Schon wieder die Russen? Politiker vermuten Social Bots hinter „Lügenkampagnen“ gegen UN-Migrationspakt
Steckt wieder Putin dahinter? Glaubt man Deutschlands Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und dem Unternehmen „Botswatch“, war die Zustimmung zum UN-Migrationspakt, den Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Montag in Marrakesch unterschrieben hat, auch in der Bevölkerung einhelliger als es die öffentliche Debatte der letzten Wochen nahelegte.
Zum einen sei, so Müller gegenüber dem „Handelsblatt“, „zum Teil sehr bewusst Panik erzeugt“ worden mit Blick auf Inhalte und Folgen des umstrittenen Papiers. Zum anderen sei vor allem in den sozialen Medien „leider oft losgelöst von den Fakten“ diskutiert worden. Aus seiner Sicht sei klar:
„Wir reden über ein globales Projekt. Das wurde bei den Vereinten Nationen rund zwei Jahre lang von 190 Staaten debattiert. Jeder, der sich an der Debatte beteiligen wollte, konnte das auch. Die Botschaft für Deutschland ist: Es wird wegen dieses Paktes kein einziger Migrant zusätzlich nach Deutschland kommen. Das souveräne Recht, die Einwanderung zu regeln, liegt nach wie vor bei der Bundesregierung.“
Mit „unverbindlichem“ Pakt Schleuser bekämpfen?
Dass von den 164 Staaten, die am Montag und Dienstag den Pakt unterzeichnen, zu einem großen Teil autokratisch regierte Länder oder solche sind, die selbst deutlich mehr Aus- als Einwanderer zu verzeichnen haben, erwähnt Müller nicht. Währenddessen sind es überwiegend gefestigte und stabile demokratische Rechtsstaaten, die den Pakt nicht unterschrieben haben. Zu den am häufigsten bemühten Argumenten gehörte dabei, dass die Verpflichtungen aus dem Pakt indirekt zum geltenden Recht werden könnten und dass Einwanderung einseitig nur von ihren Chancen her gesehen werde, nicht aber von ihren Risiken.
Wie hingegen ein Pakt, der am Ende unter stetiger Betonung seiner Unverbindlichkeit unterschrieben wurde, ausgerechnet helfen soll. „Schleusertum zu bekämpfen und das Management an nationalen Grenzen besser zu koordinieren“, erläutert Müller nicht in die Tiefe.
Statt begründete Kritik auch von prominenten Journalisten wie Stefan Aust oder Rechtswissenschaftlern wie Reinhard Merkel ernst zu nehmen, geht man in den Reihen der Regierung lieber dazu über, Personen, die Einwände gegen den Pakt vorbringen, zu diskreditieren.
Neben dem Standardvorwurf der „Fremdenfeindlichkeit“ und des „Rechtspopulismus“ spielt dabei mittlerweile auch die Behauptung eine Rolle, die Kritik an dem Pakt in sozialen Netzwerken gehe gar nicht von realen Personen aus.
Mehr als ein Viertel aller Tweets zum Pakt von Robotern?
So sprach Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) von der Notwendigkeit eines „verstärkten Kampfs gegen Lügen im Internet“. Diese spielten auch in der Debatte um den UN-Migrationspakt eine Rolle.
„Manipulative Meinungsroboter, sogenannte Social Bots, sind eine Gefahr für die Demokratie“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben). In der Debatte über den UN-Migrationspakt seien Social Bots offenbar massenhaft eingesetzt worden.
„Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie organisierte Falschmeldungen die Debatte um ein Thema beeinflussen können.“ Die Betreiber Sozialer Netzwerke müssten ihrer Verantwortung gerecht werden und konsequent gegen „organisierte Lügen und Fake News im Netz“ vorgehen.
Die „Welt“ präsentierte zuvor eine Analyse des Unternehmens „Botwatch“, wonach sogenannte Social Bots, also programmierte Meinungsroboter, mehr als ein Viertel (28 Prozent) aller Tweets zum UN-Migrationspakt abgesetzt hätten. Die Roboter tarnen sich dabei als reale Personen.
