„Schredder-Gesetz“ gefährdet Aufklärung des Cum-Ex-Skandals
Auf den ersten Blick dürften sich am 26. September auch Beobachter nicht daran gestört haben, dass mit Mehrheit der damals noch intakten Ampel-Koalition das sogenannte „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ im Bundestag beschlossen wurde.
Für viele Menschen, aber auch Unternehmen, ist die zunehmende Bürokratie im Land inzwischen nicht nur ein großes Ärgernis, sondern auch ein Hemmschuh für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Wenn nun ein Gesetz nach dem Willen der Bundesregierung Unternehmen von unnötigen Regeln befreien will, dann kann man dagegen eigentlich nichts einwenden.
Rund 950 Millionen Euro lassen sich, so hieß es im vom damaligen Justizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Gesetzentwurf, einsparen. Trotzdem steckte im Kleingedruckten des Gesetzentwurfes politischer Sprengstoff, der eine Aufarbeitung des größten Steuerskandals aller Zeiten fast unmöglich machen könnte.
Steuerbetrügern wird es leichter gemacht
Der weniger brisante Teil des Gesetzes sieht beispielsweise vor die Meldepflicht für Übernachtungen im Hotel abzuschaffen, Reisepässe an Flughäfen digital auslesen zu lassen oder Vereinen die Möglichkeit zu geben, Abstimmungen in Zukunft per E-Mail durchzuführen. Der Knackpunkt liegt an einer anderen Stelle: Zukünftig soll die Aufbewahrungspflicht für Belege in Unternehmen von bisher zehn Jahren auf acht abgesenkt werden.
Auf den ersten Blick ist die Regelung gut gemeint. Allerdings befürchten Kritiker, dass die Neuregelungen es Steuerbetrügern leichter machen könnte. Die Bürgerinitiative Finanzwende hatte schon vor der Verabschiedung des Gesetzes vor möglichen Folgen gewarnt. „Wenn das Gesetz so durchkommt, werden sehr viele CumCum-Täter ungeschoren davonkommen, Milliarden an Steuergeldern sind dann unwiderruflich verloren”, warnte Geschäftsführerin Anne Brorhilker im September in einer Pressemitteilung.
Dürfen „quasi legal Beweismittel vernichten“
Bei einem „Cum-Ex“-Geschäft wurden Aktien „mit (cum) Dividende“ kurz vor dem Dividendenstichtag gekauft und dann „ohne (ex) Dividende“ direkt nach dem Stichtag verkauft. Durch die schnellen Transaktionen und die Beteiligung mehrerer Parteien war es oft unklar, wer der tatsächliche Eigentümer zum Zeitpunkt der Dividendenausschüttung war.
Diese Unklarheit wurde ausgenutzt, um sich die Steuer von den Finanzbehörden mehrfach erstatten zu lassen, obwohl sie tatsächlich nur einmal abgeführt wurde. Dem Fiskus sind auf diesem Wege Milliarden an Steuern durch die Lappen gegangen. Die juristische Aufarbeitung dieser illegalen Geschäftspraktiken dauert bis heute an.
Anne Brorhilker, die neue Co-Geschäftsführerin der Bürgerinitiative „Finanzwende“, war bis April dieses Jahres als Oberstaatsanwältin in Köln die Chefermittlerin für den Cum-Ex-Betrug. Wegen ihres Zweifels am politischen Aufklärungswillen des Steuerskandals schied sie aus dem Staatsdienst aus und arbeitet nun für die Nichtregierungsorganisation.
Brorhilker erklärt ihre Vorbehalte gegen die Neuregelung so: „Die Bundesregierung erleichtert es, Steuern zu hinterziehen. Eine Aufbewahrungsfrist von acht Jahren ist viel zu wenig, weil schwere Steuerstrafdelikte erst nach 15 Jahren verjähren. Die Täter könnten also eigentlich noch belangt werden, dürfen aber quasi legal Beweismittel vernichten. Die Unterlagen sind dann weg, die Milliarden auch.“
Sondergesetz für Cum-Ex-Fälle gekippt
Es ist tatsächlich schwer zu erklären, was der Bundestag im September im Hinblick auf die Aufbewahrungspflichten von Unterlagen beschlossen hat. Angestoßen durch den Cum-Ex-Betrug hatte der Bundestag vor einigen Jahren beschlossen, die Verjährungsfristen für besonders schwere Fälle von Steuerbetrug von damals zehn Jahre auf 15 Jahre erhöht.
