse noch immer für „schwer vermittelbar“, wie die „Berliner Morgenpost“ berichtet. Rein rechtlich sei solch ein Schritt zwar möglich, werde aber „erhebliche Vertrauensprobleme“ erzeugen. Besser wäre es aus seiner Sicht, einen „Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik“ herbeizuführen. Bestimmte Staatsausgaben müssten reduziert werden – etwa die Entwicklungshilfe, die jährlich mit „deutlich über 30 Milliarden Euro“ zu Buche schlage.
Von einem Verlassen der Ampel, wie es Teile der Parteibasis seit Wochen fordern, hält Kubicki dagegen nichts: „Die Freien Demokraten stehlen sich nicht aus ihrer Verantwortung“.
Wie die „Welt“ berichtet, wird es von den Parteispitzen der FDP-Ampelpartner SPD und Grüne wohl wenig Widerstand gegen Lindners Plan geben, die Schuldenbremse per Notlagenbeschluss auszusetzen und damit den aktuellen Haushalt 2023 zu heilen.
Ricarda Lang, die Co-Parteivorsitzende der Grünen, und Saskia Esken, ihr Pendant bei der SPD, dächten sogar bereits über denselben Schritt für das Jahr 2024 nach. Lang wolle sogar schon über das Jahr 2025 und über „eine grundlegende Reform“ der Schuldenbremsenregel sprechen. Letzteres werde auch von Esken unterstützt: Die Schuldenbremse dürfe „nicht zur ‚Zukunftsbremse‘“ werden, zitiert sie die „Welt“.
Enge Zeitfenster
Unterdessen wird die Zeit immer knapper, um noch den Bundeshaushalt für das Jahr 2024 festzuklopfen. Da der ursprünglich anvisierte Termin zur Verabschiedung des Etats ’24 im Bundestag – der 1. Dezember – erst kürzlich vor dem Hintergrund der Krise abgesagt wurde, bleibt nach Informationen der „Zeit“ „nur noch eine Sitzungswoche zwischen dem 11. und 15. Dezember“.
Wenn es dann noch in diesem Jahr mit dem Okay des Bundesrats klappen soll, müsste dieser eine Fristverkürzung billigen. „Andernfalls wird der Haushalt für 2024 erst im kommenden Jahr beschlossen“, schreibt die „Zeit“.
Zwischen Schuldenbremse und Sondervermögen
In der Historie der Schuldenbremse, die 2009 von der Regierung Merkel I. eingeführt worden war, wurde die Regelung bislang in drei Haushaltsjahren ausgesetzt: nach Angaben der „Friedrich-Ebert-Stiftung“ in den Jahren 2020, 2021 und 2022. Als Begründung wurden seinerzeit die besonderen Belastungen der Corona-Krise und der Krieg in der Ukraine genannt.
Abgesehen vom „normalen“ Haushalt greift die Bundesregierung seit vielen Jahrzehnten auch auf einen buchhalterischen Trick zurück, um mehr von dem Geld ausgeben zu können, das von den Bürgern noch gar nicht erwirtschaftet wurde – nämlich seine seit 1951 nach und nach eingerichteten 29 „Sondervermögen“ gemäß Artikel 110 Absatz 1 des Grundgesetzes. Dabei handelt es sich um zumeist kreditfinanzierte Fonds, die neben dem regulären Haushalt und losgelöst von der Schuldenbremse laufen.
Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes ist diese Praxis allerdings insbesondere wegen der vielen „Kreditermächtigungen“, die der Bund über die Sondervermögen besitzt,
zu kritisieren: „Kernaufgaben des Staates sollten aus dem Kernhaushalt finanziert werden.“ Inzwischen stehen sämtliche Sondervermögen des Bundes auf dem Prüfstand, eine Haushaltssperre wurde verhängt.
Unmut über Ampelleistung wird spürbarer
Während sich nach einer FORSA-Umfrage mittlerweile 46 Prozent der Bürger Neuwahlen wünschen, werden auch die Stimmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer lauter, die ein Ende der gesamten Ampelregierung favorisieren. Erst vor wenigen Tagen bat Thomas Berbner, der Leiter der NDR-Fernsehredaktion, in einem „Tagesthemen“-Kommentar zur Haushaltssperre ausgerechnet den FDP-Finanzminister, die Reißleine zu ziehen:
Lieber Christian Lindner, beenden Sie bitte dieses Trauerspiel einer Koalition, die nie einen auch nur annähernd ausreichenden Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen hatte. Die Mehrheit der Wähler will eine neue Regierung.“ (Video auf X)
BVerfG erklärte Haushaltsgebaren für verfassungswidrig
Hintergrund der wohl schwersten Haushaltskrise seit Bestehen der Bundesrepublik ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Seit die höchste Instanz der deutschen Judikative am 15. November die nachträgliche Umwidmung von Corona- in Klimaschulden für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte, sucht die Bundesregierung nach neuen Wegen, ihren aktuellen und auch zukünftige Haushalte auf ein stabiles rechtliches Fundament zu stellen.
Wie viel Geld genau wo locker gemacht oder eingespart werden soll, ist derzeit unklar. Nach einem Bericht des „Handelsblatts“ (Bezahlschranke) vom 21. November könnten mehr als 100 Milliarden Euro fehlen.
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