Bei politischen Diskussionen sollen sonst etwa 10 bis 15 Prozent von solchen – tatsächlich programmierten – künstlichen Intelligenzen verfasst sein. Davon zu unterscheiden ist das von Anhängern der politischen Rechten verwendete Meme des „NPC“, des „Non-Playable Characters“, das aus der Spielewelt stammt und nur sinnbildlich gegen Liberale gerichtet wird, denen seine Urheber vorwerfen, kritiklos von Medien oder Bildungseinrichtungen angelernte Meinungen zu reproduzieren.
Bezug zu „Gelbwesten“
Der jetzt beobachtete Anteil von Social Bots an Diskussionen sei laut Botswatch so hoch wie seit der Bundestagswahl nicht mehr. Für ihre Studie zum Migrationspakt habe das Unternehmen nach eigenen Angaben rund 800.000 Tweets untersucht, die zwischen dem 24. November und dem 2. Dezember veröffentlicht worden wären.
Die Bots sollen unter anderem verbreitet haben, der Pakt eröffne Migranten einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Einwanderung nach Deutschland. Dies stelle einen Akt bewusster Täuschung dar. Offenbar reichten auch extern beauftragte Faktenchecker wie Correctiv nicht aus, um alle inkriminierten Darstellungen mit Richtigstellungen zu konfrontieren.
Die angeblichen Bot-Netzwerke gegen den UN-Migrationspakt sollen zudem auch Verbindungen zu den Protesten der „Gelbwesten“ in Frankreich aufweisen. Laut den Autoren der Studie soll „so der Eindruck einer grenzüberschreitenden Bewegung hergestellt werden“. Dass mittlerweile auch Mainstream-Medien darüber berichten, „Gelbwesten“-Sichtungen seien auch aus den Niederlanden, Belgien, Schweden und Deutschland zu verzeichnen gewesen, bestätigt allerdings nicht den Eindruck, die Proteste hätten lediglich in Frankreich ein gewisses Maß an Rückhalt.
„Jemand scheint Interesse daran zu haben, dass diese Debatte geführt wird und dass gezielt Falschinformationen über den UN-Migrationspakt verbreitet werden“, zitiert die „Welt“ Botswatch-Geschäftsführerin Tabea Wilke über den überdurchschnittlich hohen Anteil künstlicher Tweets. „Das Thema eignet sich sehr gut dafür, die westliche Wertegemeinschaft infrage zu stellen.“
Russland scheidet wohl aus
Heiko Maas befürchtet im kommenden EU-Wahlkampf gar „eine nächste große Bühne für Manipulationsversuche“, verriet er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Dagegen müsse man „Politiker, Medien und Zivilgesellschaft“ wappnen.
Die Aufregung über angebliche oder tatsächliche Social Bots erinnert an die in den USA nach der Präsidentenwahl lancierten Debatten über russische Einflussversuche. Demnach habe der Kreml über nahestehende Unternehmen Social-Media-Werbung mit dem Ziel eingekauft, die Gesellschaft zu polarisieren. Aus den Reihen der Demokraten hieß es sogar, Russland habe auf diese Weise versucht, einen Sieg ihrer Kandidatin Hillary Clinton zu verhindern.
Tatsächlich wurden die Werbeanzeigen, die zum Teil auch weit nach den Wahlen liefen, nur von wenigen Nutzern überhaupt wahrgenommen. Auch verfolgten Hackerattacken wie jene auf das Democratic National Committee wohl nicht unbedingt das Ziel, Donald Trump zu unterstützen – der als Präsident amerikanische Interessen auch gegenüber Russland entschieden verteidigte. Allenfalls wollten Kräfte im Kreml Bernie Sanders stützen, der auch in russischen Staatsmedien damals überschwänglich gefeiert wurde.
Den UN-Migrationspakt hat Russland im Übrigen auch unterschrieben. Die Nachrichtenagentur TASS schrieb von einem „wichtigen Schritt in der Entwicklung internationaler Kooperation“. Moskau dürfte es diesmal dann wohl eher nicht sein, das hinter dem ominösen „Bot-Netzwerk“ steht.
(mit Material von dts)
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