Die Änderung wurde damals begründet für Fälle „besonders schwerer Steuerhinterziehung, die mitunter hochkomplex sind und oftmals internationale Bezüge haben“. Auch wenn der Begriff „Cum-Ex“ in keiner Silbe im Bundestagsdokument erwähnt wird, lässt sich schnell erschließen, dass der Gesetzgeber mit der verlängerten Frist ein Sondergesetz für die sogenannten „Cum-Ex“-Fälle geschaffen hat. Ermittlern sollte so die nötige Zeit verschafft werden, die hochkomplexe Verfolgung der Steuerstraftäter aufzunehmen.
Was damals noch unter der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschlossen wurde, hat die Ampel-Mehrheit im September im Bundestag nun mit ihrem Beschluss konterkariert. „Es ist schon absurd, dass Aufbewahrungsfristen und Verjährungsfristen nicht im Gleichlauf sind“, sagt Brorhilker gegenüber dem Onlineportal des Magazins „Capital“. Dass jetzt die Aufbewahrungsfristen für wichtige Beweismittel verkürzt wurden, ist für die ehemalige Oberstaatsanwältin „der falsche Weg“.
„Juristischer Sprengstoff“ in den Akten
Dank der schleppenden Ermittlungen der Justiz dürften bis heute noch tausende unentdeckte Unterlagen auf Servern und in Aktenregalen bei deutschen Banken, Sparkassen und Fonds lagern, die belegen, dass die Finanzriesen in die betrügerischen Aktiendeals, die dem Staat Milliarden Euro kosteten, verwickelt waren. Für die noch laufenden Verfahren, wären diese Unterlagen wichtige Beweismittel.
„Die Täter wissen sehr genau, welchen juristischen Sprengstoff sie in ihren Kellern und auf ihren Servern haben”, so Brorhilker.
Sobald das Gesetz in Kraft ist, werfen die ihre Schredder an.”
Auch Florian Köbler, der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), kritisiert die Absenkung der Aufbewahrungspflichten. „Der Gesetzgeber will Straftätern Tür und Tor öffnen. Er verspielt somit leichtfertig die Mittel des Rechtsstaats. Ohne Not und ohne Sinn. Es ist ein Geschenk an Kriminelle“, so Köbler in einer Pressemitteilung.
Argumente für eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen sieht Köbler nicht. „Das Gros der Wirtschaftsunternehmen bestätigte uns, dass sie Belege bereits digital aufbewahren.“ Im Gesetz selbst werde die Einsparung bei einem Unternehmen mit digitaler Aufbewahrung auf zwölf Euro im Jahr berechnet. „Dies steht in keinem Verhältnis zum potentiellen Schaden“, so der Steuer-Gewerkschaftler.
Finanzämter benötigten oft Jahre, um komplexe Steuerkonstrukte aufzudecken, betont der Köbler, dessen Organisation Finanzbeamte und Steuerfahnder vertritt. Die Verkürzung behindere daher die Aufarbeitung von Cum-Ex und anderen Geschäften.
In kurzer Zeit 327.000 Unterschriften
Vor Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat im September, der in diesem Fall zustimmungspflichtig gewesen ist, hatte die Bürgerinitiative Finanzwende die Petition „CumCum-Milliarden: Schredderpläne stoppen!“ auf den Weg gebracht. In kürzester Zeit brachte der Verband 327.000 Unterschriften zusammen.
Bundestag und Bundesrat hätten damals noch in letzter Minute das Gesetz stoppen können. Das ist nicht erfolgt. Am 1. Januar 2025 tritt das Gesetz nun in Kraft.
Cum-Ex-Fälle, bei denen bereits ermittelt wird, sind den Angaben des Gesetzgebers nach zwar nicht von der Neuregelung betroffen – dafür aber alle Fälle, die Ermittlungsbehörden noch nicht kennen oder bei denen noch keine Ermittlungen laufen. „Gerade bei CumCum kennen wir bisher nur die Spitze des Eisbergs – und den Rest werden wir mit diesem Gesetz vielleicht nie kennenlernen”, sagt Finanzwende-Geschäftsführerin Brorhilker.
Ermittler haben ein Jahr Frist
Ein kleines Türchen gibt es aber trotzdem noch: In letzter Minute konnte der Rechtsausschuss des Bundestages aushandeln, dass für Unternehmen, die der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stehen, das Gesetz ein Jahr später gilt.
Ein kleines Zeitfenster haben die Ermittler also doch noch für die Aufklärung bei den Fällen der Cum-Ex-Steuerhinterziehung. „Dieses Jahr müssen die Finanz- und Justizminister in Bund und Ländern nutzen, um Ermittlungsbehörden zu unterstützen, damit bei möglichst vielen Banken, Fonds und Versicherungen Beweise gesichert und Ermittlungen eingeleitet werden, bevor die Belege geschreddert werden dürfen“, so die Forderung der Bürgerinitiative Finanzwende.
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